Andrea Nahles - Fachkräftekonzept der Bundesregierung
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Ziele erreicht, Konzept erfolgreich, Aufgabe erledigt – das könnte ich heute guten Gewissens so vortragen.
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aha! Sehr gut!)
Denn der vorliegende Fortschrittsbericht zeigt eindrucksvoll, dass wir die für 2020 gesetzten Ziele bereits 2015 erreicht haben.
(Beifall bei der SPD)
Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen.
Das zentrale Ziel war, bis zum Jahre 2020 eine Erwerbstätigenquote von 77 Prozent zu erreichen. Mit 77,3 Prozent haben wir diese Quote bereits im Jahr 2013 erstmals übertroffen.
Oder: der Zielwert für die Beschäftigung Älterer. Die Älteren sind nach wie vor eine Gruppe, in der die Erwerbstätigenquote noch ein bisschen höher sein könnte. Aber in der Gruppe der Erwerbstätigen zwischen 55 und 64 Jahren liegen wir mittlerweile bei einer Quote von 63,6 Prozent. Wir hatten uns vorgenommen, 60 Prozent zu erreichen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist gegenüber 2008 um 38 Prozent gesunken. Das ist wirklich hervorragend – denn wir hatten uns zum Ziel gesetzt, die Langzeitarbeitslosenquote um 20 Prozent zu senken –, wenn es uns auch noch nicht zufriedenstellt.
Auch bei der Qualifikation zeigen sich Fortschritte. Der Anteil der frühen Schulabgänger sank auf unter 10 Prozent, und – sehr erfreulich – der Wanderungssaldo hat 2013 mit 429 000 Menschen den höchsten Wert seit 1993 erreicht. Was besonders erfreulich ist: Die Qualifikation der Zugewanderten ist kontinuierlich gestiegen. Insgesamt ist das also eine wirklich sehr erfreuliche Entwicklung –
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und das bei einem Rekordwert bei der Beschäftigung. Wenn man diese Zahlen mit denen des Jahres 2008 vergleicht – auch wenn man sich vergegenwärtigt, in welcher Situation wir damals waren –, dann kann man heute wirklich sagen: Uns geht in Deutschland nicht die Arbeit aus, sondern uns gehen eher die Menschen aus, die sie tun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Meine Damen und Herren, sicher: Es ist immer schön, Erfolge zu verkünden. Klar ist aber auch: Um in Zukunft weiterhin so erfolgreich sein zu können, dürfen wir mit unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Die Herausforderung besteht darin, das hohe Beschäftigungsniveau zu halten. Denn nur ein hohes Beschäftigungsniveau sichert den allgemeinen Wohlstand, eröffnet den Menschen die Chancen, die sie brauchen, und stabilisiert natürlich auch die soziale Sicherheit in unserem Land. Deswegen hält die Bundesregierung bei ihren Bemühungen um die Fachkräftesicherung das hohe Niveau, das wir in den letzten Jahren erreicht haben, aufrecht. Wir können die Fachkräftesicherung allerdings nicht einfach per Gesetz verordnen. Sie kann nur gelingen, wenn alle mit an Bord sind.
Ich habe deswegen im letzten November die „Partnerschaft für Fachkräfte in Deutschland“ ins Leben gerufen, an der sich sowohl die Politik als auch die Sozialpartner und die Kammern beteiligen. Die erreichten Erfolge zeigen, wo wir ansetzen müssen, um noch besser zu werden. Dazu gibt es eine sehr interessante Studie, die „Arbeitsmarktstudie 2030“, die ich Anfang Februar dieses Jahres vorgestellt habe. Hier lassen sich interessante Entwicklungen ablesen.
Die gute Nachricht ist: Die aktuelle Arbeitsmarktprognose für 2030 ist besser, als wir noch 2012 gedacht hatten. Wenn wir weiter auf Kurs bleiben, kann es uns gelingen, den Rückgang der Zahl der Erwerbspersonen bis 2030 auf etwa 1 Million zu begrenzen. Ich betone: Es handelt sich immer noch um einen Rückgang, der allerdings nicht so groß ausfällt, wie wir befürchtet hatten; es ist aber immer noch ein Rückgang um 1 Million Personen.
Bislang waren die Vorzeichen düsterer. Ein wichtiger Grund dafür, dass es heute besser aussieht, ist, dass Deutschland attraktiv geworden ist, und zwar als Einwanderungsland. Wir sind inzwischen das zweitbeliebteste Einwanderungsland der Welt, hinter den USA. Menschen kommen zu uns, um hier zu arbeiten, zu leben und mit ihrer Familie heimisch zu werden. Im vergangenen Jahr waren es fast 430 000. Deutschland zieht an; darüber können wir wirklich froh sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber es gilt auch, den Menschen, die zu uns kommen, zu zeigen: Ihr seid uns willkommen, wir brauchen euch. Kulturelle Vielfalt macht unser Land aus, und sie macht unser Land lebenswerter.
Zuwanderung ist ein Rezept gegen den drohenden Fachkräftemangel; aber die Studie zeigt eben auch: Zuwanderung allein reicht nicht, um den Fachkräftebedarf für die Zukunft zu decken. Wir müssen deswegen Türen aufstoßen, die noch klemmen: Mütter zum Beispiel werden durch Auszeiten oder eine Teilzeitphase ausgebremst, stecken in der Teilzeitfalle fest; das ist leider flächendeckend der Fall. Ältere, die noch arbeiten können und wollen, sind mit überholten Vorstellungen konfrontiert: So lässt sich eindeutig nachweisen, dass Ältere, die arbeitslos werden, wesentlich schlechtere Chancen haben, wieder Arbeit zu finden, als Jüngere. Das ist weiterhin unbefriedigend.
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Leider ja!)
Das Gleiche gilt für Menschen mit Migrationshintergrund, die schon länger hier leben und deren Fähigkeiten nicht genug gefördert werden. Hier schlummern noch viele Talente, viel Einsatzwillen, viel Kreativität. Hier liegen Potenziale, die wir nutzen müssen.
Ich möchte vier Leitgedanken aufzeigen, wie wir diese Ziele erreichen können:
Der erste Leitgedanke: Wir müssen auf die Menschen setzen, für Motivation und Gesundheit sorgen. Wir sind das Land der hochqualifizierten Fachkräfte, der Spitzenprodukte und der Exportrekorde. Wir wollen auch einen Spitzenplatz belegen, wenn es um Gesundheit und Zufriedenheit unserer Mitarbeiter geht, damit sie länger motiviert und fit in Arbeit bleiben können. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fordern mit Recht Kommunikation, Zeit und Freiraum, vor allem aber Wertschätzung. Mit anderen Worten: Wir brauchen auch eine Debatte über Führungskultur in unserem Land, nicht nur in den großen Unternehmen, sondern auch bei den kleineren und mittelständischen Unternehmen. Bei einer Untersuchung aus dem Jahr 2014 haben drei Viertel der Führungskräfte gesagt, dass an der Führungspraxis sehr viel hängt, wenn es darum geht, Potenziale zu heben. Wir brauchen also auch eine neue Führungspraxis.
Zweiter Leitgedanke: Wir brauchen Flexibilität für die Unternehmen, aber auch Flexibilität, die die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst nimmt. Ich sage hier nur: Ständige Erreichbarkeit kann nicht der Preis für Flexibilität sein.
Dritter Leitgedanke: Wir müssen für die Qualifizierung sorgen, damit Fachkräfte auch Fachkräfte bleiben. Ich persönlich glaube, dass, wenn wir in die Zukunft schauen, nicht Arbeitsplatzverlust das Problem ist in diesem Land, sondern Qualifikationsverlust. Deswegen freue ich mich, dass in der letzten Tarifauseinandersetzung der Metallbranche das Thema Qualifizierung/Bildungsteilzeit genauso wichtig war wie Lohnbestandteile. Das ist etwas, was in die Zukunft weist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vierter Leitgedanke: Wir brauchen auch eine andere Haltung. Ob jemand zugewandert ist – oder seine Eltern –, ob jemand eine Behinderung hat, ob jemand bisher einfach nicht den geraden Weg genommen hat: Das sagt noch nichts über Können, Wissen und Einsatzbereitschaft aus. In der Vielfalt liegt die Zukunft. Deshalb ist ein Einwanderungsgesetz aus meiner Sicht sinnvoll, und deshalb brauchen wir auch ein modernes Teilhaberecht; dafür müssen wir uns einsetzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In diesem Sinne sind wir auf einem guten Weg; aber wir sind noch nicht am Ziel.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank, Andrea Nahles. – Nächste Rednerin: Sabine Zimmermann für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4774437 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 94 |
Tagesordnungspunkt | Fachkräftekonzept der Bundesregierung |