Christian FlisekSPD - Aktuelle Stunde/ Vorratsdatenspeicherung
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage nach der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und Europa ist eine seit vielen Jahren hoch emotional geführte Debatte, so auch heute. Das hat Gründe, gute Gründe. Bereits die ersten gesetzgeberischen Umsetzungsversuche waren von äußerst kontroversen Diskussionen geprägt. Man muss ja aus heutiger Sicht von Umsetzungsversuchen sprechen; denn sowohl der deutsche Ansatz als auch die europäische Richtlinie wurden von den jeweils höchsten Gerichten – man kann es nicht anders sagen – in der Luft zerrissen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat bei seiner Entscheidung im Jahre 2010 klare Worte gefunden. Es hat in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung von „Grundrechtseingriffen“ gesprochen, die mit einer „Streubreite“ verbunden sind, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Dass das höchste deutsche Verfassungsgericht hier den Begriff „Streubreite“ verwendet, zeigt eines deutlich: dass den ursprünglichen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung etwas nicht Kontrollierbares, etwas Willkürliches anhaftete. Und willkürliche, nicht kontrollierbare staatliche Maßnahmen sind nach unserem Grundrechtsverständnis unverhältnismäßig und daher auch nicht mit den Grundsätzen unseres Grundgesetzes vereinbar.
(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])
Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass eine uneingeschränkte, anlasslose und flächendeckende Speicherung von Daten verfassungswidrig ist. Auch wenn sich unser Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof vielleicht nicht immer in allen Fragen einig sind, so sind sie es zumindest bei der Vorratsdatenspeicherung.
Der EuGH hat in seiner Entscheidung aus dem letzten Jahr kritisiert, dass die Vorratsdaten-Richtlinie der EU auch Personen erfasst, bei denen keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte.
Gleichwohl haben beide Gerichte – das ist heute auch schon deutlich geworden – nicht von einem generellen Verbot jeglicher Vorratsdatenspeicherung gesprochen.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Es verbleibt also ein sehr enger Möglichkeitsraum, ein Raum, der durch sehr restriktive verfassungsrechtliche und europarechtliche Vorgaben abgesteckt ist.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Vakuum!)
Insofern verwundert es mich auch nicht, dass nunmehr die Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung – ich hoffe, Sie hören heraus, dass ich nicht zu den eifrigsten Befürwortern gehöre –
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Dann verbessern Sie sie!)
in Konsequenz dazu aufrufen, diesen Möglichkeitsraum auch auszuloten.
Ich sage, das kann man machen. Aber jeder, der das will, muss sich auch darüber im Klaren sein, welche unverhandelbaren Kriterien aufgrund der klaren rechtlichen Vorgaben hierbei zu erfüllen sind.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber das ist doch absolut richtig!)
Da geht es um kurze Speicherfristen und um eine Differenzierung je nach Art der erhobenen Daten. Da geht es um eine klare Zweckbestimmung, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker, also um einen bestimmten Katalog schwerster Straftaten. Lassen Sie mich auch das sagen: Dazu gehören Urheberrechtsverletzungen, so wichtig deren Ahndung auch ist, nicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU])
Da geht es um einen umfassenden Schutz von Berufsgeheimnisträgern, und da geht es auch um die Lösung des Problems – das wurde heute schon angesprochen –, dass bereits das erste Speichern der Daten, also die Anlage des großen Heuhaufens, wenn Sie so wollen, den eigentlichen Grundrechtseingriff darstellt. Wir dürfen nicht so tun, als würden die obersten Gerichte dieses Landes das anlasslose Sammeln solcher Daten auf Vorrat ohne Restriktionen erlauben und quasi erst den Griff in den Heuhaufen als Eingriff bewerten. Das ist eine falsche Auslegung der Urteile.
Wenn das aber so ist, dann stellen die genannten Restriktionen in ihrer Umsetzung erhebliche Probleme dar. Wie soll ein Berufsgeheimnisträgerschutz bereits beim anlasslosen Sammeln der Daten gewährleistet sein? Wie ist ein wirksamer Richtervorbehalt umzusetzen, der nicht nur die Abfrage von Daten durch Behörden aus Anlass eines Einzelfalles erlaubt, sondern bereits das Ob der Speicherung selbst regeln muss?
Vielleicht sind dies alles keine unlösbaren Probleme. Aber man wird im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung am Ende die Frage stellen müssen: Wenn schon die alte, große Vorratsdatenspeicherung den Beweis schuldig geblieben ist, dass sie zur Verbrechensbekämpfung beigetragen hat, dann stellt sich diese Frage erst recht für eine Vorratsdatenspeicherung light. Wenn am Ende die Geeignetheit eines solchen Gesetzes infrage steht, dann sollte man in der Tat einen kurzen Moment innehalten und sich die Frage nach der richtigen Antwort auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes stellen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eines sagen: Die Welt hat sich seit 2006 und 2007 erheblich verändert. Im NSA-Untersuchungsausschuss arbeiten wir den gesamten Komplex der Enthüllungen von Edward Snowden aktuell auf, und wir werden bis zum Ende der Legislaturperiode brauchen. Doch eines wird man heute schon sagen können, nämlich dass sich bei der NSA mit aller Wahrscheinlichkeit die größte Vorratsdatenspeicherung befunden hat, die die Welt je gesehen hat. Und das hat Konsequenzen – zumindest die, dass die Bürger in diesem Land sehr genau beobachten, was von staatlicher Seite, aber auch vonseiten der IT-Unternehmen mit ihren persönlichen Daten passiert. Und das tun sie völlig zu Recht.
Die Koalition hat vereinbart, dass namentlich der Bundesinnenminister und der Bundesjustizminister den sehr engen Möglichkeitsraum nun ausloten sollen. Das ist kein leichtes Unterfangen. Wir als Parlamentarier werden diesen Prozess intensiv begleiten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Und konstruktiv!)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4769748 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 93 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde/ Vorratsdatenspeicherung |