20.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 95 / Tagesordnungspunkt 19

Marlene MortlerCDU/CSU - Cannabiskontrollgesetz

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf, der in erster Linie das Strafrecht im Blick hat. Wir reden aber auch über eine Lobby, die ich als die brutalste Lobby in meiner bisherigen politischen Arbeit erlebt habe.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)

Wir reden über eine Lobby, die mir den Tod wünscht. Höhepunkt war die Eröffnung eine Facebook-Seite mit dem Aufruf zur Hinrichtung von Marlene Mortler. Meine Tochter hat mich einmal gefragt: Mutter, wie hältst du das überhaupt aus? – Ganz einfach, habe ich ihr geantwortet, wenn ich das nicht aushalte, dann bin ich fehl am Platz. Ich habe eine Motivation. Meine Motivation ist meine Aufgabe als Drogenbeauftragte. Das heißt, ich habe die Gesundheit der Menschen in unserem Land im Blick, und dafür setze ich mich ein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihr Gesetzentwurf hat die rechtlichen Auswirkungen für die Gruppe der Freizeitkonsumenten im Blick. Damit das klar ist: Konsum wird in unserem Land nicht bestraft; das ist eine sogenannte straffreie Selbstschädigung. Aber bei der rechtlichen Einstufung müssen wir die gesundheitlichen Risiken und Langzeitfolgen des Konsums aller Gruppen beobachten. Das muss der Maßstab sein. Das heißt, wir müssen abhängige Konsumenten und Jugendliche und die für sie bestehenden Risiken besonders im Blick haben.

Viele erinnern sich vielleicht noch an die Feldzüge von Bündnis 90/Die Grünen gegen das Rauchen und für Rauchverbote in Gaststätten. Damals konnten die Gesetze nicht streng genug sein. Und heute?

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Marlene!)

Sicherlich erinnern sich noch alle an ihren Beitrag zur Ernährungswende. Der Veggie-Day und Verbote sollten es richten.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Veggie-Day hat nichts mit Haschisch und Cannabis zu tun!)

Erst Harmloses verbieten und jetzt Gesundheitsschädigendes erlauben: Das ist eine absolute Kehrtwende.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube nicht, dass Sie den Gesetzentwurf gelesen haben!)

Ihre Drogenwende kann ich daher nicht akzeptieren. Denn die Legalisierung – und Ihr Gesetzentwurf bedeutet faktisch eine Legalisierung – steht in direktem Widerspruch zu den Zielen des Verbraucherschutzes sowie zu Ihren bisherigen eigenen Zielen, und sie beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit unserer Präventionspolitik. Wir haben vorhin die Debatte darüber aufmerksam verfolgt.

(Hubert Hüppe [CDU/CSU], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Da war der Vorsitzende nicht da!)

Wenn wir in unserem Land mit legalen Suchtmitteln wie Alkohol und Tabak schon genug Probleme haben, dann müssen wir keine zusätzliche Einladung für die illegale Droge Cannabis aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es doch schon! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das geht an der gesellschaftlichen Realität vorbei!)

Das bricht Tabus und verharmlost.

Sicherlich, junge Menschen wollen Grenzen ausloten. Junge Menschen brauchen aber auch Grenzen. Wir wissen: Je jünger ein Cannabiskonsument ist, desto größer sind die Risiken für ihn:

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deshalb erst ab 18!)

belastete Atemwege, Entwicklungsverzögerungen sowie psychische und körperliche Abhängigkeit. Das Auslösen bzw. das Verschlimmern von psychischen Erkrankungen gehört zu den Risiken. Die Denk- und Merkfähigkeit leiden. Dauerhafte Schäden des Gehirns sind nicht auszuschließen, auch nicht nach einer Abstinenz.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage eines Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen?

Das können wir gerne zum Schluss machen.

(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Argumente! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh!)

Ich habe auf die Schädigung bei jungen Menschen hingewiesen. Diese dürfen wir nicht verharmlosen. Erst gestern habe ich dazu ein fünfstündiges Expertengespräch im Gesundheitsministerium geführt. Ehrlich gesagt, die Daten und Problemfälle aus den Behandlungseinrichtungen, die mir gestern einmal mehr geschildert wurden, sind wohl nur die Spitze des Eisbergs. Wir brauchen weitere Daten über die sozialen Folgen eines frühen Cannabiskonsums, zum Beispiel über Schul- und Ausbildungsabbrüche, über Jugendliche, die Jahre auf ihrem Lebensweg verlieren und in ihrer Entwicklung schwer und dauerhaft beeinträchtigt sind.

(Frank Tempel [DIE LINKE]: Daran hat das Verbot aber nichts geändert!)

Es gibt also drängende Gesundheitsfragen, die durch Ihren Gesetzentwurf trotz detaillierter Regelungen nicht beantwortet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Auch nicht durch Verbote!)

Unsere Drogenpolitik in Deutschland fußt auf vier Säulen: erstens Prävention, zweitens Beratung und Hilfe, drittens Schadensminimierung bzw. -reduzierung und viertens Strafverfolgung. Wir dürfen unser eigenes Suchthilfesystem und unsere Drogenpolitik im eigenen Land nicht schlechtreden. Aber wir müssen selbstverständlich immer wieder nachbessern. Auch ich hinterfrage immer wieder mein eigenes Handeln und Denken: Gehe ich noch in die richtige Richtung? Ich befinde mich laufend im Gespräch mit Suchthilfeeinrichtungen und der Polizei und frage, ob eine Lockerung in Richtung Legalisierung geboten erscheint. Ich habe noch keine Stimme gefunden, die Ja gesagt hat.

(Lachen bei der LINKEN – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Tempel [DIE LINKE]: Alle drei Polizeigewerkschaften haben sich geäußert!)

Frau Kollegin, der Abgeordnete Ströbele wünscht, eine Zwischenfrage zu stellen. Mögen Sie sie zulassen?

International genießt unsere ausgewogene Drogenpolitik eine hohe Anerkennung. Zuletzt konnte ich das bei der Tagung der CND, der Commission on Narcotic Drugs, der internationalen Suchtstoffkommission, in Wien erleben.

(Zuruf von der LINKEN: Welchen Rotwein gab es da?)

Dort habe ich mit Drogenexperten und Gesundheitsministern aus der ganzen Welt gesprochen. Auf dieser Konferenz haben sich Europa und selbst die USA für die unveränderte Aufrechterhaltung der sogenannten UN- Drogenkonventionen ausgesprochen.

(Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie wissen schon, was in den USA passiert?)

Deutschland und 183 andere Nationen haben diese Konventionen 1961, 1971 und 1988 unterschrieben. Sie wollen nun, dass wir aus diesen Einheitsabkommen austreten. In der Opposition kann man sicherlich alles fordern. Aber unsere Regierung trägt Verantwortung. Wir werden unseren internationalen Ruf, unsere Verlässlichkeit und unsere Glaubwürdigkeit mit Sicherheit nicht aufs Spiel setzen, nach dem Motto „kurz raus, dann wieder rein“. Das ist unseriös.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Konvention von 1961 steht ganz klar: Cannabis für den Freizeitkonsum ist illegal. – Für medizinische und wissenschaftliche Zwecke gibt es Spielraum. Diesen Spielraum nutzen wir. Wir werden demnächst den Entwurf eines Gesetzes vorlegen, das mehr und schwer chronisch erkrankten Patienten den Zugang zu Cannabisarzneimitteln erleichtern soll.

Zur Erinnerung: Es war die unionsgeführte Bundesregierung, die zum ersten Mal überhaupt in diesem Land ein Cannabisfertigarzneimittel zugelassen hat.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist total lächerlich!)

Es wird wieder die unionsgeführte Bundesregierung sein, die in unserem Land die Verkehrs- und Erstattungsfähigkeit von Cannabis als Medizin aus der Apotheke erweitern wird. Dafür danke ich auch unserem Koalitionspartner. Wir sind hier auf einer Linie; wir sind uns hier komplett einig.

(Zuruf von der SPD)

Wir sind uns aber auch darin einig, dass wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Er ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang und nicht einschätzbarem Risiko: Hanfanbau für jeden, 30 Gramm pro Einkauf; im Gesetzentwurf steht nichts von einer Limitierung auf einen Tag, einen Monat oder ein Jahr. Mein Kollege Jens Spahn hat ausgerechnet: Diese 30 Gramm reichen für bis zu 120 Joints. Er hat treffend geschlussfolgert: Derjenige, für den das der „kurzfristige Eigenbedarf“ ist, ist abhängig und braucht eher einen Arzt.

(Frank Tempel [DIE LINKE]: Andere Experten finden Sie auch nicht mehr!)

– Ich zitiere den zuständigen Experten in Uruguay, lieber Kollege, der vor Ort der Oberexperte ist. Er sagt: Bereits der regelmäßige Konsum von 1 Gramm Marihuana am Tag bedeutet, dass man zur Risikogruppe gehört und damit ein gesundheitliches Problem hat.

(Frank Tempel [DIE LINKE]: Wie ist das beim Alkohol?)

Unsere Gesundheit zählt. Es darf hier nicht um das große Geschäft gehen. Mit diesem Gesetzentwurf forcieren Sie ein Geschäft, eine Industrie, die Sie gestern noch massiv bekämpft haben.

(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: So ist es!)

Deshalb fordere ich Sie auf – ich werde gleich einen persönlichen Beitrag dazu leisten –: Kümmern Sie sich besser um natürliche geistige Energie, die Sie frisch hält.

(Die Rednerin überreicht der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Tüte Nüsse)

Ich danke dem Präsidenten für die Geduld.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4779963
Wahlperiode 18
Sitzung 95
Tagesordnungspunkt Cannabiskontrollgesetz
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