Johannes Singhammer - Männliche Küken leben lassen
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Homogenisator“ hören? Dieses Wort hat etwas Klinisches. „ Homogenisieren“ bedeutet im weitesten Sinne ein Gleichmachen oder ein Vermischen von zerkleinerten Bestandteilen. Der Homogenisator ist eine Maschine, die durch rotierende Messer oder Walzen tagtäglich männliche Eintagsküken tötet. Ich danke den Grünen für das Signal, gemeinsam mit uns dieses Thema anzugehen. Nicht nur im Sinne des Tierschutzes ist das massenhafte, sinnlose Töten männlicher Küken nicht mehr hinnehmbar. Vielmehr sollte eine moderne Gesellschaft grundsätzlich auf solche Praktiken verzichten und zumindest den Ausstieg daraus ganz massiv vorantreiben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich möchte einmal grundsätzlich die Dimension des Problems klarmachen. Wir kennen die genaue Zahl der getöteten Küken nicht; denn darüber gibt es gar keine konkreten Statistiken. Hochgerechnet, nimmt man eine 50-zu-50-Verteilung weiblicher und männlicher Küken an, können wir davon ausgehen, dass pro Jahr mindestens 45 Millionen männlicher Eintagsküken geschreddert oder vergast werden.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)
Da drängt sich natürlich die Frage nach dem Warum auf. Die Zucht von Legehennen ist einzig auf die maximale Eierproduktion ausgerichtet. In einem solchen System werden die männlichen Küken als überflüssig betrachtet. Sie sind der Überschuss einer im industriellen Maßstab produzierenden Branche. Obendrein setzen die männlichen Tiere dieser Hybridrasse im Vergleich zu normalen Hühnern kaum Fleisch an. Dafür werden wiederum extra Masthähnchen gezüchtet.
Nur um die Dimension zu verdeutlichen: Den gut 45 Millionen Legehennen stehen mehr als 600 Millionen sogenannte Broiler oder, besser gesagt, Brathähnchen gegenüber. Das sind gewaltige Zahlen. Sie werfen nicht nur, finde ich, ein schlechtes Licht auf die Produzenten, sondern auch auf das Konsumverhalten. Wir konsumieren inzwischen zu viel Fleisch und vergessen dabei, was es bedeutet, ein Lebewesen zu essen. Wir müssen die Menschen stärker sensibilisieren bei ihrer Entscheidung beim Eierkauf, an der Fleischtheke, am Grillhähnchenstand vor dem Supermarkt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Denn insbesondere ein Umdenken beim Einkauf wird dazu beitragen, das Leben der Tiere zu verbessern.
Deshalb kann, wie es so schön heißt, die Einführung der Möglichkeiten der In-Ovo-Geschlechtsbestimmung beim Haushuhn nur ein erster Schritt auf einem langen Weg sein. Leider ist derzeit noch keine praxisreife Technologie verfügbar, die sich für den flächendeckenden Einsatz zum Nachweis des Geschlechts des Embryos im befruchteten Hühnerei eignet. Die Erkennung muss – das ist angesprochen worden – vor dem zehnten Bebrütungstag erfolgen, da die Embryonen nur bis dahin noch kein Schmerzempfinden haben; so der bisherige wissenschaftliche Kenntnisstand.
Daher befördert die Bundesregierung nach wie vor mit hoher Priorität das noch nicht abgeschlossene Verbundforschungsprojekt der Universität Leipzig zur Im-Ei-Geschlechtsbestimmung. Eine entsprechende Technologie wird voraussichtlich in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen, die sich dann auch für einen breiten Einsatz eignen wird.
Doch dies kann nach meiner Meinung nur der Einstieg sein. Wir müssen dazu kommen, dass keine Küken mehr getötet werden müssen; denn, wie schon richtig gesagt wurde, nach § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes bedarf es eines vernünftigen Grundes für das Töten von Tieren. Dies gilt auch für das Töten von männlichen Küken von Legelinien. Nach § 15 Absatz 1 Satz 1 des Tierschutzgesetzes obliegt die Durchführung des Tierschutzgesetzes und der aufgrund des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen den nach Landesrecht zuständigen Behörden. Daher ist im Falle des Tötens von Tieren in jedem Einzelfall vor Ort von den zuständigen Behörden zu entscheiden, ob ein vernünftiger Grund für das Töten vorliegt. Die Tötung männlicher Küken darf dabei nur das allerletzte Mittel sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen allerdings auch praxisgerechte, realisierbare Lösungen. Ein generelles Tötungsverbot würde zu einer Verlagerung der Tierschutzproblematik in andere Länder führen. Ich sehe insbesondere auch die Wirtschaft in der Verantwortung, sich dieser Problematik intensiv anzunehmen und ihren Beitrag zur Entwicklung von Alternativen zur Tötung männlicher Küken zu leisten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In meinen Augen ist zum Beispiel das Zweinutzungshuhn die Alternative zum Status quo. Zweinutzung bedeutet, dass das Huhn sowohl zum Eierlegen als auch zum Fleischverzehr genutzt werden kann. Derzeit werden beispielsweise am Institut für Tierernährung des Friedrich-Loeffler-Instituts Fütterungsversuche mit dem Zweinutzungshuhn „Lohmann Dual“ – so heißen diese Rassen tatsächlich – durchgeführt. Platt formuliert: Es wird daran geforscht, wie Hähnchen besser Fleisch ansetzen können.
Ich finde, Stigmatisierungen und Verbote helfen uns nicht weiter. Wir müssen zu praxisnahen, tierschutzgerechten und verbindlichen Regelungen kommen
(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! So lautet der Antrag!)
und aktiv den Dialog mit allen Beteiligten fortschreiben. Im Sinne des Tierschutzes lade ich die Grünen ein, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Artur Auernhammer für die CDU/CSU.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4775730 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 94 |
Tagesordnungspunkt | Männliche Küken leben lassen |