Sabine ZimmermannDIE LINKE - Gesundheitsförderung und Prävention
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder von Ihnen hier möchte, denke ich, gesund durchs Leben kommen. Für uns alle mag das vielleicht weniger ein Problem sein; denn wir haben Einfluss auf unsere Lebensumstände und sind gesundheitlich gut versorgt.
Aber das gilt für viele Menschen in diesem Land nicht. Dabei denke ich an meinen Kollegen aus Zwickau, der Leiharbeitnehmer ist, drei Kinder hat, alleinerziehend ist und drei Jobs braucht, um überleben zu können: Er arbeitet erstens im Schichtsystem bei einem Automobilzulieferer, dort fährt er Stapler. Zweitens hat er einen Minijob in einem Einkaufszentrum, und drittens arbeitet er am Wochenende zusätzlich bei einem Fußballklub im Securitybereich mit. Er hat deutlich schlechtere Lebensbedingungen als alle hier in diesem Haus. Menschen, die wenig verdienen, haben in jedem Lebensalter – von der Kindheit bis zum Tod – ein doppelt so hohes Risiko, ernsthaft krank oder zum Pflegefall zu werden oder vorzeitig zu sterben, wie die Menschen, die gut verdienen.
Die Linke sagt: Das ist ein Unding in so einem reichen Land.
(Beifall bei der LINKEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir auch!)
Es kann doch nicht sein, dass sich arme Menschen einige Untersuchungen beim Arzt nicht leisten können, weil ihnen das Geld fehlt. Schwere Erkrankungen zeigen sich in der Gruppe der Gutverdiener rund vier Jahre später. Wer arm ist, stirbt früher, und schon zu Lebzeiten wirkt sich Armut negativ auf Gesundheit und Lebensqualität aus.
Die Schere zwischen Arm und Reich ist nach zehn Jahren Hartz IV und Sozialstaatsabbau deutlich auseinandergegangen. Dass Sie dabei zusehen und das noch gutheißen können, liebe Genossinnen und Genossen der SPD, ist unerträglich.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben keine Antworten auf dieses sozialpolitische Problem. Mich wundert schon, wie man die Augen so vor der Realität verschließen kann.
Der Entwurf der Bundesregierung zum Präventionsgesetz bleibt weit hinter den internationalen Standards zurück. Der UN-Sozialpakt von 1973, den die Bundesrepublik ratifiziert hat, schreibt das Recht eines jeden Menschen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit fest. Gesundheit meint dabei das vollständige geistige, soziale und körperliche Wohlergehen der Menschen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die wirksame Verringerung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit in den Mittelpunkt gerückt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Schon Heinrich Zille hat gesagt:
Soll heißen: Wohnbedingungen, das gesellschaftliche Umfeld, aber auch die Arbeitsbedingungen bestimmen entscheidend, ob Menschen gesund bleiben oder nicht. Was heißt das nun? Ich sage, dass Menschen nur gesund leben können, wenn bestehende sozial-, geschlechts-, behinderungs- und migrationsbedingte Unterschiede abgebaut werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke ist fest davon überzeugt, dass Gesundheitsversorgung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden müssen.
(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Geht es mal konkret zur Abwechslung?)
Daher helfen zum Beispiel Ihre Kampagnen zum individuellen Gesundheitsverhalten, Herr Spahn, überhaupt nicht. Gesunde Lebensbedingungen müssen in allen Bereichen – Betrieb, Stadtteil, Schule, Wohnen oder wo auch immer – geschaffen werden.
(Beifall der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])
Es braucht für alle Menschen Rahmenbedingungen, und diese Rahmenbedingungen müssen allen Menschen gleichermaßen ein gesundes Leben ermöglichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Fakt ist: Die Menschen mit dem größten Risiko, zu erkranken, behindert zu sein oder vorzeitig zu sterben, sind zugleich die mit dem geringsten Einkommen, dem geringsten Bildungsstand, der schwächsten sozialen Unterstützung und mit dem geringsten politischen Einfluss. Hier muss die Politik ansetzen: Arbeitslosigkeit bekämpfen, Rahmenbedingungen für gute Arbeit schaffen, Bildungschancen eröffnen und Ausgrenzungen beenden.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber Ihre bisherige Politik setzt den unsozialen Weg der Vorgängerregierungen weiter fort, und der ist für viele Menschen in unserem Land eine Sackgasse und führt aufs gesellschaftliche Abstellgleis. Aber was ist auch anderes von einer Regierung zu erwarten, in der der kleinere Partner, die SPD, die Agenda-2010-Politik und die Hartz-Reformen als Grundstein für ein vermeintliches Jobwunder feiert und der größere Partner, die Union, Europa seit Jahren mit Spardiktaten malträtiert.
In Griechenland erleben wir, was Ihre Sparpolitik angerichtet hat. Sehr viele Menschen haben keine Krankenversicherung mehr, damit keinen Zugang zur Krankenversorgung, Operationen gibt es nur mit Vorkasse, Frauen finden keinen Platz mehr für eine sichere Geburt,
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen zur Sache!)
weil sie die Kosten der Entbindung selbst tragen müssen, die Zahl der Totgeburten ist um ein Viertel angestiegen, und es gibt keine Versorgung mehr mit wichtigen Krebsmedikamenten. Was können wir da wohl anderes erwarten?
Spätestens bei diesen drastischen Beispielen, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, müssten Sie eigentlich vor Scham rot anlaufen.
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Lächerlich!)
Es gibt eine Lösung, und die heißt: Die Schere zwischen Arm und Reich muss endlich geschlossen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Umverteilung von oben nach unten – Herr Lauterbach, das sagen Sie auch – muss ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Nur so können wir etwas in Deutschland verändern.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Genau! Mindestlohn! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Es lebe der Sozialismus! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mindestlohn ist ein Anfang, aber nicht die Lösung!)
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Helga Kühn- Mengel von der SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4779485 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 95 |
Tagesordnungspunkt | Gesundheitsförderung und Prävention |