18.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 93 / Tagesordnungspunkt 3

Philipp LengsfeldCDU/CSU - Vereinbarte Debatte anlässlich der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal über die politische Einordnung der ersten und einzigen freien Volkskammerwahl der DDR reden; denn um die Ereignisse rund um den friedlichen Umsturz in der DDR ranken sich auch eine Anzahl von Mythen, an denen schon damals gestrickt wurde, die aber auch 25 Jahre danach von dem einen oder anderen wiederholt werden.

Zuerst: Mit der freien Volkskammerwahl – und das klang bei Katrin Göring-Eckardt schon an – wurde die friedliche Revolution in der DDR vollendet. Es gab von Anfang an, also seit Sommer, dann Herbst 1989, zwei zentrale Forderungen gegen das SED-System: die Forderung nach Reise- und Ausreisefreiheit und die Forderung nach freien Wahlen. Dies waren die zentralen Forderungen der Demonstranten und nichts anderes. Die erste Forderung erfüllte sich am 9. November 1989, und die zweite Forderung erfüllte sich mit dem 18. März 1990.

Wie bedeutsam diese Wahl für die Menschen in der DDR war – das wurde auch schon angedeutet –, zeigen die Kennzahlen, die ich gerne wiederhole: 93,4 Prozent Wahlbeteiligung, davon 99,5 Prozent gültige Stimmen, maximal 0,1 Prozent Stimmen für unernste Wahlvorschläge – die gab es auch – wie zum Beispiel die Deutsche Biertrinker Union oder Ähnliches.

Ich sage Ihnen: Ich hätte auch sehr gerne mit abgestimmt. Ich war aktiv dabei in dieser Zeit. Aber ich bin leider erst drei Tage später volljährig geworden. Ich durfte am 18. März 1990 noch nicht wählen.

Dann kam der Abend, und das ist auch ein Mythos: Das Ergebnis der Volkskammerwahl war eigentlich überhaupt keine Überraschung – jedenfalls nicht für Leute, die eine ehrliche Analyse der Lage vorgenommen hatten. Jeder, der einen nüchternen Blick auf die Situation geworfen hatte, musste einen klaren Wahlsieg der Allianz für Deutschland vorhersagen; denn es ging nicht mehr um das Ob der Vereinigung, sondern nur noch um das Wann und Wie. Selbst die PDS hatte sich schon opportunistisch auf den Weg in eine deutsche Föderation gemacht. Vor diesem Hintergrund war die klare Linie der Allianz für Deutschland das mit Abstand beste Angebot an die Wählerinnen und Wähler in der DDR.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Trotzdem war es so, dass die medial-politische Öffentlichkeit in Westdeutschland ein völlig anderes Wahlergebnis vorhergesagt hatte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Voll daneben!)

Aber waren es nicht auch die gleichen Leute, die den Zusammenbruch des SED-Systems und den Fall der Mauer auch nicht vorhergesagt hatten?

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Der 18. März 1990 war in Westdeutschland auch das Ende vieler Illusionen vom DDR-System,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

und das muss leider auch gesagt werden: Der Abend des 18. März 1990 markiert auch den Anfang eines offenen Ossi-Bashings durch Teile der westdeutschen Eliten, basierend auf der Enttäuschung, dass die Ostler anders gewählt hatten und sich anders verhielten als gewünscht. Erinnert sei nur an die vielleicht spontane und später von ihm auch bereute Aktion des frisch zur SPD gewechselten Otto Schily, der am Abend des 18. März das schlechte Abschneiden der SPD mit dem Zücken einer Banane kommentierte. Das war die Realität.

Dabei war es eigentlich ganz einfach: Die SPD hat am 18. März so schlecht abgeschnitten, weil sie das schlechtere Konzept für den Weg zur deutschen Einheit hatte – das war der Grund –

(Beifall bei der CDU/CSU)

und weil die DDR-Bürger spürten, dass das Verhältnis zur PDS ein Problem wird.

1990 gab es glasklare Absagen an eine Zusammenarbeit mit der frisch geretteten SED. Aber es gab Zweifel, und die waren mehr als berechtigt. Denn nur vier Jahre später haben sich diese Zweifel leider aufs Bitterste bewahrheitet. Das sogenannte Magdeburger Modell, die Inthronisierung von Rot-Grün in Sachsen-Anhalt durch Duldung der PDS, war meines Erachtens der Kardinalfehler der SPD in Ostdeutschland. Denn dies hat der PDS eine Legitimität verliehen, die sie als direkte SED-Nachfolgepartei nicht hätte bekommen dürfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur als historische Anmerkung: Auch das zu gute Abschneiden der PDS 1990 war nüchtern betrachtet keine Überraschung. Die PDS hat 1990 mit 1,9 Millionen Stimmen weniger Stimmen bekommen, als die SED ein Jahr zuvor Mitglieder hatte, und dies trotz geschickter Strategie und Werbung, trotz eines Medienstars als Spitzenkandidat und trotz einer Manpower, die viel größer und viel besser ausgebildet war als bei jeder anderen Partei. Sie brauchten überhaupt keine Unterstützung aus dem Westen, Herr Gysi, und das wissen Sie ganz genau.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum guten Schluss noch eine Bemerkung zum Abschneiden der Bürgerrechtler. Auch hier hilft ein nüchterner Blick. Aus verschiedenen Gründen hatten diese mutigen Menschen nicht den wirklichen Willen zur Macht und wollten im Land in der Umbruchzeit nicht die volle Verantwortung übernehmen. Dies hätten sie im Dezember 1989 gekonnt. Aber die SED wurde nicht aufgelöst, sondern man gab den alten Eliten mit der Modrow-Regierung die Möglichkeit, sich einige Pfründe zu sichern. Insofern ist das Abschneiden von Bündnis 90 und der Grünen Partei der DDR nicht verwunderlich, sondern folgerichtig, und war mit zusammen knapp 5 Prozent auch gar nicht so schlecht. Das sage ich nicht nur, weil meine Mutter, die damalige Spitzenkandidatin der Grünen, auf der Tribüne sitzt.

Trotzdem – auch das gehört zur Wahrheit dazu – haben die Bürgerrechtler mit der Sicherung der MfS-Akten und der schonungslosen Aufarbeitung der DDR-Diktatur, für die die gesetzlichen Grundlagen in der Volkskammer gelegt wurden, einen unschätzbaren Beitrag zur deutschen Einheit geleistet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dafür gebühren ihnen unser Dank und unser Respekt. Dieses Erbe halten diese Koalition und eine übergroße Mehrheit in diesem Haus bis in die Reihen der Linksfraktion hinein in Ehren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kollegin Iris Gleicke erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4769568
Wahlperiode 18
Sitzung 93
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte anlässlich der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR
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