Ulla Schmidt - Aktuelle Stunde/ Vorratsdatenspeicherung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Grüne, liebe Frau Göring-Eckardt, Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die gute Arbeit der SPD in der Großen Koalition auch nur ansatzweise durch unsere sehr konstruktive Diskussion zur Vorratsdatenspeicherung geschmälert wird.
(Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider! Und wir sorgen uns!)
Ich kann nicht verhehlen, dass auch ich gehofft hatte, dass mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes die Vorratsdatenspeicherung für immer begraben ist.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber spätestens seit den Schüssen in Paris, seit diesem feigen Attentat auf die Meinungs- und Pressefreiheit war uns allen wohl klar: Die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung ist neu eröffnet.
Es ist keine leichte Debatte, nicht in der SPD, aber auch nicht in der Gesellschaft; denn wenn eine Bedrohung durch Terrorismus faktisch vorhanden ist, wenn Menschen Angst davor haben, Opfer eines Anschlags zu werden, dann hat Politik die klare Verantwortung, alles dafür zu tun, um die Menschen in diesem Land zu schützen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Instrumente, die wir dafür in die Hand nehmen, müssen aber auch dazu geeignet sein, dieses Ziel von mehr Sicherheit zu erreichen.
(Beifall bei der SPD)
Ob die Vorratsdatenspeicherung diesen Nachweis erbringen kann, ist bis heute zweifelhaft. Diesem zweifelhaften Nutzen steht auf der anderen Seite ein Eingriff in verfassungsmäßig garantierte Rechte gegenüber, der gleichzeitig auch ein Risiko für unser demokratisches System darstellt.
(Beifall bei der SPD)
Denn Demokratie braucht einen Raum, in dem Meinungsfreiheit unabhängig von der latenten Möglichkeit staatlicher Kontrolle bestehen kann. Demokratie muss Kommunikation frei von staatlicher Überwachung möglich machen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Das muss unsere Richtschnur für alles politische Handeln sein.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird ja spannend bei der Abstimmung! Da freue ich mich schon!)
– Das wird es, Herr von Notz, seien Sie sich sicher.
Mein Anspruch an die weitere Debatte zur Vorratsdatenspeicherung ist zum einen, dass wir uns nach dem Anschlag auf die Freiheitsrechte, den wir alle beklagt haben, bewusst sind, dass wir diese Werte nicht verteidigen, indem wir sie gleichzeitig einschränken.
(Beifall der Abg. Frank Tempel [DIE LINKE] und Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])
Ich wünsche mir aber auch, dass wir diese Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung nicht so führen, als hätte es ein Urteil des höchsten europäischen Gerichts nicht gegeben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege Strobl, hören Sie zu!)
Der EuGH hat die Hürden für einen erneuten Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung unglaublich hoch gelegt. Man muss sich wirklich klarmachen: Nach diesem Urteil kann es eine anlasslose Speicherung von Daten auf Vorrat nur noch sehr schwer geben, sodass ich mir eine grundrechtskonforme Ausgestaltung, die den Namen Vorratsdatenspeicherung auch verdient, nur sehr schwer vorstellen kann.
(Zuruf des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU])
Allerdings gab es auch schon andere Sachen, die meine Vorstellungskraft überstiegen haben und trotzdem eingetreten sind.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Zum Beispiel konnte ich mir am Anfang der Legislatur nicht vorstellen, dass wir zusammen mit der Union einen Mindestlohn und eine Frauenquote beschließen würden.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Pkw-Maut! – Gegenruf des Abg. Lars Klingbeil [SPD]: Die ist noch nicht verabschiedet! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat mit der Vorratsdatenspeicherung jetzt aber nichts zu tun!)
Das ist eingetreten, und darüber bin ich unglaublich froh.
(Beifall bei der SPD)
Als ich noch klein war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es jemals einen anderen Kanzler als Helmut Kohl geben kann – bis Gerhard Schröder kam und ich merkte: Es geht auch noch besser.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wenn die Grünen dabei sind! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Oh ja! Da war ja alles besser! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber jetzt ist es noch besser! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Mit Frau Merkel geht es uns noch besser!)
All diese Dinge sind eingetreten, obwohl sie meine Vorstellungskraft deutlich überstiegen haben. Seien wir also gespannt, wie es mit der Vorratsdatenspeicherung weitergeht. Fest steht in jedem Fall – das sage ich auch in Richtung Union –: Eine nationale Gesetzgebung, die hinter dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zurückbleibt, darf es in Deutschland nicht geben.
(Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie jetzt nur noch Sigmar Gabriel mitteilen! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das sagt doch auch keiner!)
Trotz all dieser problematischen Aspekte gibt es einen Punkt, der mich dennoch positiv in die Zukunft blicken lässt. Das ist die Tatsache, dass ich die Debatte in den Händen eines Justizministers weiß, der in den vergangenen Monaten mehr als deutlich gemacht hat, dass Bürgerrechte für ihn nichts sind, was man leichtfertig aufs Spiel setzt, dass Bürgerrechte nicht nur Orientierung, sondern auch Grundlage politischen Handelns sein müssen. Heiko Maas hat in den letzten Monaten deutlich gemacht, dass wir als SPD ein klares bürgerrechtliches Profil haben,
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wegen! Das hat er abgeschafft!)
das wir in Zukunft weiter stärken und für das wir auch weiter kämpfen werden.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte um Freiheit und Sicherheit in einer Welt, die zunehmend von Brutalität, Grausamkeit und Terrorismus geprägt ist, ist sicher nicht einfach. Es gibt keine leichten politischen Antworten auf globale Bedrohungen, die unser gesamtes Wertesystem infrage stellen. Was es aber gibt, sind Rechte, die jedem Einzelnen von uns zustehen, weil sie das garantieren, was uns als Menschen ausmacht.
Freiheit ist ein großes Wort. Das, was Freiheitsrechte umfasst, gilt es zu bewahren; denn es ist Teil der Würde jedes Einzelnen von uns.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!)
Ich glaube daran und vertraue darauf, dass sich diejenigen, die nun in der Verantwortung sind, sicherheitspolitische Antworten auf internationale Bedrohungen zu formulieren, dieser Grundlage unserer Verfassung und unserer Demokratie bewusst sind und verantwortungsvoll damit umgehen werden.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4769737 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 93 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde/ Vorratsdatenspeicherung |