20.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 95 / Tagesordnungspunkt 19

Burkhard BlienertSPD - Cannabiskontrollgesetz

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Tagesordnung will es so, dass wir direkt im Anschluss an die Debatte um ein Präventionsgesetz, in dem es um Vorsorge und Krankheitsvermeidung geht, über eine Droge diskutieren. Das passt gut zusammen. Bezogen auf den Bereich Drogen und Sucht stellt die WHO ja fest, dass 40 Prozent aller Erkrankungen und frühzeitiger Todesfälle auf insgesamt drei Faktoren zurückzuführen sind: Rauchen, Alkohol und unter Alkoholeinfluss verursachte Verkehrsunfälle. Das macht nur allzu deutlich, wie wichtig ein lebensweltbezogener Ansatz einer erfolgreichen Prävention ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der vorliegende Gesetzentwurf behandelt die Freigabe der illegalen Droge Cannabis. Da ergibt sich erst einmal ein Widerspruch. Aber es hat sich gezeigt, dass wir auf vielen Ebenen letztendlich über ein wesentliches Ziel unserer Politik diskutieren müssen. Ich zitiere: Gerade Cannabis

Das war ein Zitat aus dem Vorstandsbeschluss der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen aus dem Jahr 2004. Ich finde, dieses Ziel ist für Cannabis nach wie vor richtig und wichtig. Es ist auch nach weiteren elf Jahren bundesdeutscher Drogen- und Suchtpolitik noch nicht erreicht. Wir sind vielleicht sogar noch weiter davon entfernt als 2004.

Es muss um die Frage gehen, einen möglichst umfassenden Gesundheitsschutz sicherzustellen und gleichzeitig die sozialen und wirtschaftlichen Folgen im Auge zu behalten. Deshalb kann es eben nicht einfach um die Fragestellung „Legal oder illegal?“ gehen. Rund ein Viertel der Altersgruppe zwischen 18 und 64 Jahren haben Cannabis schon einmal konsumiert. Laut Suchtsurvey 2012 konsumierten knapp 3 Millionen Personen Cannabis in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Grund genug, es zu legalisieren! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Trotz Verbot!)

Die Prävalenz hat eben trotz Illegalität der Droge nicht abgenommen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eben!)

Mit Ihrem Gesetzentwurf versuchen Sie nun einen gewagten Spagat: den Konsum der illegalen Droge Cannabis in den Griff zu bekommen, sie als Genussmittel für Erwachsene hoffähig zu machen und gleichzeitig Jugendliche vor dem Konsum zu schützen. Wörtlich heißt es hierzu in der Begründung:

Ursache dieses Gesetzes ist natürlich die unbestrittene Einschätzung, dass die Prohibitionspolitik nicht dazu geführt hat, dass Cannabiskonsum verhindert wurde, sondern, wie im Gesetzestext dargelegt ist, noch anstieg. Für mich ist es daher politisch durchaus gerechtfertigt, sich die Frage zu stellen, ob nicht andere Wege im Umgang mit Cannabis sinnvoller wären,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

ob nicht über neue Wege der Staat in die wichtige kontrollierende und präventive Rolle gelangen würde. Ich warne aber eindringlich davor, die Gefahren von Cannabis zu bagatellisieren und zu meinen, dass nur Jugendliche vor dem Konsum zu schützen seien.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Grundsätzlich sollte die Einschätzung gelten: Cannabis ist eine Droge. Sie birgt Suchtpotenzial, und sie ist gesundheitsschädlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch im Sommer des letzten Jahres wollten Sie in einem gemeinsamen Antrag mit den Linken die Wirkungen des Betäubungsmittelrechts evaluieren lassen. Diesen Ansatz lassen Sie jetzt erst einmal fallen.

(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie dem denn zu? – Frank Tempel [DIE LINKE]: Der Antrag ist nicht weg!)

Sie wischen das Ziel der Erkenntnisgewinnung weg und stellen einen Gesetzentwurf vor, der medienwirksam von Ihrem Parteivorsitzenden angekündigt wurde. Das ist für mich aber keine vertrauensbildende und vorsorgende Gesundheitspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Idee eines regulierten Marktes für die Cannabisabgabe will ich gar nicht per se verdammen. Es lohnt sich mit Sicherheit, gerade weil die Verbotspolitik nicht die erhoffte Wirkung hatte, den Blick zu weiten, in Länder jenseits von Deutschland zu schauen, auch in andere europäische Länder wie Portugal, Niederlande und die Schweiz.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber die Inhalte und Regelungen müssen zweckdienlich sein; sie dürfen nicht ideologisch sein. Zweckdienlich heißt für mich: Nicht der Genuss eines Suchtmittels hat Vorrang, sondern die Prävention und ein sicherer Konsum.

Unabhängig vom vorliegenden Gesetzentwurf muss daher sichergestellt sein: Sollte sich eine regulierte Freigabe von Cannabis als sinnhaft herausstellen, so darf dies kein Einfallstor im Umgang mit anderen Drogen werden. Wir dürfen nicht in eine Öffnungsschiene geraten, die wir nicht beherrschen können. Deshalb gilt: Aufgabe unserer Gesundheitspolitik muss weiterhin die Abwehr und die Vorbeugung von Suchterkrankung bleiben; es darf nicht um die grundsätzliche Freigabe von Suchtstoffen unter dem Deckmantel des „Rechts auf Selbstschädigung“ gehen.

Herr Kollege Blienert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald?

Ja. Bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Kollege Blienert, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Zunächst: Ich bin in dem Thema dieser Debatte emotional engagiert, weil ich vor 40 Jahren meinen ersten Artikel dazu veröffentlicht habe, damals in der Schülerzeitung mit dem schönen Namen Pegel; er trug den Titel: „Legalize it“. Die Legalisierung von Haschisch und Marihuana ist also ein Thema, das mir persönlich schon lange am Herzen liegt; denn es gibt keinen Grund, diese anders zu behandeln als Alkohol.

Aber nun zu meiner konkreten Frage. Ich habe in Ihrer Rede nicht so richtig erkennen können, dass Sie dagegen sind, Haschisch und Marihuana zu legalisieren. Ich habe zumindest keine Argumente gehört. Sie haben sehr sachlich abgewogen. So frage ich Sie: Sind Sie gegen den Gesetzentwurf der Grünen, oder sind Sie dafür?

Ich möchte Sie bitten, auch etwas zu der Bewertung zu sagen, die Ihr SPD-Kollege Thomas Isenberg, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, vorgenommen hat, und dazu, wie Sie zu der Differenz in den Auffassungen stehen. Er hat nämlich erst kürzlich erklärt: „Das Verbot von Cannabis ist gescheitert“, und er hat gefordert, Modellprojekte für eine legale Abgabe von Cannabis einzuführen. Meine Frage ist: Wie stehen Sie dazu? Wann kommt die SPD zu einer einheitlichen Position in Sachen Cannabislegalisierung?

Letzte Bemerkung: Wir haben heute nicht nur den Equal Pay Day und die Sonnenfinsternis. Nein, wir haben auch Frühlingsanfang. Vor allen Dingen haben wir heute aber den internationalen Tag des Glücks.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Machen Sie uns doch alle glücklich, und sagen Sie an dieser Stelle, dass die SPD auch einmal einem vernünftigen Gesetzentwurf der Opposition zustimmen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrter Herr Kollege, ich freue mich zunächst sehr über Ihr Zutrauen, dass die SPD das Glück tatsächlich bringen kann.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde, das haben wir heute schon gerechtfertigt.

Zum ersten Punkt Ihrer Frage. Wir reden heute über einen gerade eingebrachten Gesetzentwurf. Wir werden ihn dann ja auch im Ausschuss beraten. Ich glaube, zur gesamten Bandbreite beim Umgang mit dem Thema Cannabis – Cannabis als Medizin, Cannabis als Genussmittel, Cannabis als Risikofaktor, insbesondere für Jugendliche, einer möglichen Drogenkarriere – gehört tatsächlich auch, Abwägungen zu treffen und ideologiefrei darüber zu reden. Ich glaube, die Zeit für diesen Prozess sollten wir uns auch nehmen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 40 Jahre schon!)

sonst geraten wir viel zu schnell in Widersprüche.

Zum zweiten Punkt. Dass der Kollege Isenberg aus Berlin notwendigerweise und richtigerweise darauf hingewiesen hat, was für Berlin richtig und wichtig sein kann, will ich gar nicht bewerten. Ich glaube, er hat wichtige Sätze für Berlin gesprochen. Er hat auch deutlich gemacht, wie intensiv sich die SPD in den Ländern, in den großen Städten und Kommunen des Themas annimmt.

(Zuruf von der LINKEN: Theoretisch, nicht praktisch!)

Wir sind dabei, diese Meinungen zusammenzubringen und ergebnisbezogen zu diskutieren.

Ich denke, da wir in den letzten Jahren wenige Fortschritte verzeichnen konnten, müssen wir uns jetzt wenigstens die Zeit nehmen, die wir notwendigerweise brauchen, um die richtigen Antworten zu finden. Die richtigen Antworten können nur gefunden werden, wenn wir uns danach richten, dass es nicht von oben, vom Bund aus, verordnet werden kann,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Betäubungsmittelgesetz ist ein Bundesgesetz! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist aber ein Bundesgesetz!)

sondern in den Ländern und Kommunen gleichzeitig eine Debatte geführt werden muss, und so dafür sorgen, dass wir eine gesellschaftliche Akzeptanz bekommen, um über Drogen im Allgemeinen und natürlich Cannabis im Besonderen zu diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zum Schluss. Vor diesem konkreteren Hintergrund bin ich bereit zu einer Debatte, auch über einen regulierten Markt für die Abgabe von Cannabis. Der regulierte Markt darf aber nicht einem suchtmäßigen Konsum dienen. Eine Regulierung soll den Schwarzmarkt austrocknen und Kriminelle von den Konsumenten fernhalten, Konsumenten entkriminalisieren,

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

und gleichzeitig starke präventive Maßnahmen vorsehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hierzu reicht es nicht aus, lediglich den Jugendschutz zu gewährleisten. Der Konsum kann auch für Erwachsene allenfalls in klaren Grenzen stattfinden. Freimengengrößen, Anbauregelungen, Vertriebsstrukturen und steuerrechtliche Maßnahmen müssen hierzu genauestens überlegt und diskutiert werden.

Mein Ziel wird es nicht sein, einen Rausch für alle zu gewährleisten. Mein Ziel wird es sein, gesundheitliche Prävention zu stärken und Lebensstile unter nachdrücklichem Verweis auf Risiken und Nebenwirkungen bestimmter Konsumverhalten nicht zu kriminalisieren, damit der Staat wieder die Kontrolle über diesen Bereich erhält, die er benötigt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Rudolf Henke.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4779990
Wahlperiode 18
Sitzung 95
Tagesordnungspunkt Cannabiskontrollgesetz
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta