18.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 93 / Tagesordnungspunkt 3

Gerda HasselfeldtCDU/CSU - Vereinbarte Debatte anlässlich der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wohl die Einzige unter den Rednern, die nicht in der DDR aufgewachsen ist und damals, in der Zeit der Wende, schon in politischer Verantwortung im Deutschen Bundestag war. Gerade deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, all jenen, die damals in der Volkskammer Verantwortung getragen und in den paar Monaten intensivster Arbeit und politischer Entscheidungen ihre Arbeit gemacht haben und damit die Weichen für die – richtige – Einheit in Freiheit in unserem Vaterland gestellt haben, dafür meinen Respekt und meine Dankbarkeit auszusprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Genau heute vor 25 Jahren konnten die Menschen in der ehemaligen DDR ihre Abgeordneten zum ersten Mal frei wählen. Zum ersten Mal war das Kreuz auf dem Wahlzettel auch etwas wert, und damit die 40-jährige SED-Herrschaft Geschichte. Das war in Deutschland wirklich eine historische Zeitenwende.

Warum aber ist dieser 18. März 1990 im Bewusstsein der Menschen nicht so stark verankert wie zum Beispiel der 9. November 1989, der Tag des Mauerfalls? Dafür gibt es Gründe.

Die Mauer teilte eine Stadt, sie teilte ein Land, und sie war das Symbol für den Kalten Krieg. Sie war ein Schandmal der Geschichte und stand für Leid, für Trennung und auch für Tod. Als sie endlich fiel, war das eine Befreiung nicht nur für die Menschen und für unser Land, sondern auch für ganz Europa und die Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Volkskammer der ehemaligen DDR war dagegen jahrzehntelang nie mehr als ein entmachtetes Scheinparlament. Deshalb können wir die große Bedeutung dieses 18. März 1990 nicht isoliert nur für den 18. März sehen, sondern wir müssen sie immer im Zusammenhang mit der friedlichen Revolution im Ganzen sehen.

40 Jahre gab es in der DDR keine freien Wahlen, kein freies Mandat, keine unabhängigen Kandidaten. Jede dieser sogenannten Wahlen reihte sich in eine lange Liste von dreisten Wahlfälschungen ein; darauf wurde vorhin hingewiesen. So war dies auch bei den Kommunalwahlen im Mai 1989. Nur wenige haben damals die Wahlfälschungen öffentlich gemacht. Aus den wenigen wurden aber immer mehr. Es wurden Hunderte, es wurde Tausende, es wurden Hunderttausende. So war es letztlich das mutige Engagement einzelner Weniger, die so freie Wahlen für alle ermöglicht haben.

Die ersten echten Wahlen in der DDR waren deshalb keine Laune der Geschichte, sondern eine Errungenschaft, die sich die Menschen in der DDR buchstäblich selbst errungen haben – auf den Straßen in Dresden, in Leipzig und in vielen anderen Städten. Das war die erste Leistung, die dazu führte, worauf wir heute so stolz und wofür wir heute so dankbar sind.

Heute erscheint uns der Lauf der Dinge in diesen Wendejahren so selbstverständlich, manchen auch als alternativlos, so, als hätte es gar keine Diskussionen über den Weg zur Einheit gegeben. Zur historischen Wahrheit gehört aber, es gab auch andere Vorschläge. Die einen wollten warten und eine Vereinigung erst nach einer Übergangszeit, die anderen wollten einen Staatenbund, und über die rechtlichen Fragen ist gestritten worden.

Es waren – auch das gehört zur historischen Wahr- heit – die Allianz für Deutschland, der Zusammenschluss der CDU-Ost, der DSU und des Demokratischen Aufbruchs, im Osten und die Union im Westen, die sich am klarsten für eine rasche Wiedervereinigung ausgesprochen haben. Das dürfen wir nicht vergessen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Wahlausgang war nicht vorherzusehen. Das Ergebnis war: Fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler hatte sich für die Allianz für Deutschland entschieden. Es war klar: Die Menschen in der DDR wollten nicht die DDR reformieren, sie wollten sie überwinden. Sie wollten Freiheit statt Sozialismus. Sie wollten soziale Marktwirtschaft statt sozialistischer Mangelwirtschaft. Sie wollten Menschen- und Bürgerrechte statt Ideologie und Klassenkampf. Sie wollten die Einheit, und zwar nicht irgendwann, sondern so schnell wie möglich. So waren die Wahlen am 18. März 1990 nicht nur ein beispielloser Akt der Selbstbefreiung, sondern sie waren auch ein Plebiszit für die Wiedervereinigung, und zwar für die schnelle Wiedervereinigung in Freiheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Der erste frei gewählte Ministerpräsident Lothar de Maizière hat in seiner Regierungserklärung im April 1990 die Losung für diesen Weg ausgegeben – ich zitiere –:

Die gerade gewählten Abgeordneten mussten dafür politisches Neuland betreten. Es wurde vorhin eindrucksvoll geschildert: Es gab in der Tat keine Erfahrungen. Es gab keine Rezepte. Es gab keine demokratischen Strukturen. Der überwiegende Teil der Abgeordneten war zum ersten Mal überhaupt in einem Parlament. Viele mussten auch privat große Opfer bringen. Gerade deshalb ist die dort erbrachte Leistung umso bemerkenswerter.

Diese Volkskammer hat in wenigen Monaten mehr als 150 Gesetze verabschiedet und drei große Staatsverträge geschlossen. Die alten und stolzen Länder wurden wieder eingeführt und die Einheit auf den Weg gebracht. In diesem halben Jahr sind letztlich die rechtlichen Voraussetzungen für die Einheit in Freiheit geschaffen worden; eine unglaubliche Leistung, ja ein Vermächtnis für die Demokratie in unserem Land schlechthin.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Diese erste frei gewählte Volkskammer wurde so eher zur politischen Herzkammer, wenn man so will, der sich friedlich vollziehenden Revolution. Ich möchte all jenen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich danken, die damals Verantwortung getragen haben, mit der Präsidentin der Volkskammer Sabine Bergmann-Pohl und dem Ministerpräsidenten Lothar de Maizière an der Spitze. Ohne Ihre Leidenschaft für das Land, ohne die Leidenschaft für die Demokratie wäre die Wiedervereinigung so nicht möglich gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie wäre auch nicht möglich gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne die enge Zusammenarbeit und die Weichenstellung durch die Bundesregierung und den damaligen Bundestag und Bundesrat. Es war ein Zusammenwirken, das alle miteinander gefordert hat, das aber alle miteinander in großer Verantwortung unter immensem Arbeits- und Zeitdruck bewerkstelligt haben. Deshalb gilt es auch an diesem Tag daran zu erinnern.

Bundeskanzler Helmut Kohl ergriff die Initiative, die große Wunde unseres Vaterlandes zu heilen. Er wird zu Recht als „Kanzler der Einheit“ bezeichnet. Theo Waigel gestaltete den Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag. Damit waren die Weichen dafür gelegt, dass die deutsche Einheit zu einer Einheit auf Augenhöhe wurde. Ein Blick auf unser Vaterland insgesamt, im Osten und im Westen, ein Blick auf die Zusammenarbeit in diesem Parlament zeigt, diese 25 Jahre waren nicht umsonst, sondern sie waren erfolgreich: für die Menschen in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mich ganz persönlich erfüllt an diesem 18. März, 25 Jahre nach der ersten freien Wahl im Osten unseres Landes, ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und des Respekts, vor allem auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die ich als damalige Bundesministerin in den Wahlkämpfen und danach bei der Gestaltung der deutschen Einheit in den neuen Ländern gemacht habe, ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und des Respekts gegenüber den Menschen, die mit ihrem Mut und mit ihrer Hartnäckigkeit für die Freiheit gekämpft haben, aber auch gegenüber all jenen, die in den Monaten des Übergangs mit Fleiß, mit Engagement, mit Weitsicht die Weichen für die Einheit gestellt haben. Das war letztlich die Grundlage dafür, dass wir heute gemeinsam nicht nur diesen Tag begehen können, sondern dass wir uns gemeinsam über das, was in den 25 Jahren geleistet wurde, auch freuen können.

Dieser 18. März 1990, liebe Kolleginnen und Kollegen, war ein guter, ein sehr guter Tag für Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Nächster Redner ist der Kollege Philipp Lengsfeld für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4769567
Wahlperiode 18
Sitzung 93
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte anlässlich der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR
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