20.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 95 / Tagesordnungspunkt 18

Rudolf HenkeCDU/CSU - Gesundheitsförderung und Prävention

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Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wenn man über Prävention spricht, muss man das nicht mit einer Leichenbittermiene tun

(Beifall bei der CDU/CSU)

und darf dabei nicht den Eindruck erwecken, als sei das eine traurige Angelegenheit. Vielmehr sollte man zunächst einmal sagen, dass man sich richtig darüber freuen kann, welche großen Möglichkeiten die Medizin, die Sozialwissenschaften und der Wandel hin zu einer auf Beteiligung gerichteten Demokratie mit viel Freiheit und mit vielen Einflussmöglichkeiten geschaffen haben.

Auf dem Gebiet der früheren DDR hat sich durch die friedliche Revolution und ihre Folgen die Lebenserwartung um acht Jahre erhöht. Das war durch Politik bewirkte Prävention.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich haben sich auch dadurch, dass es gelungen ist, Menschen aus der Arbeitslosigkeit und aus der beklagten und bei viel zu vielen immer noch anzutreffenden Armut herauszuholen, die gesundheitlichen Chancen verbessert. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik bedeutet, dass sich als Nebeneffekt auch die gesundheitliche Situation der Menschen verbessert. Darüber darf man sich auch mal freuen, finde ich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie alle haben schon recht, wenn Sie sagen: „Vorbeugen ist besser als heilen!“ Dieses Zitat stammt von dem Arzt, der Goethe, Schiller und Herder behandelt hat, Christoph Wilhelm Hufeland.

(Helga Kühn-Mengel [SPD]: Die sind alle tot! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

– Ja, sie sind alle tot, Frau Kühn-Mengel. Am Ende sind auch wir alle tot.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir wollen alle in den Himmel, nur nicht sofort!)

Das ist auch eines der Probleme: Wir sollten nicht der Illusion unterliegen, als könnten wir mit Prävention der Sterblichkeit entgehen. Wir haben leider – Frau Kühn- Mengel, das ist wichtig – ein Verständnis von Gesundheit, das gewissermaßen mit der Assoziation des ewigen Lebens verbunden ist.

Wir müssen bei der Prävention achtgeben, so glaube ich jedenfalls, dass wir nicht diejenigen diskriminieren, die unter einer Behinderung leiden, krank werden oder Leistungseinschränkungen durch das Alter erleben. Wir müssen achtgeben, dass unser Bemühen um Prävention nicht in eine Art von Gesundheitswahn umschlägt, weil die Sterblichkeit uns Menschen weiterhin miteinander verbinden wird. Wir werden auch bei einer erfolgreichen Prävention Sterbliche bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einmal als Beispiel für soziale Intervention Rudolf Virchow nennen. Rudolf Virchow hat hier in Berlin gewirkt. Von ihm stammt der Satz:

Dieser Rudolf Virchow, der an der Charité über Jahrzehnte hinweg einen Lehrstuhl für Pathologie gehabt hat, hat hier in Berlin die Kanalisation eingeführt. Er hat hier in Berlin Schlachthöfe eingeführt.

(Beifall des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD])

Er hat zum Schutz armer Menschen die Infektionskrankheiten bekämpft. Deswegen stimmt es: Es ist nicht eine Leistung allein der Medizin, wenn Prävention gelingt oder misslingt, sondern es ist eine Frage aller Felder der Politik.

Ich habe hier schon gesagt, dass wahrscheinlich auch die Vermeidung einer inadäquaten Energieproduktion und die Vermeidung von Risiken durch Atomstrom Prävention ist. Das ist das größte gesundheitliche Präventionsprojekt,

(Beifall bei der LINKEN)

das wir jemals gestemmt haben und in dessen Umsetzung wir uns befinden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt gibt es die Frage: Reichen die in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Mittel?

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Inhaltsvermeidungsrede!)

Man kann lange darüber philosophieren, ob die Mittel reichen. Wir verdoppeln die Mittel. Wir verpflichten die Krankenkassen, in Zukunft mehr auszugeben. Wir verpflichten die Pflegekassen zum ersten Mal überhaupt, eigene Mittel einzusetzen, um bei den von ihnen Versicherten Prävention zu fördern. Das ist alles gut.

Wahr ist aber auch – das muss man ehrlicherweise sagen –: Der Gesamtbetrag von etwas mehr als 500 Millionen Euro, der dadurch zustande kommt, entspricht ungefähr den Ausgaben, die an einem einzigen Tag in Deutschland für Behandlungen anfallen. An jedem Tag, den Gott geschaffen hat, geben die Krankenkassen 500 Millionen Euro für Behandlungen aus.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie jetzt mal recht!)

Insofern ist das nur ein Schritt auf einem Weg.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür haben Sie jetzt zehn Jahre gebraucht!)

Er ist aber bei weitem nicht der einzige Schritt. Ich nenne nur das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz. Wir haben auch in früheren Zeiten im Bereich Prävention Schritte unternommen, die sehr wirksam sind.

Egal wie man über einzelne Aspekte diskutiert: Wir haben bei der Darmkrebsprophylaxe Riesenerfolge erzielt. Wir haben einen Riesenerfolg mit dem Hörscreening bei den ganz kleinen Kindern. Früher musste man bis zum zweiten Lebensjahr warten, bis man Hörstörungen feststellen konnte. Heute sind schon in den ersten drei Monaten Interventionen möglich.

Wir haben einen Riesenerfolg beim Screening von Schwangeren auf Diabetes. Heute tritt der Schwangerschaftsdiabetes nicht mehr als plötzliches Unglück auf, sondern man kann ihn früh erkennen und etwas dagegen tun.

Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen dafür, dass auch ärztliche Primärberatung beispielsweise zu Nikotin und Alkohol schon in kurzer Zeit Wirkungen erzielt und dass durch Bewegungsaktivierung viel erreicht wird. Aber es ist auch richtig, dass weder die Individualmedizin noch eine über Kurse der Krankenkassen vermittelte Medizin alleine reichen. Vielmehr besteht die Herausforderung für uns darin, die Gestaltung der Gesellschaft als Ganzes im Blick zu behalten.

Deswegen ist es richtig, von dem eingesetzten Geld 2 Euro pro Tag in die betriebliche Gesundheitsförderung zu investieren, weil wir damit ein Gesamtkonzept schaffen, mit dem wir die Menschen in den Betrieben, an ihren Arbeitsplätzen, ansprechen können. Das ist enorm wichtig, weil wir damit die Leistungen von Betriebsärzten, arbeitsmedizinischen Diensten, verantwortlichen Unternehmen, den dort tätigen betrieblichen Interessenvertretungen und den Gewerkschaften zusammenbringen können. Mit der Arbeitsschutzkonzeption, dem Tätigwerden der arbeitsmedizinischen Dienste in den Betrieben und der Beratung der Versicherten in den Betrieben können wir ein Gesamtgefüge erreichen, das dazu beiträgt, dass der Betrieb ein Ort wird, in dem Gesundheitsförderung vorangebracht wird.

Ich glaube, darauf hat die Arbeitnehmerschaft in Deutschland lange gewartet. Dass das jetzt endlich in diesem Umfang in Gang kommt, ist ein großer Schritt nach vorne. Das ist sehr zu begrüßen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Abgeordneter, die Kollegin Schulz-Asche hat den Wunsch zu einer Zwischenfrage. Wollen Sie sie zulassen?

Ja.

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade zu Recht von den positiven Erfahrungen mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement gesprochen. Es gibt in großen Unternehmen schon sehr viele gute Beispiele. Die Frage ist eher, wie man die 90 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen erreichen kann. Welche Vorstellungen haben Sie, um gerade die kleinen Unternehmen, zum Beispiel eine Kraftfahrzeugwerkstatt oder einen kleinen Laden, zu erreichen?

Ich glaube, dass es klug ist, wenn man die Handwerkskammern und die Industrie- und Handelskammern daran beteiligt. Dabei geht es beispielsweise darum, den Unternehmen deutlich zu machen, dass es schon jetzt Steuervorteile in erheblicher Höhe gibt. Für jeden Arbeitnehmer können bis zu 500 Euro pro Jahr eingesetzt werden, ohne als geldwerter Vorteil versteuert werden zu müssen. Wenn wir es schaffen, die betriebliche Gesundheitsförderung, die in den großen Betrieben schon stattfindet – sie sind in diesem Bereich sehr weit –, mithilfe der Gewerkschaften, der Unternehmensverbände und auch der Politik in andere Betriebe zu transportieren, dorthin, wo ebenfalls ein Interesse daran besteht, dass die Fachkräfte, auf die man angewiesen ist, möglichst lange gesund bleiben, dann haben wir dort eine exzellente Chance. Die Bedingungen dafür, dass das gelingt, werden durch das Präventionsgesetz erheblich verbessert.

Das ist nicht der einzige Schritt. Es muss ein Bewusstsein für die verschiedenen Möglichkeiten geschaffen werden. Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage zutreffend und gut beantwortet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte gerne auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Es wurde kritisiert, dass der ärztlichen Präventionsempfehlung zu viel Bedeutung beigemessen wird. Es gibt Kritiker, die fragen: Welche Rolle spielen die Medizin und insbesondere der ärztliche Beruf im Zusammenhang mit der Prävention? Nehmen wir als Beispiel die Förderung unseres Bewegungsverhaltens. Es gibt Metaanalysen, die zeigen, dass sich bereits bei einer moderaten, regelmäßigen Bewegung eine Senkung der Sterblichkeit um 20 bis 34 Prozent erreichen lässt. Selbst bei leichter Aktivität von 15 Minuten am Tag lässt sich das Sterberisiko um etwa 14 Prozent reduzieren. Wir wissen aus Studien, dass eine ärztliche Beratung, selbst wenn sie nur kurze Zeit dauert, sowohl beim Ernährungsverhalten als auch beim Genussmittelkonsum – ob nun Nikotin oder Alkohol – und auch beim Bewegungsverhalten nachhaltige Veränderungen auslösen kann.

Wir können Menschen – genauso wie 90 bis 95 Prozent der gesamten Bevölkerung –, die keine Präventionskurse besuchen und keinen Zugang zur betrieblichen Gesundheitsförderung haben, weil sie arbeitslos sind, zumindest in der ärztlichen Praxis erreichen und auf diese Weise durch Gesundheitsförderung und Prävention eine Wirkung zu erzeugen, für deren Existenz es wissenschaftliche Belege gibt. Niemand muss ein schlechtes Gewissen haben, wenn er Maßnahmen der ärztlich empfohlenen Prävention in Anspruch nimmt. Mir ist lieber, dass die ärztliche Präventionsempfehlung Realität wird, als dass wir uns darüber streiten, wer Mitglied der Nationalen Präventionskonferenz sein soll. Sicherlich ist es diskussionswürdig, ob hier die professionelle Kompetenz noch mehr gestärkt werden soll. Aber das ist eine andere Frage.

Der heutige Tag hat uns zu Beginn unserer Debatte eine Abnahme der Helligkeit beschert. Nun bringt er uns wieder die Helligkeit der vollen Sonneneinstrahlung. Das erinnert an bestimmte festliche Tage. In Pennsylvania gibt es eine Stadt namens Punxsutawney. Dort wird am 2. Februar der Groundhog Day gefeiert. An diesem Tag grüßt das Murmeltier. Ein bisschen verhält es sich mit dem Gesetzgebungsprozess zum Präventionsgesetz wie mit dem Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Es fängt immer wieder von vorne an. Irgendwann kommt ein zeitlicher Schnitt, und dann wird man wieder an den Anfang der Geschichte zurückversetzt. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass nun der Punkt gekommen ist, an dem der Start des neuen Tages bedeutet, dass er im Happy End eines gelungenen und verabschiedeten Präventionsgesetzes enden wird. Lassen Sie uns gut diskutieren und vielleicht noch Verbesserungen an dem Gesetzentwurf vornehmen, wo es möglich ist.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Wir gehen mit Optimismus in die nun anstehenden Beratungen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Birgit Wöllert, Fraktion Die Linke.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4779572
Wahlperiode 18
Sitzung 95
Tagesordnungspunkt Gesundheitsförderung und Prävention
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