Matern von MarschallCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss dieser Debatte darf ich – darüber freue ich mich auch – darauf hinweisen, dass die Federführung dieser Debatte im Europaausschuss liegt. Ich freue mich auch deswegen, das zu sagen, weil wir in diesem Jahr 25 Jahre deutsche Einheit feiern und weil letzten Endes der Europaausschuss mit seinen Aufgaben eine Folge des Wegfalls des Grundgesetzartikels zur deutschen Wiedervereinigung ist und dieser Ausschuss im Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag eingeführt worden ist. Das ist besonders schön. Wir nehmen diese Aufgabe zur vertieften europäischen Einigung sehr ernst. Dafür danke ich allen Kolleginnen und Kollegen sehr.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich glaube, trotzdem darauf hinweisen zu müssen – das betrifft den gestrigen Tag und die zum Teil gewalttätigen Ausschreitungen vor der EZB –, dass es für die meisten Kollegen im Europaausschuss sehr schmerzhaft gewesen ist, die absolut unerträglichen Äußerungen von Abgeordneten der Linken wahrzunehmen, mit denen die Arbeit der Bundesregierung zur europäischen Einheit, die besonders die Bundeskanzlerin, der Bundesaußenminister und der Bundesfinanzminister seit Jahren unermüdlich vorantreiben, diskreditiert und diffamiert wird. Da muss ich sagen, Herr Dr. Dehm: Die EZB des „Staatsterrorismus“ zu bezichtigen, ist wirklich unsäglich. Ich muss auch sagen, Herr Ulrich: Wenn Sie den Bundesfinanzminister – das haben Sie gestern so formuliert – „zutiefst antieuropäischer“ Neigungen bezichtigen, dann ist das genauso unerträglich.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Im Gegenteil: Es ist doch so, dass wir gerade der Bundeskanzlerin und gerade dem Bundesfinanzminister zu tiefem Dank verpflichtet sind, dass sie ihre Arbeit in dieser Unermüdlichkeit auch mit Blick auf Russland und mit Blick auf Griechenland seit vielen Monaten in Situationen fortsetzen, in denen man kaum noch Hoffnung haben kann und in denen trotzdem beide, die Kanzlerin und der Finanzminister, gezeigt haben, dass jede Chance genutzt werden muss, um auch bei geringer oder sogar winziger Hoffnung den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen und den Partner zum Einlenken und zu deutlichen und klaren Verpflichtungen zu bewegen.
Mit Blick auf den Europäischen Rat seien hier einige Anmerkungen gestattet. Eine Anmerkung bezieht sich auf das Europäische Semester. Das hört sich etwas komisch an, aber es ist im Grunde ein Warnmechanismus, der nach der europäischen Krise eingeführt worden ist, um ökonomische Blasenbildungen frühzeitig zu erkennen.
Nun hat sich gerade Deutschland für die Einführung dieses Europäischen Semesters eingesetzt. Es ist trotzdem etwas merkwürdig, dass die makroökonomische Bewertung Deutschlands in einer Situation herabgestuft worden ist, in der es Deutschland kaum besser gehen könnte. Ich denke an den Mindestlohn, an steigende Reallöhne, an eine hervorragende und übrigens durchaus wünschenswerte starke Exportquote. Ich glaube, die Kommission hätte die Herabstufung vielleicht nicht vorgenommen, wenn sie bereits zum Zeitpunkt der Berichterstattung gewusst hätte, dass aufgrund der starken Wirtschaftskraft in Deutschland weitere 10 Milliarden Euro für öffentliche Investitionen zur Verfügung stehen. Dafür herzlichen Dank auch dem Herrn Bundesfinanzminister.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Herr von Marschall, ich habe darauf gewartet, dass Sie einen Punkt machen. Es gibt nämlich den Wunsch einer Zwischenfrage von Dieter Dehm.
(Joachim Poß [SPD]: Das ist eine Einladung für den Krawallmacher da! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sind Sie einverstanden?)
Bitte schön.
Es scheint Ihnen nicht übermäßig leicht gefallen zu sein, aber ich danke trotzdem.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das kann ich aber verstehen!)
Wenn sich Sparauflagen und Auflagen, die den Sozialstaat kaputtkürzen, in einer erhöhten Kindersterblichkeit, der Zunahme der Suizidrate und einer steigenden Anzahl an HIV-Erkrankungen und anderem Schaden im Gesundheitssystem auswirken,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wofür die Politik alles verantwortlich ist, ist spektakulär! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit!)
dann wüsste ich dafür keinen anderen Begriff als Terror. Es gibt auch den Begriff des Terrors der Ökonomie. Vielleicht kennen Sie den Bestseller von Frau Forrester, in dem sie diesen Begriff verwendet.
Aber meine Frage an Sie ist, ob Sie nicht glauben, dass wir in einer Zeit, in der diese komplizierten Verhältnisse in Griechenland bestehen, dem Grexit-Geschwätz offensiver entgegentreten müssten, statt es wie der Bundesfinanzminister zu bedienen,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch in Griechenland und nicht in Deutschland!)
was in der Konsequenz letztlich bedeutet, dass Leute, die durch dieses unverantwortliche Gerede, das ich für antieuropäisch halte, glauben, dass ihre Sparguthaben auf griechischen Konten morgen in eine Weichwährung umgewandelt werden könnten, ihr Geld abheben und damit die Krise noch verschärfen. Glauben Sie, dass diese Krisenverschärfung durch deutsches Gerede proeuropäisch oder antieuropäisch ist oder dass wir uns nicht deutlicher von diesem Geschwätz distanzieren müssten?
Herr Dr. Dehm, ich glaube, dass das, was Sie machen, die europäische Spaltung weiter vorantreibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich glaube, Herr Dr. Dehm, es wäre angemessen gewesen, Sie hätten sich für den Begriff des Staatsterrorismus gegenüber einer europäischen Institution entschuldigt,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch!)
die zutiefst dem Frieden und der Einheit der Europäischen Union dient.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein!)
Aber das kommt Ihnen offensichtlich nicht in den Sinn.
Ich glaube weiterhin, Herr Dr. Dehm, dass vor allen Dingen Griechenland selbst die Verantwortung dafür trägt –
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ihre Partei!)
– hören Sie bitte wenigstens zu, wenn ich Ihnen antworte; jetzt bin ich nämlich dran –,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie antworten doch gar nicht!)
und zwar deswegen, weil wir von Griechenland nicht die mindeste Transparenz über die finanzielle Situation dort bekommen, und weil wir überhaupt keinen Einblick in die Lage dieses Landes bekommen und nicht in der Lage sind, festzustellen, was dort vor sich geht, egal ob man die Troika in eine Athens Group und eine Brussels Group splittet, wenn die Leute dann schließlich in einem Athener Hotel in Verwirrung gestürzt werden.
Wenn Herr Tsipras jetzt das Anliegen verfolgt, die Sache morgen auf dem Brüsseler Gipfel eskalieren zu lassen, dann ist das, glaube ich, der falsche Weg. Ich bin trotzdem ausgesprochen dankbar – auch wenn sicherlich viele diesbezüglich hätten skeptisch sein können –, dass die Kanzlerin Herrn Tsipras als Besucher empfangen wird. Ob er allerdings den nachfolgenden Besuch bei Herrn Putin als vorlaufende Drohung verstanden wissen will, weiß ich nicht, aber wir werden uns von dieser Drohung jedenfalls sicherlich nicht einschüchtern lassen. So weit zur Situation Griechenlands und zu dem, was ich im Zusammenhang mit Griechenland glaube, Herr Dr. Dehm.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich danke Ihnen für diese Redezeitverlängerung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will noch einen Aspekt herausgreifen. Herr Kauder hat es schon angesprochen: Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit. Das ist klar. Wir haben das Europäische Semester abgehakt. Der Europaausschuss widmet sich regelmäßig und ernsthaft der Frage der Subsidiarität. Dabei müssen wir durchaus auch manchmal kritische Anmerkungen machen. Dafür, dass zum Beispiel die duale Ausbildung – Herr Kauder, Sie haben das im Zusammenhang mit dem portugiesischen Botschafter angesprochen – ein Erfolgsmodell Deutschlands ist, das viele Länder wie etwa Spanien gerne auch bei sich einführen wollen – übrigens durchaus mithilfe der IHKs sowie der Handwerkskammern und auch mithilfe deutscher Unternehmen, die in diesen Ländern tätig sind –, bin ich sehr dankbar. Ich meine aber deswegen, dass es besonders wichtig ist, dass wir nicht etwa den deutschen Meister dem vermeintlichen Deckmäntelchen des Marktzugangs opfern. Das ist eine Leistungs-, eine Qualitätsstufe des dualen Ausbildungssystems Deutschlands und stellt sozusagen dessen Krönung dar. Diesen müssen wir also ganz dringend erhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich komme noch kurz auf die Klimapolitik und auf die Energieunion zu sprechen und möchte sagen: Dem Europaausschuss wäre es ein Herzensanliegen, für dieses Thema in Zukunft die Federführung zu übernehmen; denn es handelt sich, wie der Europaausschuss selbst, um eine Querschnittsaufgabe. Es geht selbstverständlich um die Klimapolitik, es geht selbstverständlich um den Weltklimavertrag – die Konferenz in Paris haben wir noch vor uns –, aber es geht natürlich auch um Außenbeziehungen und um strategische Komponenten.
Frau Göring-Eckardt, Sie haben kritisch angemerkt, wir bräuchten keine Gaslieferungen etwa aus Aserbaidschan. Genau das Gegenteil ist doch richtig: Wir brauchen sehr wohl eine Diversifizierung, und zwar um eine geringere Abhängigkeit von Russland zu erreichen. Das ist ein maßgeblicher, sicherheitspolitisch relevanter Aspekt. Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht auch Sorge dafür tragen, bei uns die erneuerbaren Energien voranzubringen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Etwas fehlt mir ein wenig im Papier des Europäischen Rates: Im Zentrum der Entwicklung der erneuerbaren Energien muss die Forschung stehen, und zwar aus folgendem Grund: Es ist noch keine hinreichende Antwort gegeben worden, wie der Wandel von einer Energie der Großkonzerne hin zu Hunderttausenden von kleinen sogenannten Prosumern, also Einheiten, die selber Energie produzieren und sie gleichzeitig konsumieren, überhaupt gelingen soll. Daran muss die Europäische Union, daran muss auch die Forschung arbeiten. Das dient vor allen Dingen der Beantwortung der Frage, wie wir unter diesen Bedingungen die Netze stabilisieren können. Das ist ganz wichtig. Ich glaube deswegen, Forschung muss in diesem Bereich unbedingt gestärkt werden. Das betrifft keineswegs nur Speichertechnologie.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Zum Abschluss möchte ich ein wenig in die Mythologie einsteigen. Morgen gibt es eine Sonnenfinsternis. Diese Sonnenfinsternis findet erst in Brüssel, später dann in Berlin statt. Wie Sie wissen, haben die alten Griechen gedacht, Helios lenke diesen Wagen. Ich hoffe, dass im Zusammenhang mit dieser Sonnenfinsternis der Wagenlenker nicht abstürzt. Wir wissen aber, dass die Sonnenfinsternis nur von kurzer Dauer ist und im Übrigen auch, dass sich der Lauf der Sonne an sich davon nicht beeinflussen lässt.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4774100 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 94 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |