Katrin Göring-EckardtDIE GRÜNEN - Aktuelle Stunde/ Vorratsdatenspeicherung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe SPD,
(Zurufe von der SPD: Oh! – Christine Lambrecht [SPD]: So freundlich? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So lieb nun auch wieder nicht!)
wie sehr müssen Umfragewerte eigentlich schmerzen, dass Sie glauben, diese Schmerzen mit Vorratsdatenspeicherung lindern zu können?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
80 Millionen Menschen in Deutschland sollen unter Generalverdacht gestellt werden.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Dummes Zeug! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)
Jedes einzelne SPD-Mitglied, Sie und ich und alle anderen, wir alle sind dann gleich verdächtig, ohne Anlass einer Straftat, ohne die Chance, die Überwachungsmaschine irgendwie zu kontrollieren, meine Damen und Herren. Am Ende werden Sie die Daten von Menschen speichern, die weder Terroristen sind noch jemals welche werden,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die speichern wir doch gar nicht!)
von Menschen, die noch nicht einmal je welche getroffen haben. Der Anruf beim Psychologen, der Anruf beim Enkelkind mit Schulstress,
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Oi, oi, oi!)
der Anruf beim Insolvenzberater, das alles wird künftig gespeichert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])
Aber – ich finde, da sollten Sie wirklich zuhören – geschultes Personal, um die 280 Gefährder, die aus Syrien zurückgekehrt sind, zu überwachen, haben Sie nicht, und dieses Ungleichgewicht prangern wir an.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicherheitslücke GroKo!)
Mal ehrlich: Was soll jetzt an der Vorratsdatenspeicherung plötzlich gut sein, die gestern noch schlecht war? Die furchtbaren Terroranschläge von Paris und Kopenhagen können nicht der Grund sein; denn Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung, Dänemark auch. Die Täter waren beide Male polizeibekannt.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber die haben schnell die Täter im Visier gehabt! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Aufklärung!)
Ihre Antwort auf Fehler in der Überwachung ist „mehr Überwachung“, und das ist absurd.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Fakt ist, meine Damen und Herren: Man findet die Nadel im Heuhaufen doch nicht besser, wenn man den Heuhaufen vergrößert.
(Christine Lambrecht [SPD]: Wenn man eine Brille aufsetzt!)
Doch genau das verkündet jetzt der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister seinen leicht verschreckten Genossen via Deutschlandfunk am Wochenende.
Ihre Generalsekretärin hatte gerade noch gesagt:
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Recht hatte sie!)
Und sie hat gesagt: Keine Schnellschüsse.
Am Montag erklärte sie dann: Ja, ein Vorschlag wird „relativ zügig, vermutlich noch in der ersten Jahreshälfte“ vorgelegt. – Wieder steht Ihre Generalsekretärin komplett düpiert da.
Der Bundesjustizminister lässt sein Einknicken noch dementieren, nachdem er schon längst über den Preis verhandelt hat. Heiko Maas, Sie sind doch schon vor Wochen bei den Law-and-Order-Fans der Union unter die Decke gekrochen.
(Christine Lambrecht [SPD]: Jetzt wird es aber gemein!)
Dank Ihrem Parteivorsitzenden weiß das jetzt auch noch jeder.
Liebe SPD, die Wahrheit ist doch: Sie haben eine Weile ein kleines bisschen Bürgerrechtspartei gespielt. Jetzt hat der Parteivorsitzende Sie als solche komplett abgemeldet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Man könnte auch sagen: Wir sind jetzt quasi bei Maut 2; denn jetzt müssten Sie ja ein Gesetz vorlegen, das europarechtskonform und noch dazu verfassungskonform ist. Erinnern Sie sich noch? Die Vorratsdatenspeicherung ist sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Europäischen Gerichtshof gestoppt worden, und jetzt können Sie sich nicht einmal mehr auf eine EU-Richtlinie berufen. Eine Klage gegen Ihre Vorratsdatenspeicherung wird genauso schnell sein wie Ihr Gesetz; das jedenfalls ist sicher. Deshalb ist es auch so unnötig und so ärgerlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich sage Ihnen eines: Die Freiheit, die wir alle gemeinsam am Brandenburger Tor beschworen haben, verteidigt man bestimmt nicht, indem man die Freiheit der Bürger überwacht, sondern, indem man für sie kämpft. Darum geht es doch.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es wird niemand überwacht!)
Sonst haben doch die gewonnen, die uns Angst machen wollen.
Herr Gabriel, je nach Umfrage sind es knapp über die Hälfte bis zu zwei Drittel der Deutschen, die die Vorratsdatenspeicherung ablehnen. Übrigens ist unter sozialdemokratischen Wählerinnen und Wählern die Ablehnung fast mit am höchsten. Das Drittel, das die Datenspeicherung will, wird am Ende bestimmt nicht SPD wählen, weil Sie an einem Wochenende umgekippt sind.
Bis zwölf Monate nach der Bundestagswahl hatte man ja das Gefühl, dass die SPD inhaltlich die treibende Kraft der Koalition wäre: Sie haben den Mindestlohn durchbekommen, Sie haben mit der Rente mit 63 sich kräftig eins eingeschenkt.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Verzicht auf Steuererhöhung!)
Bis Ende letzten Jahres hatte man nach allgemeiner Auffassung den Eindruck, die SPD sei der inhaltlich stärkere Part in der Koalition.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Wir fangen erst an!)
Das hat Sie in den Umfragen auf 25 Prozent gebracht. Manche von Ihnen fanden das ungerecht; vielleicht ist es das auch.
(Zuruf von der SPD: Ja, genau!)
Jetzt räumen Sie das letzte bisschen Unterschied weg.
Dass Sie nicht mehr glauben, den Kanzler stellen zu können, haben wir vernommen. Ich sage Ihnen nach diesem ganzen Drama: Sie können es auch nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michaela Noll [CDU/CSU]: Sie aber auch nicht!)
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4769641 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 93 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde/ Vorratsdatenspeicherung |