20.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 95 / Tagesordnungspunkt 18

Helga Kühn-MengelSPD - Gesundheitsförderung und Prävention

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Frau Kollegin Zimmermann, Sie hätten erwähnen müssen, dass die Senkung der Arbeitslosigkeit und der Mindestlohn, der den Status von wenigstens 3,7 Millionen Menschen verbessert hat, ganz wesentliche Beiträge zur Gesundheitsförderung und zur Prävention sind,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

nicht nur wegen der verbesserten Einnahmesituation der Menschen, sondern auch, weil Arbeit Teilhabe ist. Das ist nämlich auch ein gesundheitsfördernder Aspekt.

Mit Blick auf die Gruppen, die Sie angesprochen haben, ist viel getan worden, nicht nur durch erhebliche Anstrengungen im Bildungsbereich, durch die Verstetigung der Frühen Hilfen und deren Ausbau, sondern auch in der Arbeitsmarktpolitik; den Mindestlohn habe ich bereits erwähnt.

Frau Kühn-Mengel, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Zimmermann zu?

Bitte, Frau Zimmermann.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Die hat doch gerade geredet! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Darum geht es doch nicht! – Weiterer Gegenruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sie hat trotzdem das parlamentarische Recht!)

Vielen Dank, liebe Kollegin Kühn-Mengel, dass Sie die Frage zulassen. – Sind Sie meiner Meinung, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro nicht aus der Bedürftigkeit herausführt, dass wir 10,36 Euro bräuchten?

(Jens Spahn [CDU/CSU]: 12! 12!)

– Eigentlich 12 Euro, richtig; es kommt darauf an, welches statistische Amt Sie befragen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: 15! 15!)

Auf jeden Fall liegt die Niedriglohnschwelle bei 10,36 Euro. Das heißt, Sie müssten Ihr Leben lang 10,36 Euro pro Stunde verdienen, damit Sie später nicht in Altersarmut kommen.

Meine zweite Frage ist: Sind Sie auch meiner Meinung, dass die Arbeit anders verteilt worden ist, dass wir Millionen von Minijobs haben, dass wir Millionen Menschen in Teilzeit haben, dass wir Millionen Menschen im Niedriglohnbereich haben, die nicht von den Arbeitsmarktreformen, die Sie immer so hochhalten, profitieren?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Kollegin, ich bin der Meinung, dass der Mindestlohn ein Einstieg in eine Verbesserung der Lebenssituation von Menschen ist. Ich bin der Meinung, dass knapp 4 Millionen Menschen fast eine Verdoppelung des Einkommens erleben. Ich bin der Meinung, dass wir auf diesem Felde weiterarbeiten müssen. Aber es hat größere Erfolge gegeben – die man auch benennen muss –, die die Lebenssituation der Menschen deutlich verbessern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist richtig: Prävention und Gesundheitsförderung – der Herr Minister hat es bereits gesagt – sind eine Antwort auf den demografischen Wandel, auf längere Lebensarbeitszeiten, auf veränderte Arbeitsbedingungen, auf die Zunahme chronischer Erkrankungen und auf ungleiche Gesundheitschancen.

Umgekehrt können wir sagen: Wirkungsvolle Prävention und Gesundheitsförderung sind geeignet, Lebensqualität zu erhöhen, die Lebenserwartung zu steigern, die Zahl der gesunden Jahre zu vermehren und auch volkswirtschaftlichen Schaden zu verringern. Denken Sie allein an die große Zahl der Menschen, die durch psychische Erkrankungen erwerbsunfähig werden.

Um zu sehen, wo wir stehen, ist es manchmal wichtig, auch einen Blick zurück zu werfen. Seit 1989 gibt es den Präventionsparagrafen im SGB V. Der Gesetzgeber hat damals die Krankenkassen mit der Möglichkeit ausgestattet, Angebote für die primäre Prävention zu machen, im Übrigen ohne nähere Begründungen und Aufträge und auch ohne Deckelung. Einige große Krankenkassen, zum Beispiel die AOK Nordrhein, die AOK Niedersachsen und einige Betriebskrankenkassen, haben damals begonnen, betriebliche Gesundheitsförderung zu etablieren, und damit gezeigt, dass auch große Tanker, die oft als schwerfällig eingestuft werden, innovativ sein können.

Das alles hatte mit einer Enquete-Kommission, die es damals zur Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung gab, zu tun. In diese Kommission hatte übrigens Minister Blüm einen in seinen Augen hoffnungsvollen Menschen geschickt, der Horst Seehofer hieß und der 1996 als Gesundheitsminister nichts Besseres zu tun hatte, als diese Möglichkeiten der Primärprävention wieder abzuschaffen.

Rot-Grün hat das 1999 dann korrigiert und die Prävention mit einem wichtigen Zusatzauftrag versehen, dass sie nämlich ungleiche Gesundheitschancen verringern soll.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war genau richtig!)

Danach gab es noch eine Reihe von Anläufen zu einem Präventionsgesetz, und zwar 2005, 2007 und 2011. Jetzt haben wir einen Gesetzentwurf, der es schaffen wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Warum kommen wir immer auf die ungleichen Gesundheitschancen zu sprechen? In den reichen Ländern ergeben sich etwa drei Viertel der Krankheitslast aus einer bestimmten Gruppe von Erkrankungen. Das sind – sie sind bereits genannt worden – die Herz-Kreislauf- Erkrankungen, die muskuloskelettalen Erkrankungen, der Krebs und – mit der größten Steigerung – die psychischen Erkrankungen. Aber diese Erkrankungen – das haben die Sachverständigen immer gesagt, damals auch der Sachverständige Lauterbach – sind einer primären Prävention besonders zugänglich. Von daher ist es ganz wichtig, dass wir auf diesem Gebiet große Anstrengungen unternehmen. Hinzu kommt: Die unteren sozialen Schichten sind hier überrepräsentiert. Diese erreichen wir nicht mit Broschüren, Flyern und Vorträgen, sondern nur da – das gilt für die Erwachsenen und für die Kin-der –, wo sie leben, arbeiten, gemeinsam lernen und spielen: im Setting, in der Lebenswelt.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Genau da setzt das Gesetz an. Die Leistungen zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken und die Förderung der gesundheitlichen Kompetenz werden zu Pflichtleistungen der Krankenkassen. Die Lebenswelten werden gestärkt. Ab 2016 stehen für jeden Versicherten 7 Euro zur Verfügung, mindestens 2 Euro für die betriebliche Gesundheitsförderung, mindestens 2 Euro für die anderen Lebenswelten. Insofern kann dort, wo die Menschen leben, ein Angebot gemacht und verstetigt werden.

Die Kommune ist der Ort des Präventionsgeschehens.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört auch das Quartier. Das müssen wir im Gesetzentwurf, Herr Minister, unbedingt noch nachtragen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird im Bundesrat dann aber leider zustimmungspflichtig werden!)

Das Quartier umfasst Kindergärten, Schulen, Betriebe, Wohnheime, Werkstätten für Menschen mit Behinderung,

(Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])

Seniorenzentren, die ambulante und die stationäre Pflege, das Ehrenamt, die Selbsthilfe und einen hoffentlich starken öffentlichen Gesundheitsdienst, den wir in diesen Zeiten ganz besonders brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Warum gibt es im Setting, in der Lebenswelt, nicht endlich auch betriebliche Gesundheitsförderung in Werkstätten für Menschen mit Behinderung? Das vermissen wir.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Warum keine Präventionsangebote für Ältere in der Pflege? Wir wissen, dass es auch hier Potenziale gibt, die – im wahrsten und im übertragenen Sinne des Wortes – zu mobilisieren sind. Warum greifen wir nicht ein gutes Beispiel, das es in Berlin gibt, auf, dass nämlich ein Sozialarbeiter der Kommune in die kinder- und jugendärztlichen Praxen kommt – der Kinderarzt hat ja demnächst die besondere Aufgabe, auch Präventionsangebote und Empfehlungen auszusprechen – und dann die Angebote, die es in der Region gibt, aufgreift, vermittelt und dabei mit für den Zugang sorgt?

Idealerweise könnte, so meinen wir, ein kommunaler Präventionsrat der Frage nachgehen: Welche Bedarfe gibt es in der Region und im Quartier?

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die Gesundheitskonferenzen zum Beispiel!)

Alle Betroffenen, alle Akteure sollten mitmachen und mitgestalten. Ich sage es noch einmal: Teilhabe und Partizipation – das gilt gerade für benachteiligte Gruppen – haben per se einen gesundheitsfördernden Effekt. Insofern ist die Einbeziehung der Menschen ganz wichtig.

Wir fangen ja nicht bei null an. Es gibt schon gute Arbeitsansätze. Wir haben eine gemeinsam erarbeitete Arbeitsschutzstrategie. Wir haben eine betriebliche Gesundheitsförderung, die über gute Daten verfügt, die auch deutlich machen, dass sich gesundheitsfördernde Angebote rechnen. Nacharbeiten müssen wir bei den kleinen und mittleren Unternehmen; das ist ganz klar.

Und wir haben die Angebote der gesetzlichen Krankenversicherung im Setting schon seit einer Reihe von Jahren, qualitätsgestützte Angebote für Kinder in Kindertagestätten und Schulen – es geht um Bewegung, Ernährung, Stressbewältigung –, also vieles, worauf wir aufsetzen können.

Übrigens: In den Kindergärten werden dann auch die privat versicherten Kinder mit durchgezogen; die PKV engagiert sich ja an dieser Stelle nicht, vielleicht noch nicht. Das ist ein Angebot für alle Kinder, da wird nicht gefragt: Wie bist du versichert?

Was wir uns wünschen, ist Prävention und Gesundheitsförderung, die auch mit Qualität versehen sind. Da sieht das Gesetz Modellprojekte vor. Das ist auch ganz wichtig. Wir haben natürlich unter Freunden auch die Kritik gehört, dass es falsch ist, die wichtige und gute Arbeit der BZgA aus Beitragsgeldern zu finanzieren. Hier müssen zur Finanzierung auch Steuermittel herangezogen werden; das halten wir für wichtig.

(Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])

Wir würden den Betrag anheben, der jetzt in die Lebenswelten geht, aber das abhängig machen von den Ergebnissen des Präventionsberichtes. Wir wünschen uns auch eine Verbindung zu den großen Programmen, die es noch gibt, etwa „Soziale Stadt“ im Kernbereich der Menschen; auch das muss Erwähnung finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum steht es nicht drin im Gesetz?)

Schließlich wünschen wir uns eine Förderung der Selbsthilfe; die ist im Präventionsgeschehen ganz wichtig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4779506
Wahlperiode 18
Sitzung 95
Tagesordnungspunkt Gesundheitsförderung und Prävention
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