Katrin Göring-EckardtDIE GRÜNEN - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Oppermann, dass Sie in Ihrer Rede den eigenen Leuten Mut zusprechen, was die Arbeit in der Koalition angeht, und von Hoffnung reden, von der man lesen kann, dass Sie sie aufgegeben haben, ist gut. Das hat mit der Debatte jedoch wenig zu tun. Aber eines will ich Ihnen schon sagen: Wenn Sie hier darüber reden, dass Sie die Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge in den Kommunen übernehmen wollen, dann müssen Sie das machen, statt dies seit Wochen und Monaten nur anzukündigen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Meine Damen und Herren, vor drei Wochen haben wir an dieser Stelle mit wirklich überwältigender Mehrheit einer Verlängerung der Griechenland-Hilfe um vier Monate zugestimmt. Wir haben gemeinsam gesagt: Griechenland braucht Zeit. Wir alle wissen: Vier Monate sind nicht viel Zeit.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Man muss anfangen, zu arbeiten!)
Ob man diese Zeit unbedingt mit ziemlich undiplomatischem Gebettel hier und dort verbringen muss, sei dahingestellt. Wahrscheinlich wäre mehr Demut an der einen oder anderen Stelle angebracht gewesen. Ehrlich gesagt: Wenn die griechische Regierung gesagt hätte: „Liebe Europäer, wir sind neu in der Regierung. Wir wollen und müssen unser Land wieder aufbauen und den Menschen Mut machen, und dafür brauchen wir etwas mehr Zeit“: Wer hätte es ihnen verdenken wollen? Mehr Verständnis hätte man wahrscheinlich nicht bekommen können.
Aber unabhängig davon, ob der Ton nun die Musik macht oder nicht: Es ist, glaube ich, nicht angebracht, mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Es geht nicht einfach nur um Hilfen für Griechenland. Es geht darum, dass wir als Europäerinnen und Europäer handeln, dass wir das gemeinsam tun, dass wir gemeinsam stolze Europäerinnen und Europäer sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])
Deswegen ist es natürlich extrem wichtig, dass die Reformschritte umgesetzt werden; das ist selbstverständlich. Aber es ist eben genauso wichtig, dass in das Land hinein mit Reformen agiert wird, die den Menschen dort Hoffnung geben.
Stellen Sie sich doch einmal kurz vor, unsere Arbeitslosenquote läge bei über 25 Prozent, und stellen Sie sich vor, wir hätten eine junge Generation, die sich selbst für eine verlorene Generation hält: Wie würden wir agieren? Wie würden wir handeln? Deswegen sage ich ganz klar und deutlich: Es ist richtig, dass das griechische Parlament jetzt gesagt hat: Wir müssen den Ärmsten der Armen in unserem Land helfen, und zwar sofort.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir hatten über 5 Millionen Arbeitslose!)
Vor Ihrem Treffen in Brüssel muss man eines klar sagen: Es ist richtig, zu diskutieren – so haben Sie das gesagt –; das gilt auch für das Treffen am Montag mit Herrn Tsipras. Es ist auch richtig, Auseinandersetzungen zu führen. Aber dazu gehört natürlich auch ein kleines bisschen Selbstkritik. Ja, es wurden Fehler gemacht, nicht nur in Griechenland, sondern eben auch von der Euro-Gruppe und von der Troika.
Der größte Fehler ist es, dass stur an einer einseitigen Sparpolitik festgehalten wurde. Bei aller Sympathie für Reformen und für mehr Einnahmen: Wir alle wissen, dass man Steuerverwaltungen nicht über Nacht aufbaut. Frau Merkel, ich habe heute sehr wohl und sehr gern gehört, dass Sie von „Kreativität“ und „Vertragstreue“ geredet haben. Das ging wohl eindeutig an Herrn Schäuble und die CSU.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auf der anderen Seite frage ich mich, woher die Haltung kommt, dass Sie sagen: Die Krise hat ihren Ausgangspunkt in Griechenland genommen. – Darüber muss man historisch sicher noch einmal reden. Das klingt so ein bisschen wie: Ihr habt doch angefangen. Jetzt verhaltet euch gefälligst ordentlich! – Ich finde, so etwas kann man nicht sagen. Die Euro-Krise hat nicht in Griechenland begonnen. Sie hat mit der Finanzkrise begonnen; sie hat zum Beispiel in Spanien begonnen. Aber jetzt den Griechen einseitig die Schuld zuzuschieben und zu sagen, sie seien diejenigen, durch die alles so schlimm geworden sei, ist Quatsch. So sollte man in diesen Tagen auch nicht verhandeln.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich will mich in der Frage des Grexit Herrn Oppermann ausdrücklich anschließen. Er würde teurer, und er würde für Europa politisch, außenpolitisch und ökonomisch eine Katastrophe bedeuten. Deswegen sage ich allen, vor allen Dingen Ihnen in der Union: Denken Sie darüber nach, wie es mit den Hilfen für Griechenland weitergeht. Tun Sie nicht so, als könne man Griechenland aus Europa wie einen Blinddarm aus einem Körper herausoperieren und danach einfach weitermachen. – Wir brauchen weitere Hilfe und weitere Unterstützung. Dabei geht es um das gemeinsame Europa.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Selbstverständlich ist die Euro-Krise kein geeigneter Zeitpunkt, um über Kriegsentschädigungen für Naziverbrechen zu reden.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Allerdings ist das Thema zumindest bei den Zwangsanleihen weder moralisch noch rechtlich so eindeutig geklärt, wie uns manche in der Bundesregierung glauben lassen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich sage Ihnen offen: Ich finde, wir sind seit Jahrzehnten in Deutschland nicht mehr so barsch und mit so wenig Fingerspitzengefühl gegenüber den Opfern des deutschen Terrorregimes im Ausland während der Nazizeit aufgetreten wie die Bundesregierung in den vergangenen Tagen gegenüber Griechenland. Gesprächsbereitschaft muss sich von selbst verstehen. Und nein, es gibt keinen Schlussstrich bei der Aufarbeitung der furchtbaren Gräueltaten des Naziregimes, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Frau Merkel, meine Damen und Herren, vorgestern hat der Zyklon „Pam“ den Inselstaat Vanuatu mit ungeheurer Wucht heimgesucht. Er ist ein weiteres Opfer der Klimakrise. Frau Merkel, wir haben Ihnen genau zugehört. Zu Recht haben Sie die europäische Debatte mit den Klimazielen verbunden. Offen geblieben ist allerdings, was Sie wirklich vorhaben. Eine Energieunion als Integrationsschritt für Europa könnte tatsächlich ein Meilenstein sein, und wenn Sie Ihre Worte ernst meinten, dann könnten Sie aus der Energieunion eine echte Klimaunion machen. Denn die Zukunft einer sicheren und sauberen Energieversorgung in Europa liegt in den erneuerbaren Energien.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Aber was jetzt diskutiert wird, ist leider vor allem eine Fortsetzung der unambitionierten Klimapolitik. Die entscheidenden heimischen Energieträger sind nicht Kohle, Gas und Öl, sondern die Erneuerbaren, und es geht natürlich auch um Energieeffizienz. Die Energieunion ist eine Chance, uns von russischem Gas unabhängig zu machen, aber nicht, aber bestimmt nicht dadurch, dass man auf Energielieferanten aus autokratischen Staaten wie Aserbaidschan, Katar oder Saudi-Arabien setzt.
Klimaunion bedeutet auch: Setzen Sie endlich und mit Nachdruck auf die Erreichung der Klimaziele! Das ist selbstverständlich wichtig, aber das werden Sie nur dann erreichen, wenn Sie auf die erneuerbaren Energien setzen, und zwar mit aller Kraft und Kreativität, die uns in Deutschland zur Verfügung stehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
In diesem Zusammenhang ist eine Nebenbemerkung notwendig. Ich frage mich jedenfalls, warum Sie, wenn es um den Ankauf von Gas geht, die Osteuropäer bei der Zusammenarbeit im Regen stehen lassen. Wir können doch nicht einfach sagen: Unsere Verträge mit Russland sind so prima und wichtig, dass uns alles egal ist, was wir sonst zu einem gemeinsamen Europa sagen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen sage ich klar und deutlich: Vor den Klimagipfeln ist es notwendig und dringend, dass Sie dafür sorgen, dass die Klimaziele tatsächlich erreicht werden.
Abschließend will ich etwas zur Ukraine sagen. Dass sich die Annexion der Krim zum ersten Mal jährt, ist für uns ein Anlass, noch einmal klarzumachen: Diese Annexion ist ein Bruch des Völkerrechts.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)
Es ist gut, dass in Minsk verhandelt worden ist, und es ist gut, dass die OSZE besser ausgestattet wird.
Für uns gibt es ganz aktuell etwas zu tun, wovon wir nicht absehen können: Die 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge brauchen dringend mehr Unterstützung durch humanitäre Hilfe, damit nicht jemand wie Putin recht behält, der es gerne sehen würde, dass die Destabilisierung der Ukraine weitergeht. Deswegen gehört die humanitäre Hilfe genauso dazu wie die Verhandlungen in Minsk und das Überprüfen der Einhaltung der Vereinbarungen dort.
Meine Damen und Herren, legen Sie in der Bundesregierung den Hebel um! Die Menschen dort brauchen dringend Hilfe, und zwar jetzt.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4772087 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 94 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |