06.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 92 / Tagesordnungspunkt 21

Rüdiger VeitSPD - Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Ulla Jelpke, bei aller persönlichen Wertschätzung kann ich dem Zerrbild, das hier von dir von dem Gesetzentwurf entworfen worden ist, nun wirklich nicht folgen. Ich werde versuchen, das im Einzelnen zu widerlegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe eine ähnliche Debatte im Jahr 2007 mit den Worten Aristide Briands eingeleitet: Ein guter Kompromiss sei immer dann gegeben, wenn alle Beteiligten über das Ergebnis gleichermaßen unzufrieden seien. – Das war damals richtig. Da ging es um das Richtlinienumsetzungsgesetz. Auch ich war nicht zufrieden. Heute sind wir, wie ich finde, ein großes Stück weiter, und zwar aufgrund der Umsetzung einer Koalitionsvereinbarung, die in einigen Punkten über das hinausgeht, was mancher für möglich gehalten hätte. Das betrifft zum Beispiel auch die Fragen von Arbeitsverboten und Residenzpflicht. Hier hat diese Koalition in den zurückliegenden Monaten bereits wichtige Verbesserungen vorgenommen.

Wir haben in diesen Wochen immer wieder über die Frage der Einwanderung geredet. Wir wollen Menschen, die noch nicht bei uns leben, gewinnen, zu uns zu kommen. Im Rahmen der Debatte über das Bleiberecht reden wir über das Schicksal derjenigen, die schon hier sind, was sachlich und logisch gesehen eigentlich vorrangig ist. Deswegen bin ich froh, dass wir uns mit diesem Gesetz dieser Personengruppe zuwenden können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit eines klar ist – da will ich einmal in die Vergangenheit zurückblenden –: Wir Sozialdemokraten wollten, als wir das Zuwanderungsgesetz entworfen und dann in den Jahren 2003 und 2004 in den Gremien behandelt haben, die Duldung gänzlich abschaffen. Wir wollten nur noch zwei Aufenthaltstitel haben: den befristeten und den unbefristeten. Wir wollten dazu übergehen, zu sagen: Wenn jemand nicht ausreisen kann oder nicht abgeschoben werden kann, dann muss er nach spätestens 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes würde ich gerne unverändert lassen. Herr Minister, darüber und über die Streichung des Verweises auf § 11 des Aufenthaltsgesetzes werden wir hoffentlich noch reden. Das ist dann aber eine Fachdebatte, die wir an anderer Stelle führen müssen.

Wir wollten die Duldung eigentlich grundsätzlich abschaffen. Das ging damals mit der Union aber nicht. Die Union musste zu rot-grünen Zeiten als Partner in Anspruch und ernst genommen werden, weil es damals im Bundesrat keine Mehrheit für diese Vorschriften gegeben hat; daran will ich einmal erinnern. Insofern versuchen wir seit über zehn Jahren, dieses Problem zu lösen. Schon im Zusammenhang mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz wollten wir dann bereits im Jahre 2007 eine sehr viel weiter gehende Bleiberechts- und Altfallregelung schaffen.

Bei der Gelegenheit – wenn man so lange dabei ist, bleibt es nicht aus, dass man sich erinnert – ist mir wieder eingefallen, wie es damals war. Das möchte ich gerne einmal in Form einer Anekdote zum Besten geben. Damals, als wir über das Richtlinienumsetzungsgesetz und eine Bleiberechtsregelung gesprochen haben, hat Ihr Amtsvorgänger, der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble, gemeinsam mit Franz Müntefering, der damals Arbeitsminister war, eine sehr weitgehende Bleiberechtsregelung und Altfallregelung entworfen und vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde aber im Ergebnis der politischen Realität nur ungefähr vier Tage alt, weil er dann in einer Länderinnenministerkonferenz – das war am 17. November 2006 in Nürnberg – von Innenministern der Union zerrupft worden ist. Es gab damals erheblichen Ärger von den auf der Seite der Union Beteiligten. Davon ist im Augenblick keiner im Raum. Ich kann mich aber noch gut an die Berichte dieser Innenministerkonferenz erinnern.

Die herbste Kritik war übrigens diejenige des vormaligen niedersächsischen Innenministers Schünemann, der damals zu Herrn Schäuble gesagt hat, er – der Herr Schäuble – habe keine Ahnung von der Praxis. Das war schon eine ziemliche Unverschämtheit, weil Wolfgang Schäuble zuvor schon einmal Innenminister war, und zwar zu einer Zeit, als jedenfalls Herr Schünemann noch lange nicht Innenminister, sondern vielleicht bestenfalls dem Grundschulalter entwachsen war.

Da wir hier große Volksparteien repräsentieren, vertreten nicht alle die gleiche Meinung. Ich erinnere mich noch – diesen Teil der Anekdote gebe ich auch noch zum Besten –, dass wir auf einer Klausurtagung der SPD-Fraktion in Brüssel im Plenarsaal des Europäischen Parlaments über die richtige Umsetzung der Bleiberechtsregelung gesprochen haben. Damals hat ein anderer Ihrer Amtsvorgänger, Otto Schily, uns davor gewarnt, eine Bleiberechtsregelung gesetzlich festzuschreiben, die mehr als höchstens 20 000 oder 30 000 Menschen begünstigt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal in die Verlegenheit kommen würde, einen gemeinsamen Vorschlag von Franz Müntefering und Wolfgang Schäuble gegen Otto Schily verteidigen zu müssen. Es kam dann übrigens nicht mehr dazu. Der Flieger ging, und deswegen kam meine Wortmeldung nicht mehr zum Tragen. – So viel zur Geschichte.

Heute sind wir Gott sei Dank, wie ich finde, mit einer derartigen Bleiberechtsregelung sehr viel weiter. Dem Nichtfachpublikum sei einmal gesagt, worum es hier geht. Menschen, die in Deutschland nicht abgeschoben werden können oder nicht ausreisen können, die aber nicht den Status eines Flüchtlings oder Asylberechtigten zuerkannt bekommen, halten sich mit sogenannten Duldungen in Deutschland auf. Das ist nichts anderes als der Abschiebeverzicht vonseiten des Staates. Das ist aber kein Titel. Man sollte meinen, dass die Duldungen nicht länger als ein paar Monate dauern. Das ist mitnichten so. Die Statistik weist aus, dass es 11 000 Menschen gibt, die mit Duldungen schon mehr als 15 Jahre in der Bundesrepublik leben. Immerhin 31 000 Menschen leben bereits seit über sechs Jahren hier. Für die Betroffenen und ihre Familien heißt das, dass ihnen in der Regel alle drei Monate gesagt wird, ob sie abgeschoben werden und ausreisen müssen oder ob sie hier bleiben dürfen.

In der Zwischenzeit durften sie nach altem Recht nicht einmal arbeiten und so sich und ihre Familien versorgen. Den Teufelskreis, nicht arbeiten zu dürfen, weil man keine Aufenthaltserlaubnis hat, aber keine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, weil man keine Arbeit hat, haben wir schon bei der letzten Änderung des Bleiberechts – damals § 104 a – durchbrochen. Das setzen wir jetzt konsequent fort. Dafür bin ich im Interesse der betroffenen Menschen und insbesondere im Interesse der in Deutschland geborenen und/oder aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen außerordentlich froh und dankbar.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist das ein gutes und hoffentlich auch bald zu Ende kommendes Gesetzgebungsvorhaben, hinter dem ich auch persönlich stehe.

Herr Minister – auf kritische Punkte komme ich noch zu sprechen, damit keine Verwirrung eintritt –, Sie haben zu Recht erwähnt, dass wir mit diesem Gesetz erfreulicherweise den Status der Opfer von Menschenhandel verbessern werden. Sie haben – hierzu gab es insbesondere Kritik aus dem NGO-Bereich – darauf hingewiesen, dass der Familiennachzug bei subsidiär Geschützten neu geregelt wird. Sie haben noch einen Punkt vergessen, der mir aber auch wichtig ist und den ich vielleicht ergänzen darf. Wir haben jetzt eine gesetzliche Grundlage dafür, sogenannte Resettlement-Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen und ihnen ebenfalls die Möglichkeit des Familiennachzugs einzuräumen. Denjenigen, die nicht Bescheid wissen, möchte ich erklären, dass es sich beispielsweise bei den Flüchtlingen, die aus Syrien kommen, um Resettlement-Flüchtlinge handelt. Diese haben nach der Flucht aus ihrer Heimat in Nachbarstaaten oder anderswo vorläufig Zuflucht gefunden. Wir haben sie dann aus humanitären Gründen – im Falle Syriens vorbildlich, aber auf europäischer Ebene immer noch zu wenige – aufgenommen, um ihnen hier auf Dauer eine Perspektive zu geben.

Es gibt aber auch eine kritische Bewertung. Ein bisschen Kompromiss heißt aus unserer Sicht auch, ein bisschen nachzugeben. Richtig ist: Das Ausweisungsrecht insgesamt musste dringend geändert werden. Da ich daran, ob wir das in jedem einzelnen Punkt perfekt hinbekommen haben, meine Zweifel habe, melde ich Gesprächsbedarf an. Das betrifft insbesondere die Haftgründe. Insoweit hat Ulla Jelpke zu Recht darauf hingewiesen, dass es als Flüchtling technisch kaum anders machbar ist, nach Deutschland zu kommen, als sich eines Schleusers zu bedienen. Das muss man deswegen nicht gutheißen. Das tue ich auch nicht. Das tut niemand von uns. Das ist aber ein aus den geografischen Gegebenheiten resultierendes Faktum, das wir nicht negieren können.

(Beifall der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Automatisch kann man deswegen also nicht auf Fluchtgefahr schließen.

Damit sind wir bei der Fluchtgefahr angekommen. Bei der Abschiebehaft von sogenannten Dublin-Flüchtlingen verlangt die Richtlinie eine erhebliche Fluchtgefahr als Voraussetzung. Das haben wir in diesem Gesetzentwurf so noch nicht übernommen. Insofern ist es durchaus notwendig, an dieser Stelle nachzubessern.

Schöner wäre übrigens auch gewesen – wenn ich auch diesen kritischen Punkt ansprechen darf –, wenn wir an den ursprünglich vorgesehenen 27 Lebensjahren als zeitliche Grenze für einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis festgehalten hätten. Jetzt sind wir wieder auf 21 Lebensjahre zurückgegangen. Auch darüber wird man noch reden können.

Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, bei dem wir hoffentlich parteiübergreifend zu einer Lösung kommen werden. Es handelt sich dabei um die Rechtsstellung derjenigen jungen Leute, die sich in einer Berufsausbildung oder in einem Studium befinden. Nehmen wir als günstigen Fall an: Es ist einem Flüchtling gelungen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Wenn er nur eine Duldung hat, ist das nicht immer ganz so einfach. Dieser Flüchtling muss damit leben, eventuell abgeschoben zu werden, noch bevor er seine Ausbildung abgeschlossen hat. Es gibt zu Recht eine Initiative der Ministerpräsidenten und des Bundesrates, die darauf abzielt, den betreffenden jungen Leuten bis zum Erreichen ihres Ausbildungsabschlusses eine gesicherte Aufenthaltsperspektive zu bieten. Ich persönlich bin der Meinung, dass eine Duldung allein dafür nicht ausreichend ist. Ich will versuchen, kurz zu begründen, warum. Wenn ein Handwerksmeister vor der Frage steht, ob er einen jungen Mann oder eine junge Frau mit einer Duldung als Auszubildenden einstellt, dann muss er davon ausgehen, dass der Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung – so sie denn erfolgreich war, was hoffentlich in der Regel der Fall ist – gehen muss und nicht bei ihm im Betrieb bleiben kann. Das macht keinen Sinn und führt zu Verwerfungen. Obwohl ein solcher Handwerksmeister die Verantwortung und die Last bzw. die Kosten der Ausbildung trägt, ist er anschließend nicht in der Lage, den betreffenden Auszubildenden zu übernehmen.

Es ist wünschenswert und richtig – das könnte uns in diesem Gesetzgebungsvorhaben noch gelingen –, eine Regelung zu finden, die besagt: Wer hier berechtigterweise bzw. erlaubterweise eine Ausbildung absolviert, der erhält zu diesem Zweck eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis. Das ist ein ganz konkreter Wunsch vor unseren jetzt beginnenden Koalitionsgesprächen zu diesem Gesetzentwurf. Nach der Anhörung werden wir beginnen, darüber zu beraten. Ich wünsche mir, dass wir auch in diesem Punkt zu einer Einigung kommen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4704358
Wahlperiode 18
Sitzung 92
Tagesordnungspunkt Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung
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