05.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 91 / Tagesordnungspunkt 16

Andrea LindholzCDU/CSU - Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tatsache, dass die Linke ihren Antrag so kurzfristig vorgelegt hat, macht für mich eines deutlich: Es geht nicht um eine ernsthafte, konstruktive Diskussion über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge,

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie keine anderen Argumente haben! Traurig! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist doch Unsinn!)

sondern es geht um reine Effekthascherei.

(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Kurzfristige Anträge sind Ihnen fremd!)

Auch die pauschale Forderung, der Bund solle einfach mal mehr Kosten übernehmen, geht doch an der Realität vorbei.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können es doch einfach umsetzen!)

Bayern hat bereits Mitte 2014 auf den dringenden Handlungsbedarf hingewiesen und einen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht, mit dem die Verteilung von minderjährigen Flüchtlingen auf das Bundesgebiet ermöglicht werden soll.

(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und eine Beteiligung des Bundes an den Kosten! Das verschweigen Sie immer!)

Die Verteilung soll sich nach dem Königsteiner Schlüssel richten, der üblicherweise bei der Flüchtlingsverteilung angewendet wird.

Wie bei allen Kindern steht natürlich gerade bei minderjährigen Flüchtlingen das Kindeswohl an erster Stelle. Für sie ist primär die Jugendhilfe zuständig, die die Jugendlichen gemäß § 42 SGB VIII in Obhut nehmen muss. Dort ist im Übrigen – ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung – auch das Kindeswohl ausdrücklich verankert. Der Vorrang des Kindeswohls steht doch damit überhaupt nicht ernsthaft zur Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In § 39 SGB VIII gibt es bereits grundsätzlich ein Verfahren, wie die Kosten der Inobhutnahme zwischen den Ländern verteilt werden. Das zentrale Problem ist vielmehr, dass bisher die Kommune, in deren Gebiet der minderjährige Flüchtling aufgegriffen wurde, während der Erstklärungsphase und oft auch darüber hinaus für das Kind zuständig bleibt. Die Inobhutnahmen konzentrieren sich damit vor allem auf bestimmte Kommunen, die an den Hauptflüchtlingsrouten liegen. Für Bayern ist es hier zum Beispiel das Jugendamt in Rosenheim, das innerhalb eines Jahres 450 teilweise schwer traumatisierte Flüchtlingskinder aufgegriffen hat und rund 300 davon dauerhaft in Obhut nehmen musste. Obwohl sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort aufopfern und alles daransetzen, gerät allein aufgrund der Fallzahlen das Kindeswohl in Gefahr, weil man mit diesen Kapazitäten schlicht nicht zurechtkommen kann. Die größten Kapazitäten sind irgendwann erschöpft. Wenn dann traumatisierte Kinder in Pensionen oder in Turnhallen untergebracht werden müssen, weil nicht mehr Platz vorhanden ist, dann ist es im ureigenen Interesse der Kinder, dass wir auch die Jugendämter in den Bundesländern in die Verantwortung nehmen, die weniger belastet sind.

(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und keinerlei Erfahrung damit haben!)

Das Problem ist auch nicht eine strukturelle Unterfinanzierung der Jugendhilfe, wie es der Antrag suggeriert, sondern es sind schlicht die extrem angestiegenen Fallzahlen. Bayern hat allein im letzten Jahr 3 400 Inobhutnahmen registriert. Diese Zahl wird auch für 2015 erwartet. Damit hat sich die Zahl im Vergleich von 2013 zu 2014 versechsfacht. Bayern hat auf den Anstieg reagiert und zumindest die älteren Jugendlichen bayernweit verteilt. Aber auch die Jugendämter in Bayern geraten aufgrund der hohen Fallzahlen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Mit der Forderung, mehr Geld auszugeben oder neue Strukturen einzurichten, wo doch im gesamten Bundesgebiet schon Strukturen vorhanden sind, lösen wir das Problem gerade nicht. Das Augsburger Jugendamt hat erst kürzlich berichtet, dass es bei der Besetzung von sechs neuen Stellen schlicht Probleme hat, Personal zu finden. Auch diese Problemstellung wird in Ihrem Antrag vollkommen ignoriert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Warum? Gerade die Bundesländer, in denen die Linken an der Regierung beteiligt sind, nehmen nur sehr wenige Fälle auf. Laut Statistischem Bundesamt haben Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2013 zusammen 56 Schutzmaßnahmen für unbegleitete minderjährige Ausländer gemeldet.

(Bettina Hornhues [CDU/CSU]: Das ist ja ein Witz!)

Bayern meldete im selben Zeitraum 575 Inobhutnahmen. Deren Zahl ist bei uns im letzten Jahr um das Sechsfache angestiegen.

(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Es sind dreimal so viel Einwohner! Das ist doch Unsinn!)

Daran sieht man: Wenn wir all diese Fälle gleichmäßig auf alle Länder verteilen würden, hätten wir weitaus weniger Probleme. Wir müssten keine neuen Strukturen schaffen, und wir müssten auch nicht zwingend mehr Geld ausgeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Ihnen also wirklich etwas am Wohl der Kinder liegt, dann plädieren Sie doch erst einmal dafür, dass wir eine gerechte Verteilung innerhalb Deutschlands vornehmen. Warum haben sich denn die meisten Bundesländer dem Vorschlag Bayerns angeschlossen und wollen das jetzt auch umsetzen?

(Beifall der Abg. Bettina Hornhues [CDU/CSU])

Aus genau diesem Grund: weil man damit erst einmal den Druck herausnimmt. Das wird im Laufe dieses Jahres erfolgen. Es muss dann auch die Kostenverteilung innerhalb der Länder neu geregelt werden. Aber auch hier – da bin ich mir sicher – wird man kurzfristig Lösungen finden. Es kann auf keinen Fall angehen, dass man diese schwierigen Fälle auf einige wenige Kommunen in Deutschland konzentriert. Das ist den Kommunen, den Mitarbeitern, aber auch den Kindern und Jugendlichen gegenüber verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn ich wie gerade höre, es sei nicht möglich, dass Jugendliche zum Zwecke der Ausbildung einen Aufenthaltstitel bei uns bekommen, dann muss ich sagen: Schauen Sie auch hier ins Gesetz! Natürlich geht das jetzt schon. Ich kann zum Zwecke der Ausbildung bei uns einen dauerhaften Aufenthaltstitel erhalten. Das muss dann aber auch von den Ländern mit einer entsprechenden Anweisung umgesetzt werden. Es gibt Länder, die das besser machen, und Länder, die das weniger gut machen. Aber auch für diesen Fall gibt es Gesetze. Es liegt ausschließlich am Vollzug. Natürlich kann ein gut ausgebildeter Jugendlicher, der eine entsprechende Fachkraft ist, auch im Anschluss an seine Ausbildung bei uns bleiben und einen entsprechenden Aufenthaltstitel erhalten. Morgen wird der Bundesinnenminister den Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung einbringen. Darin ist unter anderem geregelt, dass gut integrierte Jugendliche unter bestimmten Voraussetzungen bereits nach vier Jahren eine Aufenthaltsberechtigung erhalten sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit diesen Maßnahmen schaffen wir für jugendliche Flüchtlinge, die sich gut integrieren, echte Perspektiven in Deutschland. Solche – ich sage es einmal aus meiner Sicht – Schaufensteranträge wie der heutige, die in keiner Weise zur Lösung des Problems beitragen und nichts anderes enthalten als ein Nein gegen eine gerechte Verteilung, lösen das Problem weder kurzfristig noch mittelfristig.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4700195
Wahlperiode 18
Sitzung 91
Tagesordnungspunkt Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
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