19.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 94 / Zusatzpunkt 3

Frank JungeSPD - Aktuelle Stunde/ Reiches Land - Arme Kinder

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Eltern und Familien zu stärken, Müttern und Vätern ein Umfeld zu bieten, in dem sie einer auskömmlichen Erwerbstätigkeit nachgehen können, und den Lütten schon frühzeitig das Rüstzeug für eine eigenständige, selbstbestimmte und selbstbewusste Persönlichkeit zu geben, sind die Grundlagen und der richtige Weg, um Kinderarmut richtig und wirksam zu bekämpfen.

Da wir uns da hoffentlich alle einig sind, frage ich mich: Warum treten hier solche Misstöne auf, wenn wir über das reden, was wir in den letzten 15 Monaten beschlossen haben? Wir haben einen gesetzlichen Mindestlohn beschlossen, der die Einkommenssituation von vielen Menschen in unserem Land erheblich verbessern wird. Wir haben das Elterngeld Plus auf den Weg gebracht, um Freiräume und Möglichkeiten für Eltern zu schaffen, Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen. Wir haben den bundesweiten Kitaausbau mit erheblichen Beträgen gefördert, der wiederum notwendig ist, damit Eltern überhaupt beruflich tätig sein können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben massive Investitionen in frühkindliche Bildung auf den Weg gebracht, die dazu führen, dass die Lütten schon frühzeitig richtig Deutsch lernen bzw. sich andere Fähigkeiten aneignen, die sie für ihr späteres Leben brauchen.

Warum sage ich das? Ich sage das deshalb, weil die Bertelsmann-Studie – mit Blick auf die Fraktion Die Linke sage ich: Sie sollten sich aus dieser Studie nicht nur die Argumente herauspicken, die Sie hören wollen – ganz klar aufzeigt, welche Problemfelder angegangen werden müssen, damit am Ende Kinderarmut verhindert werden kann. Genau die Dinge, die wir mit den von mir genannten Beispielen auf den Weg gebracht haben, sorgen dafür, dass wir am Ende erfolgreich sind.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wenn Sie von der Fraktion Die Linke – das muss ich auch noch einmal sagen – öffentlich verlautbaren lassen, dass Armut bei uns durch Regierungspolitik zur Erbkrankheit geworden ist, dann können Sie damit die Politik dieser Koalition nicht meinen; denn in dieser Regierungskoalition steht die SPD mit in der Verantwortung und prägt maßgeblich die Themen. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Wir können zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal nachschauen, was aus unseren Vorhaben geworden ist. Zum aktuellen Zeitpunkt zumindest ist das nicht möglich.

(Beifall bei der SPD)

Dennoch – das möchte ich auch sagen –: Jedes Kind, das in Armut aufwachsen muss, ist eines zu viel. Darin sind wir uns alle einig. Als nächster Schritt muss – jetzt komme ich auf finanzpolitische Dinge zu sprechen, die ebenfalls kurz angerissen worden sind – nach meinem Dafürhalten eine spürbare finanzielle Entlastung für alle Familien auf den Weg gebracht werden, und zwar so, dass ein Gesamtpaket aus dem Grundfreibetrag, dem Kinderfreibetrag, dem Kindergeld und dem Kinderzuschlag entsteht. Dabei muss die finanzielle Entlastung so stark sein, dass sie sich im Portemonnaie deutlich niederschlägt.

(Beifall bei der SPD)

Der vorliegende Referentenentwurf unseres Bundesfinanzministers Schäuble – ich sage das mit allem gebotenen Respekt, aber auch in aller Sachlichkeit – ist weit von einem solchen Anspruch entfernt. Das muss man einmal ganz klar so formulieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn neben der pflichtgemäßen und verfassungsrechtlich gebotenen Anpassung des Grundfreibetrags und des Kinderfreibetrags für 2015 und 2016 auf Basis des aktuellen Existenzminimumberichts, neben der Kür, dass das Kindergeld 2015 um 4 Euro pro Monat und 2016 um weitere 2 Euro pro Monat aufgestockt werden soll und der Kinderzuschlag ab Juli 2016 um 20 Euro erhöht werden soll, findet sich dort nichts wieder. Das ist aus meiner Sicht eine Enttäuschung.

Ich möchte das an zwei Punkten deutlich machen:

Erstens. Im Koalitionsvertrag findet sich die klare Formulierung, dass der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende angehoben werden soll. Weiter heißt es, dass er nach der Zahl der Kinder gestaffelt werden soll. Das findet im Gesetzentwurf von Herrn Schäuble überhaupt nicht statt. Damit werden wieder einmal diejenigen alleingelassen, die am dringendsten Unterstützung brauchen. Führt man sich die Situation von Alleinerziehenden vor Augen, erkennt man, dass sie im Vergleich zu den Familien, in denen zwei Ehepartner Kinder erziehen, erheblich höhere finanzielle Lasten zu tragen haben. An diesem Punkt erkennt man wiederum – das haben auch schon einige Vorredner gesagt –, warum Kinderarmut insbesondere in Familien von Alleinerziehenden vorkommt. Darum ist es aus meiner Sicht nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, hier nachzusteuern; es ist auch ein Punkt, an dem man Kinderarmut an der Wurzel bekämpfen kann.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Gesetzentwurf von Bundesfinanzminister Schäuble enthält einen zweiten Punkt, der mir auf den Nägeln brennt: Es wird keine rückwirkende Anhebung des Kinderfreibetrags und des Kindergeldes für 2014 geben. Wir werden nicht lange warten müssen, bis es wegen genau dieser ausbleibenden Leistungen, die unseren Familien zugutekommen würden, zu Klagen kommt; der Bund der Steuerzahler hat das schon angekündigt. In der Folge würde das Gericht anordnen, hier nachzusteuern. Diese Peinlichkeit können wir uns ersparen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Der Entwurf von Finanzminister Schäuble zu familienpolitischen Leistungen wird sich mit Sicherheit vor der Kabinettssitzung nicht mehr ändern lassen. Ich bedaure das. Wir von der SPD haben an vielen Stellen weiter reichende Vorstellungen; im Koalitionsvertrag gibt es entsprechende Vereinbarungen. Ich lade Sie alle ein, im parlamentarischen Verfahren dafür Sorge zu tragen – wir werden das tun –, dass die Dinge, die uns diesbezüglich auf den Nägeln brennen, Einzug in den Gesetzentwurf finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste im Bundestag! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zeigt ganz eindeutig, dass Armut das Lebensrisiko im Leben eines kleinen Kindes ist. Wir alle wohnen in einem reichen Land, ich in Baden-Württemberg, einem der reichsten Bundesländer. Da fragt man sich: Kann es sein, dass so viele Kinder so wenig Zugang zu Wohlstand haben und so früh so stark beeinträchtigt sind? Ja, sagt die Bertelsmann-Studie. Die Studie ist tatsächlich sehr differenziert zu betrachten; dazu haben wir heute schon sehr viel gehört.

In den ersten Lebensjahren ist die Situation besonders kritisch, weil in dieser sensiblen Lebensphase die Grundlagen für die Zukunft gelegt werden und damit alle elementaren Voraussetzungen wie Sprache, Feinmotorik und soziale Fähigkeiten geschaffen werden.

Was müssen wir tun, was sollen wir aus dieser Studie lernen? Wir müssen zwei Dinge gleichzeitig tun: Wir müssen uns um die Eltern kümmern, und wir müssen uns um die Kinder kümmern. Was wir brauchen, sind Arbeitsplätze in ausreichender Zahl. Außerdem müssen die Eltern genug verdienen, damit sie sich und ihren Familien ein auskömmliches Leben ermöglichen können. Mit dem Mindestlohn sind wir hier – das mögen Sie bestreiten – in die richtige Richtung gegangen. Mit dem Elterngeld Plus wollen wir erreichen, dass sich Mütter und Väter verstärkt um ihre Kinder kümmern können, ohne im Beruf den Anschluss zu verlieren, sodass Armut erst gar nicht entstehen kann.

Gut bezahlte Arbeit für die Eltern zu schaffen, heißt im Klartext natürlich: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit. Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Schaffung von Flexibilität, oftmals auch nur durch den guten Willen von Arbeitgebern, Behörden und allen Beteiligten. Wir brauchen mehr und bessere langfristige Betreuungsangebote für Kinder von alleinerziehenden Müttern und Vätern. 50 Prozent – die Zahl wurde genannt – der Haushalte im SGB-II-Bezug mit Kindern sind Alleinerziehendenhaushalte.

Wie ich schon sagte, müssen wir uns um die Kinder direkt kümmern. Dazu gehört ganz besonders der Zugang von Kindern zu Kitas und anderen Fördereinrichtungen, und das unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Seit dem 1. August 2013 hat jedes Kind Anspruch auf einen Kitaplatz. Seitdem ist wirklich viel passiert. Das können Sie – Herr Müller, Frau Dörner, liebe Opposition – bestreiten, wie Sie wollen: Es ist enorm viel passiert in dieser Zeit. Einige meiner Vorredner haben über die finanziellen Anstrengungen des Bundes für die Kindertagesbetreuung in den letzten Jahren gesprochen – bis hin zum gestern vom Kabinett beschlossenen Nachtragshaushalt für den Kitaausbau: plus 100 Millionen Euro. Das ist alles gut; aber ich weiß auch, wir sind noch nicht am Ziel. Darin sind wir uns wenigstens einig: Wir sind auf dem Weg.

(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ganz am Anfang des Weges!)

Wir brauchen noch mehr Plätze, weil immer noch in vielen Bundesländern Plätze fehlen, zum Beispiel in Baden- Württemberg. Das Land wird grün-rot regiert.

Mein Berliner Kollege Martin Pätzold hat schon von den wichtigen Schwerpunktkitas gesprochen. Von diesen rund 4 000 Schwerpunktkitas ist eine in meinem Wahlkreis, im Ort Albbruck am Rhein. Ich habe mich im Oktober vom Erfolg der Sprachförderung in dieser Einrichtung überzeugen können. Sowohl der dortige Bürgermeister Stefan Kaiser als auch die Kinderhausleiterin Iris Vogt haben mir versichert, wie wichtig der jährliche, vergleichsweise kleine Förderbetrag in Höhe von 25 000 Euro ist, damit dort Sprachunterricht von einer Fachkraft gegeben werden kann und somit jedes Kind von Anfang an faire Chancen hat. Spracherwerb ist der Grundstein für den späteren Erfolg in Bildung und Beruf; ohne Sprache kein Beruf, ohne Beruf keine Perspektive.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD])

Baden-Württemberg ist nicht der Hotspot sozialer Probleme, jedenfalls nicht in der Fläche; aber auch bei uns sind sozial benachteiligte Familien und natürlich Kinder mit Migrationshintergrund betroffen. Ich begrüße deswegen, dass der Bund auch über das Jahr 2015 hinaus eine weitere Initiative zur sprachlichen Bildung plant.

Der Staat ist natürlich wichtig. Darüber hinaus gibt es aber im ganzen Land viele positive, ermutigende Projekte von unterschiedlichsten Initiativen und Anbietern, die Kinder und ihre Eltern stärken und den Kindern das Kindsein ermöglichen. Ich denke an die Frühen Hilfen in Bayern oder Rock Your Life! für größere Kinder in meiner Heimat. Ich denke an die kommunalen Einrichtungen wie das Familienzentrum in meiner Nachbarschaft Lauchringen, das ich öfter besuche. Hier können wir uns alle als Mitbürger, als Miteltern, hier kann sich die ganze Gesellschaft zum Wohl von Kindern, für bessere Startbedingungen und für Chancengleichheit einbringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Kollege Paul Lehrieder hat abschließend für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4774977
Wahlperiode 18
Sitzung 94
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde/ Reiches Land - Arme Kinder
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