19.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 94 / Tagesordnungspunkt 4

Volker KauderCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bei den Themen, um die es beim Europäischen Rat in Brüssel gehen soll, fällt einem auf, dass das Thema Griechenland, das uns sehr intensiv beschäftigt, eher inoffiziell eine Rolle spielt, als dass es offiziell auf der Tagesordnung steht, dass aber einige Fragen, die ebenfalls für uns von großer Bedeutung sind, ganz vorne stehen. Zum einen hat die Bundeskanzlerin über Initiativen für Wachstum und Beschäftigung und in Verbindung damit über Strukturreformen gesprochen. Das zweite Thema ist der Klimagipfel. Zu all diesen Themen möchte ich einige kurze Anmerkungen machen.

Ja, es ist richtig: Über den Diskussionen, wie wir Griechenland in eine bessere Zukunft führen können, dürfen wir nicht vergessen, dass es in Europa noch eine Reihe von weiteren Ländern gibt, die dringend Initiativen für Wachstum und Beschäftigung brauchen. Deshalb ist es auch richtig, dass der Fonds, der jetzt in Europa aufgelegt wird, mit Inhalten versehen wird und das Europäische Parlament sehr schnell zu entsprechenden Beschlüssen kommt.

Gestern war der portugiesische Botschafter bei mir und hat darauf hingewiesen, dass Portugal dringend Unterstützung bei Investitionen in eine moderne Infrastruktur und bei Beschäftigung brauche. Er hat weiter darauf verwiesen, dass das Ausbildungsmodell in Deutschland, die duale Ausbildung, genau der richtige Weg sei und man sich in Europa ein wenig mehr darauf besinnen müsse, dass der Mensch nicht erst beim Akademiker anfange, sondern dass es mindestens so viele qualifizierte Facharbeiter für die Betriebe geben sollte, wie wir Akademiker an Universitäten ausbilden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dazu müsste man, wie er angeregt hat, bei allen europäischen Debatten nicht nur, wie von der OECD formuliert worden ist, eine Akademikerquote festlegen, sondern auch sagen, dass mehr in die berufliche Ausbildung investiert werden müsse. Dies machen wir in Deutschland. Da bin ich Frau Wanka außerordentlich dankbar, dass sie genau diesen Zusammenhang immer wieder herstellt.

Frau Nahles, wir reden immer wieder darüber, dass wir Zuwanderung von Fachkräften brauchen. Ich will hierzu ein Beispiel aus meiner Region nennen: Die Wirtschaftsverbände haben festgestellt, dass bis 2020 15 000 zusätzliche Arbeitskräfte gebraucht werden. Auf die Frage, welche das sein sollen, antworteten diese: Wir brauchen maximal 3 000 Ingenieure, aber 12 000 Mechatroniker und andere Facharbeiter. – Diese bekommen wir auf der ganzen Welt nicht, wir müssen sie schon in Europa selbst ausbilden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist das Thema berufliche Bildung von solch großer Bedeutung. Ich würde, Frau Bundeskanzlerin, darum bitten, wenn man von Investitionen und Innovationsstrukturänderungen spricht, nicht nur die universitäre Ausbildung zu sehen, sondern auch diesen Punkt in Europa voranzubringen.

Das zweite Thema, wenn wir über Wachstum und Innovation sprechen, bleibt natürlich – auch darauf hat der portugiesische Botschafter gestern hingewiesen –, dass wir mehr in Zukunftsbereiche investieren müssen. Da sind wir in Europa, was die Start-ups, was den modernen Bereich der Digitalisierung angeht, nicht wirklich die wahren Helden. Deswegen würde ich mir wünschen, dass gerade für diesen Bereich mehr getan wird und mehr in ihn investiert wird. Es darf uns in Europa nicht ruhen lassen, dass alles, was mit „digital“ in Zusammenhang steht, bei uns kaum stattfindet. Es darf auf Dauer nicht sein, dass es nur Google, nur Yahoo und andere gibt, wir in Europa aber keine entsprechenden Firmen und Kapazitäten haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das darf uns nicht ruhen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist nicht nur eine Frage der In-frastruktur, sondern auch eine Frage, wie wir es schaffen, gerade junge Menschen zu motivieren, sich in diesen Bereichen selbstständig zu machen und in diese Bereiche eine Zukunftsinvestition einzubringen.

Wenn wir darüber sprechen, dass wir natürlich Investitionen brauchen – Thomas Oppermann hat darauf hingewiesen –, können wir in Europa melden: Wir tun genau dies in unserem Land. Wir investieren in Infrastruktur. – Ein Programm im Umfang von rund 15 Milliarden Euro ist auf den Weg gebracht worden, durch das in die Infrastruktur investiert und auch unseren Kommunen Geld für die Infrastruktur gegeben wird. Das unterstützen wir.

Aber natürlich muss auch bei uns gelten, was in Europa gilt: Allein bei den 15 Milliarden Euro, die wir zusätzlich für die Infrastruktur und für die Kommunen geben, kann es nicht bleiben. Es muss auch mit den Ländern darüber gesprochen werden, dass sie ihren Beitrag leisten, die Kommunen finanziell entsprechend auszustatten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Es liegt nicht nur daran, dass die Kommunen in Baden-Württemberg im Süden Deutschlands liegen, sondern es liegt natürlich auch daran, dass man mitmacht bei der Erneuerung von Strukturen, bei neuen Aufgaben, wenn es darum geht, Dinge, die eben nicht mehr gehen, zu ändern und neue aufzubauen. Da, muss ich sagen, müssen die Länder einen Beitrag leisten. Es reicht nicht aus, dass wir jetzt sagen: Okay, vor allem in Nordrhein- Westfalen unterstützen wir Kommunen. – Aber es muss etwas getan werden, damit dies nicht zu einer Daueraufgabe für den Bund wird. Auch darum, würde ich meinen, geht es bei diesen Themen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Nun sind wir beim Thema Europa. Selbstverständlich haben wir immer formuliert – da sind wir uns in der Koalition einig; wie die letzte Abstimmung dazu hier im Deutschen Bundestag gezeigt hat, besteht diese Einigkeit auch in weiten Bereichen dieses Parlaments –: Wir wollen Europa und die Euro-Zone zusammenhalten. Das ist gerade auch im Hinblick auf das, was sich in der Weltpolitik ereignet, von besonderer Bedeutung. Niemand von uns hat ein Interesse daran oder kann gar Freude darüber empfinden – Putin würde sich freuen –, wenn es in Europa kriselt und wir nicht mehr zusammenhalten. Die Botschaft muss ja eine andere sein: Wir treten mit einem starken und einigen Europa gegen das an, wovon dieser Mann glaubt, er könne es sich in Europa leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist doch die Position, die wir formulieren. Dazu müssen alle in Europa ihren Beitrag leisten, und sie müssen es auch politisch wollen und entsprechend formulieren.

(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie auch!)

Wir haben klipp und klar erklärt: Es bleibt dabei, dass wir solidarisch zusammenstehen. Aber es ist auch klar, dass das, was miteinander vereinbart wurde, auch eingehalten werden muss.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dirk Becker [SPD] und Thomas Oppermann [SPD])

Das Wesentlichste in der Politik ist nicht nur das Formulieren von gemeinsamen Zielen, sondern dass man sich aufeinander verlassen können muss. Das wissen gerade wir in der Koalition. Da kann man manche Diskussion austragen; aber man muss wissen, dass man sich aufeinander verlassen können muss. Wenn das nicht mehr gewährleistet ist, gehen die Dinge schief.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Genau an diesem Punkt, finde ich, haben wir allen Grund, Griechenland zu sagen: Das müsst ihr auch einhalten und verstehen. – Wenn ich heute lese, dass die Griechen die Institutionen, wie sie es nennen – die Troika –, wieder rausgeworfen haben und mit ihnen nicht zusammenarbeiten wollen, dann kann ich nur sagen: Es gibt zu dieser Zusammenarbeit nun wirklich keine Alternative. Entweder wird es gemacht, oder wir können die Voraussetzungen nicht schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde, da darf es auch keine Kompromisse geben.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Mehr Kreativität“ hat Ihre Kanzlerin gesagt!)

– Frau Göring-Eckardt, zu den Grünen hat Thomas Oppermann ja alles gesagt. Da fällt einem wirklich nichts mehr ein.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)

Nicht derjenige gefährdet die Zukunft Europas, der Griechenland jetzt nicht einfach nachgibt; vielmehr gefährdet man Europa, wenn man einfach nachgibt,wenn nichts mehr gilt, was man miteinander vereinbart hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich will noch einmal den portugiesischen Botschafter zitieren – er hat mir ausdrücklich gesagt: Herr Kauder, das können Sie öffentlich verwenden –: Wenn man Griechenland jetzt auf eine Art und Weise nachgibt, wie es nicht in Ordnung ist, dann kann ich in meinem Land nicht mehr erklären, warum die Menschen überhaupt Opfer auf sich genommen haben und auch in Zukunft noch Opfer auf sich nehmen sollten.

(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)

Deswegen gilt: Gleiche Positionen für alle in Europa!

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich kann nur hoffen, dass dies auch die Position ist, die man in Europa vertritt.

(Zurufe von der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen natürlich auch, dass gerade junge Menschen Perspektiven haben. Deswegen habe ich von der Bildung gesprochen. Investitionen in Bildung sind auch in Griechenland von zentraler Bedeutung.

Wir haben als weiteres Thema das Klima. Wir haben uns in Deutschland auf Klimaziele verpflichtet. Wir treiben den Ausbau der erneuerbaren Energien voran. Da braucht man uns überhaupt nicht zu ermahnen. Ich kann verstehen, dass den Grünen das ein bisschen schwerfällt, nachdem ihnen ein Hauptthema genommen worden ist und jetzt das Thema Landwirtschaft das Thema Energie ersetzen soll. Darüber können wir anderweitig einmal reden.

Aber es ist natürlich auch klar, Frau Göring-Eckardt: Man kann nicht sagen: „Es muss mehr für das Klima getan werden“, und dann, wenn wir versuchen, ein Programm zur energetischen Gebäudesanierung auf den Weg zu bringen – damit kann am meisten für das Klima getan werden –, die grünen Beteiligten an Landesregierungen das Programm im Bundesrat kippen – wegen ein bisschen Steuerausfällen. Das ist keine moralische Position, die man vertreten kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben etwas Grundlegendes nicht mitgekriegt! Herr Seehofer hat das abgesagt im Koalitionsausschuss!)

– Das stimmt ja gar nicht.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch Zeitung! Herr Seehofer hat das abgesagt! Das ist so ein Quatsch, was Sie da erzählen!)

Deswegen rate ich dringend Folgendes, wenn wir das Thema noch einmal ansprechen. Man kann nicht einfach rufen: Wolfgang Schäuble hat enorme Steuereinnahmen. – Das haben die Länder auch. Moralisch richtig wäre, zu sagen: Wir machen dieses Programm zur energetischen Gebäudesanierung. Wir alle haben mehr Einnahmen und können dann auch ein bisschen mehr ausgeben.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie mal mit Herrn Seehofer! Ich weiß nicht, ob Sie den kennen! Haben Sie schon mal mit Herrn Seehofer geredet? Kennen Sie den?)

Ich würde Sie ermutigen, genau das zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Kauder, darf der Kollege Krischer eine Zwischenfrage stellen?

Nein.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie Angst? – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

– Sie sind doch nachher selber dran. – Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Reden und Handeln in diesen Fragen zusammenpassen müssen. Wir sind bereit, diesen Beitrag für mehr Klimaschutz zu leisten. Vielleicht gelingt es ja im Rahmen der Bund-Länder-Verhandlungen, bei diesem Thema zu einer Lösung zu kommen. Im Übrigen kann ich nur sagen: Das ständige Hin- und Herschieben löst das Problem wirklich nicht. Ich bin zuversichtlich, dass die Vernunft in diesem Punkt obsiegen kann.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Herr Seehofer bald Vernunft annimmt!)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Bundeskanzlerin hat in Brüssel wichtige Themen zu besprechen, zu beraten. Ich bin dankbar dafür, dass die Bundesregierung in diesen Fragen zu einer einheitlichen Position gekommen ist. Wir in der Koalition tragen dies mit.

Ein Letztes. Die Große Koalition hat diesem Land in den letzten Monaten, seit ihrem Bestehen, eine gute Regierung gestellt. Da bin ich ganz der Meinung von Thomas Oppermann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben bei den großen Herausforderungen in Europa und in der Welt – Ukraine und Russland – immer gemeinsam eine Lösung auf den Weg bringen können.

Natürlich gibt es in einer Koalition immer wieder das eine oder andere Knirschen. Ich erinnere mich sehr gut an Rot-Grün und daran, was dort alles los war.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte an Schwarz-Gelb! Bei Rot-Grün war ich nicht dabei! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Ja, Frau Roth, natürlich. Die Vergangenheit wird verklärt, aber Sie selber wissen, dass es so war,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

dass Sie unter mancher Aussage des Basta-Kanzlers besonders gelitten haben.

(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das war ein einziges Zitat! Einmal „Basta!“ und sonst nicht!)

So knirscht es auch hin und wieder einmal bei uns. Aber ich will sagen: Wir arbeiten die Koalitionsvereinbarung konsequent ab. Wir haben gerade eine gesetzliche Grundlage für das Deutsche Institut für Menschenrechte auf den Weg gebracht. Das war ein Punkt, von dem viele geglaubt haben, dass es da gar nicht zusammengeht. Wir haben noch ein paar wichtige Themen vor uns. Diese Koalition dient dem Land in vorbildlicher Weise. Das mag der Opposition nicht passen, aber die Menschen im Land sehen es anders. Dort ist die Große Koalition zu Recht beliebt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Krischer das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4773972
Wahlperiode 18
Sitzung 94
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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