19.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 94 / Tagesordnungspunkt 5

Johann SaathoffSPD - Rekommunalisierung der Energienetze

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über die Rekommunalisierung der Energienetze – es sind übrigens nicht nur Stromnetze, sondern oft auch wirtschaftlich untrennbar damit verbundene Gasnetze – ist zunächst einmal keine Preisdebatte und auch keine Debatte über die Einrichtung von Möglichkeiten für eine Kommune, eine bestimmte Form der Stromerzeugung für ihr Netz zu präferieren.

Über diese Fragen diskutieren wir in diesen Tagen zwar auch sehr viel, aber in einem ganz anderen Kontext. Mit einem Grünbuch und einem darauf folgenden Weißbuch wollen wir ein neues Strommarktdesign entwickeln – und das noch in diesem Jahr. Dort geht es um die Frage, wie wir die Energieversorgung in Deutschland zukünftig preisgünstig, umweltfreundlich und sicher gestalten können. Die Netze sind nur ein Teilaspekt dieses Grünbuchs.

Heute reden wir aber nicht über den Netzausbau schlechthin, sondern wir reden über das Management der Verteilnetze. Die Verteilnetzbetreiber haben eine enorme Verantwortung gegenüber den privaten Haushalten und den Betrieben ihres Netzgebietes. Diese wollen dauerhaft versorgt werden, und es soll möglichst nicht zu Netzengpässen kommen. Das ist aus meiner Sicht die Kernaufgabe eines Verteilnetzbetreibers.

Nach dem vorliegenden Antrag soll die Inhousevergabe der Netze ermöglicht werden. Eine Gemeinde soll sich also beispielsweise bei der Vergabe der Konzession entscheiden können, ob sie das Netz selber betreibt oder ob sie das Netz öffentlich und zu besten Bedingungen ausschreibt.

Über meine Erfahrungen hinsichtlich der Komplexität bei der Übernahme der Netze habe ich bereits beim letzten Mal berichtet. Die Frage ist doch weniger ob, als vielmehr wie die Rekommunalisierung durchgeführt werden soll.

(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Ganz genau!)

Darüber werden wir uns in den Fraktionen intensiv zu unterhalten haben.

Ich persönlich finde es eigentlich richtig, dass sich Städte und Gemeinden dem Wettbewerb stellen; denn dadurch müssen sie sich genau mit den voraussichtlichen Risiken eines Netzbetriebes beschäftigen. Meiner Ansicht nach liegt das im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Unter Umständen müssen die Netzbetreiber nämlich enorme Summen in das Netz investieren. Erlöse für ihre Investitionen bekommen sie aber oft erst Jahre später.

Netze müssen ertüchtigt werden. Bei der Erstattung dieser Investitionen hat man je nach Investitionszeitpunkt eine Refinanzierungslücke von bis zu sieben Jahren zu überbrücken. Von der Frage, wie wir mit den jeweiligen Kommunalaufsichten und wie diese mit den jeweiligen Darlehenssummen umgehen sollen, will ich an dieser Stelle erst einmal gar nicht reden.

Ein Instrument für Investitionsmaßnahmen wie bei den Übertragungsnetzbetreibern gibt es in den Verteilnetzen übrigens nicht. Darüber hinaus muss der Verteilnetzbetreiber jedes Jahr seine Effizienzvorgaben erfüllen.

Beim Personalübergang können enorme Mehrkosten drohen; denn die Tarifverträge der Netzbetreiber liegen meist deutlich höher als die der Kommunen – leider, wie ich als ehemaliger Kommunalbeamter sagen muss. Zum Teil kommen private Sonderregelungen in der Altersvorsorge der zu übernehmenden Mitarbeiter hinzu. Unter Umständen gibt es dann in der Gemeinde zwei Klassen von Beschäftigten. Auch das kann keiner wollen.

Mit Blick auf die kommunalen Haushalte und die Kommunalaufsicht ist also Vorsicht geboten. Erwartungen von Renditen in Höhe von 9,05 Prozent sollten besser gebremst werden. Zumindest sollte klar sein – das muss auch bei dieser Debatte herauskommen –, dass sich diese Renditezahlung ständig verändert, also verringert, und sich natürlich nur auf 40 Prozent des eingesetzten Eigenkapitals bezieht. Was genau „kommunales Eigenkapital“ eigentlich darstellt, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten.

Die Anreizregulierung ist nun wirklich keine einfache Materie. Es ist gut, dass sich Städte und Gemeinden intensiv damit beschäftigen müssen. Ich finde aber, es gehört auch zur guten parlamentarischen Debatte, hier einmal die möglichen Fallstricke zu nennen, ohne gleich in Verdacht zu geraten, den Bürgermeistern die Kompetenz absprechen zu wollen.

(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Genau!)

Viele Gemeinden, vor allem die kleinen im ländlichen Raum, sind am Ende eben doch dazu gekommen, dass sie zwar das Netz betreiben wollen, aber eben nicht alleine, sondern mit einem strategischen Partner aus der Privatwirtschaft. Dann ist die Rekommunalisierung aber nur noch ein besseres Beteiligungsgeschäft ohne inhaltlichen Anspruch. Zugegeben: Besser als nichts! Aber mit Rückgewinnung der öffentlichen Daseinsvorsorge hat das dann ehrlicherweise nicht mehr viel zu tun.

Im Antrag wird auch der Fall der Gemeinden Bunde und Ostrhauderfehn angesprochen. Diesen Fall kenne ich zufällig ganz genau, weil diese Gemeinden in meiner Nachbarschaft liegen. Dass die Übernahme der Netze hier nicht so funktionierte, wie sich die beteiligten Gemeinden das vorgestellt hatten, lag bestenfalls teilweise an den Ausschreibungskriterien. Zunächst muss hier klargestellt werden, dass die Gemeinden von Anfang an vorhatten, das Netz gemeinsam mit einem strategischen Partner aus der Privatwirtschaft zu betreiben. Es lag also bestenfalls eine Teilrekommunalisierung vor. Letztlich haben sich die Gemeinden dann mit dem bisherigen Teilnetzbetreiber so geeinigt, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt und die Gemeinde einen angemessenen Anteil am Gewinn bekommen kann.

Diese Lösung zeigt den Kern der Rekommunalisierungsdebatte, meine Damen und Herren: Es geht oft vorrangig um die Gewinnbeteiligung der Kommunen, was ich gar nicht schlechtreden will, und nur in zweiter Linie um die Sicherung der Daseinsvorsorge.

(Beifall des Abg. Jens Koeppen [CDU/CSU])

Eine solche gemeinsame Netzbetriebsgesellschaft sehe ich übrigens sehr positiv. Ich denke, auch hier können Kommunen, insbesondere im ländlichen Raum, den wir ja nun politisch in vielen Bereichen endlich entdeckt haben, ihre Ziele sehr gut verfolgen.

In der Debatte im Januar wurde von den Antragstellern der Wunsch geäußert, dass Bürgernähe und ökologischer Anspruch bei den Ausschreibungskriterien berücksichtigt werden sollten. Ich kann mir, ehrlich gesagt, nur schwer vorstellen, wie Bürgernähe im Netzbetrieb aussehen soll, und würde mich freuen, wenn wir dazu in der weiteren Debatte Beispiele bekommen würden.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fahren Sie mal nach Saerbeck! – Zuruf von der LINKEN: Berliner Energietisch!)

Viel greifbarer wird das doch, wenn eine Gemeinde zum Beispiel Strom selbst erzeugt, dadurch kreisumlagefreie Einnahmen erzielt und die Menschen die Stromerzeugungsanlagen auch noch sehen können.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu brauchen sie auch ein Netz!)

Der Anblick von Strommasten wird vermutlich die wenigsten Menschen erfreuen.

Ich will damit sagen: Es gibt auch andere Investitionsmöglichkeiten für Kommunen, die mit deutlich weniger Unsicherheiten belastet sind und mit denen Bürgernähe und ökologischer Anspruch wesentlich besser verwirklicht werden können. Das können alle Kollegen, die in der Kommunalpolitik Verantwortung getragen haben, bestätigen. Das sei an dieser Stelle allen mit auf den Weg gegeben, die in Kommunen noch Verantwortung tragen wollen.

Im Falle der kommunalen Verfassungsbeschwerde von Titisee-Neustadt werden wir irgendwann eine Klarstellung erfahren, welchen Stellenwert die kommunale Selbstverwaltung bei der Netzvergabe nun hat.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir das tun werden, was im Koalitionsvertrag steht: Wir werden die Rechtssicherheit beim Netzübergang herstellen oder wiederherstellen. Wir werden das Bewertungsverfahren eindeutig und rechtssicher regeln; denn auch wir wollen nicht, dass man sich angesichts der vielen Neuvergaben vor Gericht wiedersieht. Außerdem muss die Konzessionsabgabe bei einer Verzögerung des Netzübergangs vom Altkonzessionär weitergezahlt werden. Entsprechende Arbeiten sind im Gange.

„Doon deiht lehren“, liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt, dass man über Praxiserfahrung klug werden kann. Wir werden nun die bisherigen Rekommunalisierungsverfahren, ob gescheitert oder nicht, zügig analysieren und dann entsprechende praxistaugliche Lösungsvorschläge vorlegen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Julia Verlinden von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4774271
Wahlperiode 18
Sitzung 94
Tagesordnungspunkt Rekommunalisierung der Energienetze
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