06.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 92 / Tagesordnungspunkt 21

Andrea LindholzCDU/CSU - Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die weltweiten Krisen machen sich auch in diesem Jahr in Deutschland nach wie vor bemerkbar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erwartet erneut einen massiven Anstieg der Asylbewerberzahlen von zuletzt 203 000 auf 300 000 Asylanträge in diesem Jahr.

Die Strategie der Großen Koalition zur Stabilisierung unseres Asylsystems hat zwei zentrale Ziele: Erstens. Die Schutzberechtigten sollen besser integriert werden. Zweitens. Unberechtigte Asylanträge sollen schneller abgeschlossen werden. Bereits im letzten Jahr haben wir zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Wir haben im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zahl der Stellen um rund 30 Prozent aufgestockt. Wir haben drei Westbalkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt, um unbegründete Anträge schneller abschließen zu können. Wir haben in diesem Jahr Länder und Kommunen um 556 Millionen Euro bei der Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen entlastet. Im Jahr 2016 wird das novellierte Asylbewerberleistungsgesetz zu noch mehr Entlastungen führen.

(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, können Sie das gleich machen!)

Gleichzeitig haben wir die Strukturen zur Integration von Flüchtlingen verbessert. Der Arbeitsmarktzugang wurde erleichtert, und die Residenzpflicht und die Vorrangprüfung wurden eingeschränkt. Wer bei uns Schutz bekommt, der soll sich zügig integrieren und Arbeit finden können.

Um das Asylsystem nachhaltig zu stabilisieren, müssen wir aber die große Zahl der unberechtigten Asylanträge spürbar reduzieren. Allein im Januar dieses Jahres wurden 11 700 Asylanträge aus den Balkanstaaten registriert, obwohl die Ablehnungsquote in diesen Fällen bei fast 100 Prozent liegt. Die Zahl der Asylanträge von syrischen Flüchtlingen war im selben Zeitraum nicht einmal halb so hoch.

Die Zahl der offensichtlich unberechtigten Asylanträge muss zügiger zurückgeführt werden, um Nachahmer davon abzuhalten, Geld an kriminelle Schleuser zu verschwenden. Gerade in den Balkanstaaten müssen wir noch besser über unser Asyl- und Migrationssystem aufklären; denn manch einer könnte auf ganz legalem Weg als Arbeitskraft zu uns kommen, statt einen aussichtslosen Asylantrag zu stellen.

Seit Jahren wird nur ein Bruchteil der ausreisepflichtigen Ausländer tatsächlich abgeschoben. Ende 2014 waren 113 221 Geduldete hier in Deutschland registriert. Abgeschoben wurden im letzten Jahr lediglich 10 800 Personen.

Ja, für die Abschiebung sind die Länder zuständig, aber der Bund hat die Verfahrensregeln zu verantworten. An diesem Punkt setzt der vorliegende Gesetzentwurf an und sieht umfangreiche Verbesserungen im Asylsystem vor. Ausländer, die schon lange in Deutschland geduldet sind und sich erfolgreich integriert haben, sollen ein alters- und stichtagsunabhängiges Bleiberecht bekommen. Als gut integriert gilt jemand, der seit acht Jahren hier lebt, über Sprachkenntnisse verfügt und seinen Lebensunterhalt überwiegend selbst sichern kann. Gut integrierte Jugendliche unter 21 sollen bei ähnlichen Voraussetzungen bereits nach vier Jahren ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten können.

Mit § 17 a Aufenthaltsgesetz schaffen wir einen neuen Aufenthaltstitel in Deutschland, der es ermöglicht, die ausländische Berufsqualifikation bei uns durch Fortbildungsmaßnahmen vollständig anerkennen zu lassen. Damit verbessert der Bundesinnenminister ganz gezielt das Ausländerrecht und erleichtert die Zuwanderung von Fachkräften.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gleichzeitig soll die bisherige dreistufige Kann-, Soll- und Mussregelung im Ausweisungsrecht grundlegend reformiert werden. Das ist richtig. Die Gerichte haben bei den meisten Klagen ohnehin reine Ermessensentscheidungen getroffen. Wir reagieren damit auf den Wandel in der Rechtsprechung. Die Gerichte werden in Zukunft – das wird die Verfahren erheblich beschleunigen – die Entscheidung der Behörde entweder bestätigen oder ersetzen. Es wird also nicht an die Behörde zurückverwiesen. Auch damit werden wir schneller Rechtssicherheit für die Asylbewerber schaffen, ob sie bleiben können, weil sie einen entsprechenden Anspruch haben, oder ob sie ausgewiesen werden müssen.

Wir werden klare Ausweisungs- und Bleibeinteressen formulieren und gewichten. Auch das ist richtig. Ein Bleibeinteresse wiegt zum Beispiel besonders schwer bei Minderjährigen und bei Ausländern, die in Deutschland geboren wurden oder hier eigene Kinder haben. Das Ausweisungsinteresse wiegt zum Beispiel besonders schwer, wenn ein Ausländer zu Hass oder Gewalt aufruft, den Terror unterstützt oder zu längeren Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Auch das ist richtig.

Wir werden für die Abschiebehaft klare Kriterien definieren, wann von einer Fluchtgefahr ausgegangen werden kann. Damit machen wir nichts anderes, Frau Kollegin Jelpke, als die Dublin-III-Verordnung und den Beschluss des BGH vom Juni 2014 umzusetzen. Der BGH hat nämlich festgestellt, dass die Verankerung im nationalen Recht fehlt. Wir sind daher gehalten, entsprechende Regelungen zu formulieren.

Wann geht man von einer Fluchtgefahr aus? Es gibt zunächst einmal Indizien. Wenn sich zum Beispiel jemand dem Zugriff der Behörden entziehen will, über seine Identität täuscht oder die Mitwirkung verweigert, dann sind das erst einmal Indizien für eine Fluchtgefahr, die aber wohl begründet ist. Denn derjenige, der bei uns bleiben möchte, hat an entsprechenden Verfahren mitzuwirken; er hat sich zu beteiligen. Auch das ist bei der Ausweisung von Interesse. Auch hier muss der Rechtsstaat reagieren können, wenn das von dem Asylbewerber nicht erfüllt wird.

Im Übrigen bleibt es bei der Einzelfallprüfung. Damit wird Willkür ausgeschlossen; die Haft muss verhältnismäßig sein. Ich denke, hier sorgt der Rechtsstaat für ausreichende Sicherheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lieber Kollege Rüdiger Veit, wir haben gestern Abend über den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen debattiert. In der Debatte wurde gesagt, dass jemand, der als Geduldeter eine Ausbildung in Deutschland macht, zum Beispiel in einem Handwerksbetrieb, die ganze Zeit damit rechnen muss, dass er abgeschoben wird. Nein, das stimmt nicht. § 60 a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besagt, dass es aus persönlichen Gründen möglich ist, für die gesamte Dauer der Ausbildung bei uns eine Duldung zu erhalten. Es ist also bereits möglich.

(Rüdiger Veit [SPD]: Eben nur eine Duldung!)

– Ja. Ich verwahre mich aber dagegen, dass immer wieder gesagt wird, die Handwerksbetriebe bzw. Ausbildungsbetriebe könnten keine jungen Asylbewerber einstellen.

(René Röspel [SPD]: Das ist doch ein unbestimmter Rechtsbegriff!)

Natürlich ist das nach unserem Gesetz bereits möglich. Das muss nur noch von den Ländern entsprechend verankert werden.

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Amtsberg zu?

Ja, wenn ich gerade noch meinen Satz zu Ende bringen darf.

Selbstverständlich.

Aus § 39 Aufenthaltsgesetz geht hervor, dass man nach einer entsprechenden Ausbildung als Fachkraft oder mit der Bluecard eine Arbeitserlaubnis erhalten kann. Insofern bleibt allenfalls die Frage zu beantworten, ob wir es noch deutlicher klarstellen müssen. Darin stimme ich vielleicht mit Ihnen überein. Aber es trifft schlicht nicht zu, dass unser Gesetz das nicht schon regelt.

Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Das Problem bei den Auszubildenden und jungen Flüchtlingen, die einen unsicheren Status haben, ist für die Ausbildungsbetriebe nicht der rein rechtliche Aspekt, sondern die Tatsache, dass sie ausgewiesen werden können, während sie in der Ausbildung sind.

Nein. Das ist schlicht falsch. Schauen Sie in das Gesetz!

Das ist de facto so. – Die Unsicherheit, die sich daraus ergibt, veranlasst viele Betriebe, lieber auszuweichen und den Menschen keine Chance zu geben. Da Klarheit zu schaffen, wäre doch eigentlich ein gutes Anliegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rüdiger Veit [SPD]: Auch über die Ausbildung hinaus!)

Frau Kollegin Amtsberg, es ist nur leider sachlich falsch. Schauen Sie in das Gesetz!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich gucke auf die Fälle, die ich kenne, wo das nicht so ist!)

Dort steht ausdrücklich, dass aus persönlichen Gründen – dazu gehört die Ausbildung – die Abschiebung ausgesetzt und eine Duldung bis zum Abschluss der Ausbildung ausgesprochen werden kann. Es tut mir leid. Es ist einfach falsch, wenn Sie etwas anderes behaupten. Schauen Sie einfach einmal in das Gesetz! Dann könnte man sich manchen Wortbeitrag ersparen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Realität ist eine andere!)

– Realität ist, wenn die Gesetze, die wir hier machen, auch überall angewendet werden.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wenn sie nicht angewendet werden, müssen sie geändert werden! – Gegenruf des Abg. Burkhard Lischka [SPD]: Das stimmt!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4704423
Wahlperiode 18
Sitzung 92
Tagesordnungspunkt Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung
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