06.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 92 / Tagesordnungspunkt 22

Michael DonthCDU/CSU - Schienenpersonenfernverkehr

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn eines vorwegnehmen: Ich halte Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, für einen Schaufensterantrag, der vor allem unternehmerisches Denken und strukturelle Weitsicht vermissen lässt. Er ist außerdem überholt. Nicht jeder Antrag, Frau Leidig, der zur Jahrhundertwende noch richtig war, muss auch heute noch, 14 Jahre später, richtig sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das stimmt! Aber der schon!)

Sie beschwören in Ihrem Antrag ein Szenario herauf, als würden das gesamte Bahnnetz und der komplette Reiseverkehr plötzlich zum Erliegen kommen. Sie schreiben, dass das Eisenbahnsystem als solches infrage gestellt wird. Das ist, mit Verlaub, schlichtweg Blödsinn. Es wird aufgrund eines derzeit defizitären Nachtzugverkehrs eine Umgestaltung dieses Segmentes mit Schwerpunktsetzung geben müssen. Daran arbeitet die Deutsche Bahn AG bereits. Eine völlige Abschaffung soll und kann es nicht geben. Auch der Autozug wird nicht komplett abgeschafft. Derzeit läuft das Pilotprojekt der DB namens „Auto + Zug“, das wohl, wie man hört, bei den Reisenden gut ankommt.

Die Nachfrage bestimmt das Angebot; das ist Realität in der Marktwirtschaft. Die Deutsche Bahn AG ist, wie es ihr Name schon sagt, eine Aktiengesellschaft und kein gemeinnütziger Verein und erst recht keine Staatsbahn mehr. Diese AG hat die Aufgabe, den Fernverkehr eigenwirtschaftlich zu betreiben. Der Bund gewährleistet dies. Die DB allein trägt dabei die unternehmerische Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit ihres Dienstleistungsangebotes. Ich zitiere:

So hieß es in der Stellungnahme vonseiten der DB AG in der Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur.

Auch in einem Gespräch zwischen der Kollegin Daniela Ludwig, dem Kollegen Matthias Lietz und mir hat uns Herr Grube von der DB AG gestern nochmals versichert, dass es sich definitiv nicht um einen Totalausstieg aus diesem Segment handeln wird. Natürlich ist es bedauerlich, wenn ein Status quo nicht mehr gehalten werden kann und wenn liebgewonnene Angebote entsprechend reduziert werden müssen. Aber stagnierende Einnahmen und Verluste in zweistelliger Millionenhöhe in diesen Sektoren sprechen eben eine deutliche Sprache.

Sie führen in Ihrem Antrag die goldenen Zeiten von 1852 an, in denen es romantische Nachtzugverkehre gab, oder die Zeiten vor 60 Jahren, als die ersten Autoreisezüge verkehrten. Aber wir leben nun einmal im Hier und Heute, und wir müssen uns den Herausforderungen der heutigen Zeit und den Anforderungen an unsere Zukunftsfähigkeit stellen.

Nehmen Sie deshalb zur Kenntnis, dass sich das Reiseverhalten der Menschen in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert hat. Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass sich auch die Bahnwelt und die Kostenstruktur in ganz Europa ebenfalls verändert haben. Die Bahn wäre schlecht beraten, wenn sie darauf nicht reagieren würde, wenn sie Geld verbrennen würde, das sie anderweitig erwirtschaften muss. Wir leben heute nicht mehr in einem Zeitalter, in dem Nacht- oder Autoreisezüge zu den Hauptverkehrsmitteln gehören. Die Formen der Mobilitäthaben sich grundlegend gewandelt und sind vielfältiger geworden. Heute gibt es Hochgeschwindigkeitsverbindungen, Flugverbindungen, Fernbusse, Mitfahrzentralen, eigene Pkws in größerer Anzahl und vieles mehr, womit die Urlauber unterwegs sind.

Im europäischen Verkehr geht es auch um die Gesamtkosten einer Linie. Wenn beim Bahnverkehr von Berlin nach Paris in Frankreich 70 Prozent höhere Kosten anfallen, wenn steigenden Betriebskosten stagnierende Einnahmen gegenüberstehen, wenn überalterte Schlafwagenwaggons verlustbringend repariert werden müssen oder wenn neu zu beschaffende Waggons abschreibungsbedingt zu höheren Kosten führen würden, dann müssen wir uns alle miteinander dieser Realität stellen. Das können wir nicht kleinreden. Auch die saisonale Häufung der Nachfrage bedingt geradezu, dass die Wirtschaftlichkeit schwieriger ist als bei anderen Angeboten.

Es ist weder im Interesse des Wettbewerbs noch im Interesse der Kunden, dass der Fahrkartenkäufer zum Beispiel für die Verbindung Reutlingen–Berlin den Wunsch mancher Nostalgiker nach Nachtzugverbindungen von München nach Paris subventioniert. Auch die Fernbusnachtverbindungen haben sich in kürzester Zeit als flexible und günstige Alternative zum Nachtzug entwickelt. Sie bilden mittlerweile ein viel dichteres Netz bei günstigeren Preisen. Sie sind damit für den preissensiblen Reisenden offensichtlich attraktiver.

Das deutsche Schienennetz ist dasjenige in Europa, das am stärksten dem Wettbewerb geöffnet ist. Da wundert es mich schon, dass kein Mitbewerber aus dem In- oder Ausland hier tätig wird, wo doch das Anbieten von Nacht- und Autoreisezugverbindungen so attraktiv sein soll, wie Sie argumentieren. Aber grundsätzlich stimme ich Ihnen sogar in einem Punkt zu: Die DB AG wird den Markt kritisch prüfen, bewerten und, falls notwendig, selbstverständlich Entscheidungen korrigieren. Aber dafür brauchen wir Ihren Antrag nicht.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4704592
Wahlperiode 18
Sitzung 92
Tagesordnungspunkt Schienenpersonenfernverkehr
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