20.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 95 / Tagesordnungspunkt 18

Edgar FrankeSPD - Gesundheitsförderung und Prävention

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gesundheitspolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik. Das wussten Sozialdemokraten, Frau Zimmermann,schon immer.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Einige andere Demokraten auch!)

Wir wissen: Soziale Faktoren wie niedriges Einkommen, geringer Bildungsstand und Arbeitslosigkeit haben Auswirkungen auf Gesundheitschancen. Natürlich hängt auch die Lebenserwartung davon ab. Sozialer Status und Gesundheit hängen zusammen.

Wir haben 1999 in § 20 SGB V hineingeschrieben – gerade Sozialdemokraten waren das –: Prävention muss sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen vermindern.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Christdemokraten auch!)

Das ist so etwas wie ein sozialdemokratischer Programmsatz, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen mit Präventionsmaßnahmen die gesamte Gesellschaft erreichen. Aber es ist in der Praxis oftmals so, dass Präventionsmaßnahmen als Marketingaktionen der Krankenkassen missbraucht werden, dass vor allen Dingen junge, gesunde Menschen geworben werden sollen, dass Angebote gemacht werden für Menschen, die ohnehin auf ihre Gesundheit achten. Das ist ein faktisches Problem.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Prävention muss mehr sein als Aufklärung und Sportkurse. Es kann nicht darum gehen, dass wir gesunden und fitten Menschen zusätzlich Gymnastik-, Yoga-, Qigong-Kurse oder was auch immer anbieten. Wir müssen diejenigen Menschen erreichen, die aufgrund ihrer Lebensumstände Gesundheit und Vorsorge nicht in den Mittelpunkt stellen.

Natürlich wissen wir alle: Das geht nur in den Lebenswelten. Wir müssen bei den Kitas, in den Schulen, in den Betrieben, eben in der Lebensgestaltung anfangen. Frau Schulz-Asche, als Kommunalpolitikerin, als Kommunalpolitiker – ich bin ehemaliger Bürgermeister – weiß man, wo gesellschaftliche Veränderungen sich vollziehen: in der Kommune, in den Quartieren, natürlich in den Sozialräumen.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber Familie ist auch wichtig.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt in eurem Gesetz auch nicht vor!)

Die Menschen müssen wir dort erreichen.

Meine hochgeschätzte Kollegin Helga Kühn-Mengel hat viele Themen angesprochen. Ich möchte ein paar Schwerpunkte nennen, die für mich wichtig sind:

Erstens. Wir brauchen vor allen Dingen, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine zielgerichtete und bessere Zusammenarbeit aller Präventionsakteure. Das ist ganz wichtig. Das sind nicht nur Krankenkassen, Schulen, Bildungsträger und Kommunen. Ich habe früher bei der Berufsgenossenschaft gearbeitet. Da hatte man eine Doppelstruktur, einen staatlichen Arbeitsschutz und einen der Berufsgenossenschaften, die in der Selbstverwaltung organisiert sind. Das sind Themen, die wir wirklich praktisch, handwerklich angehen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Wir brauchen eine nationale Präventionskonferenz, um Ansätze in der Prävention und in der Gesundheitsförderung zu bündeln.

Drittens. Wir brauchen Arbeitsschutz und gesundheitliche Prävention in den Betrieben – mit den Sozialpartnern. Auch das ist ein Thema, das wir uns wirklich im Detail anschauen müssen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut ihr aber nicht! Das ist das Problem!)

Wir müssen viertens den Zugang zu Präventionsangeboten für Personen mit besonderen beruflichen und familiären Belastungen erleichtern. Ich denke an Alleinerziehende, Schichtarbeiter oder pflegende Familienangehörige. Auch das ist ein Thema, wie wir alle wissen. Ich war früher einmal Chef einer kommunalen Krankenpflegestation. Da hatten fast alle, die dort gearbeitet haben, Rückenprobleme. Aber das bedeutet natürlich auch, dass wir, gerade wenn wir Gesundheitspolitik machen, so etwas erkennen müssen.

Wir müssen fünftens Früherkennungsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene weiterentwickeln.

Es gibt noch viele Details, die man nennen könnte. Der Herr Minister hat beispielsweise den Impfschutz bzw. die verpflichtende Impfberatung vor Aufnahme in der Kita angesprochen. Das sind, sagen wir einmal, hilfreiche Beispiele, die man nennen kann. Das ist, Frau Schulz-Asche, mehr als Sozialprosa. Das hat wirklich materielle Substanz. Im Übrigen darf ich Ihnen auch noch sagen: Alleine dass wir 2016 die Leistungen auf bis zu 7 Euro pro Versichertem und Jahr verdoppeln, wie es in diesem Gesetz steht, ist eine große Leistung, und das können Sie ruhig anerkennen, liebe Frau Schulz-Asche.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir auch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der mir besonders am Herzen liegt. Das ist der Diabetes, mit dem ich mich in letzter Zeit auch als Ausschussvorsitzender in der einen oder anderen Veranstaltung beschäftigt habe. Sie wissen, mit über 6 Millionen erkrankten Menschen ist der Diabetes, wenn man so will, die häufigste nichtübertragbare Krankheit in Deutschland. Sie betrifft nicht nur ältere Menschen, sondern immer häufiger auch Kinder. Wir wissen, dass Diabetes erhebliche Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe verursacht, dass er die Volkswirtschaft belastet, und wir wissen auch, dass falsche Ernährung, extremes Übergewicht und zu wenig Bewegung Risikofaktoren sind. Mit diesen Risikofaktoren haben natürlich auch wir als Abgeordnete zu kämpfen.

Wir müssen und wollen aber das Erkrankungsrisiko senken. Damit beugen wir nicht nur Krankheiten vor, sondern entlasten letztlich auch das Gemeinwesen von erheblichen Kosten. Man sagt immer: Krankheit verhüten ist besser als Krankheiten vergüten. – Dieser Programmsatz ist im Grunde genommen wichtig. Es wird ja eine nationale Diabetesstrategie diskutiert. Auf Bundesratsebene ist ein Diabetesplan in die Diskussion gebracht worden. Aus meiner Sicht ist, glaube ich, wichtig, dass wir auch und gerade im Rahmen der Diskussion des Präventionsgesetzes diese Probleme in die Beratung einbeziehen; denn hier geht es um Lebenswelten. Beim Diabetes steht das Gesundheitsziel „Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln“ ausdrücklich so im Gesetz. Diese Themen haben eine besondere Bedeutung und müssen ressortübergreifend beraten werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Präventionsgesetz sorgen wir dafür, dass Arbeit nicht krank macht. Wir sorgen dafür, dass gesundes Aufwachsen und Gesundheitschancen von Menschen nicht länger von ihrem Lebensumfeld abhängen. Der vorliegende Entwurf bietet alle Chancen, dass diese Ziele im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens umgesetzt, gegebenenfalls auch noch präzisiert werden und dass, lieber Herr Henke, das Murmeltier der Präventionsgesetzgebung uns nicht jedes Jahr aufs Neue grüßt. Das wäre mein politischer Wunsch.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4779732
Wahlperiode 18
Sitzung 95
Tagesordnungspunkt Gesundheitsförderung und Prävention
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