20.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 95 / Tagesordnungspunkt 19

Bettina MüllerSPD - Cannabiskontrollgesetz

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über den Umgang mit Drogenhandel und Drogenkonsum wird schon seit Jahrzehnten sehr ideologisch und auch sehr emotional diskutiert. Inzwischen sind diese Debatten schon an vielen Punkten von den gesellschaftlichen Realitäten überholt worden, insbesondere was den Cannabiskonsum anbelangt. Entwicklungen wie die Freigabe in Teilen der USA, die Situation in den liberalen Niederlanden, aktuelle Pläne zur Eröffnung von Coffeeshops in Berlin oder die Forderung nach Cannabis für Schmerzpatienten zwingen uns als Gesetzgeber, uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist überfällig, die geltenden rechtlichen Normen an die gesellschaftliche Realität anzupassen.

Der von den Grünen vorgelegte Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes greift eine Vielzahl von Aspekten auf, bei denen auch die SPD Handlungsbedarf sieht, insbesondere im Bereich der repressiven Kontrollpolitik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns alle einig, dass gerade Jugendliche durch den regelmäßigen Konsum von Cannabis Schaden nehmen. Aber wir haben es durch die Mittel des Strafrechts und andere rechtliche Sanktionen nicht geschafft, den Konsum einzudämmen und den Handel in den Griff zu bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Konsumenten werden weiterhin kriminalisiert und stigmatisiert. Sie weigern sich daher auch, offen zu sprechen und Hilfe anzunehmen. Wer würde gegenüber Eltern und Lehrern schon zugeben, dass er Cannabis konsumiert, wenn permanent das Damoklesschwert des Strafrechts über ihm schwebt? Wir erreichen die jungen Leute mit dem generalpräventiven Ansatz auch deshalb nicht mehr, weil die Sanktionen zum Teil grotesk überzogen sind.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nehmen Sie zum Beispiel das Straßenverkehrsrecht. Für Cannabis im Straßenverkehr gibt es keinen Grenzwert, wie wir ihn beim Konsum von Alkohol kennen. Der Stand der Wissenschaft ist hier aber längst so weit, dass eine genaue Bestimmung der Fahruntüchtigkeit unter THC-Einfluss möglich ist. Deshalb ist es unhaltbar, wenn von einem positiven THC-Befund ausgegangen wird – der auch noch Tage nach dem Konsum vorhanden ist – und dann pauschal auf die Fahruntüchtigkeit geschlossen wird.

(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das müssen wir ändern!)

Dann ist es im Grunde völlig egal, ob jemand tatsächlich akut bekifft Auto fährt oder seit Tagen nichts geraucht hat: Der THC-Wert ist positiv, und somit wird bestraft. Das hat mit strafrechtlicher Prävention nichts mehr zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch unsinniger ist es, dass allein das Mitführen von Cannabis – egal in welcher Lebenslage, auch unabhängig vom Straßenverkehr – zu einer Strafanzeige führt und der Betroffene auch noch bei der Führerscheinbehörde gemeldet wird. Das führt in der Konsequenz nicht selten dazu, dass der Führerschein entzogen wird. Ist der Führerschein für Mofa oder Auto weg, muss durch eine teure MPU nachgewiesen werden, dass sich der Konsument in der Zukunft rechtstreu verhalten wird. Der Führerscheinentzug führt nicht selten zum Verlust von Job oder Ausbildungsplatz; das ist insbesondere für Jugendliche im ländlichen Raum ein großes Problem. Ich komme aus dem ländlichen Raum und kenne einige Fälle, in denen das passiert ist. Das sind die sozialen Konsequenzen, die diese Politik auch mit sich bringt.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Rechtslage, die wir jetzt haben, führt zu einer Art Sanktions-Flatrate; so will ich das einmal nennen. Es ist kein Wunder, dass die Konsumenten mit so etwas wie Flatrate-Rauchen reagieren; denn es ist ja egal. Wenn man raucht – egal wann und wie –, droht Strafe. Man darf sich halt nur nicht erwischen lassen. Das ist die Konsequenz, die die Jugendlichen daraus ziehen. Das hat mit der strafrechtlichen Prävention, wie gesagt, nichts mehr zu tun. Daher sind die im Gesetzentwurf der Grünen enthaltenen Vorschläge im Hinblick auf Änderungen im Straßenverkehrsgesetz und in der Fahrerlaubnis-Verordnung aus meiner Sicht durchaus sachgerecht.

Wenn ich mir aber zum Beispiel die im Gesetzentwurf vorgesehene aufwendige Regulierung der gesamten Handelskette anschaue – vom Anbau über den Großhandel bis zum Einzelhandel –, dann habe ich doch Zweifel an der Realisierbarkeit. Denn wichtige Aspekte wie die Überwachung und Erteilung von Genehmigungen sowie die Kontrolle der Vorschriften werden nur in Abstimmung mit den verschiedenen Ebenen – mit Bund, Ländern, Kreisen und Kommunen – sinnvoll umgesetzt werden können.

Ein kontrollierter Cannabismarkt muss auch funktionieren. Für die Kontrolle müssen die zuständigen Stellen finanziell und personell gut ausgestattet sein. Es muss vermieden werden, dass die Behörden vor Ort von diesen Aufgaben entweder überfordert sind oder gar über das Ziel hinausschießen und Cannabiskonsumenten – statt wie bisher mit den Mitteln des Strafrechts – künftig beispielsweise mit den Mitteln des Gewerberechts mit großem Aufwand und in unverhältnismäßiger Weise verfolgen.

An dieser Stelle ist in dem Gesetzentwurf noch einiges unausgegoren, noch nicht zu Ende gedacht; dazu gehört auch die vorgeschlagene Cannabissteuer, gegen die als solche – mit Blick auf Alkohol- und Tabaksteuer – systemisch nichts zu sagen ist. Aber würde das dadurch eingenommene Geld für die Finanzierung dieses riesigen Aufklärungs- und Kontrollapparates, der insbesondere bei uns in Deutschland dann ja nötig wäre, ausreichen?

(Zuruf des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns der Frage einer grundsätzlichen Neuausrichtung im Umgang mit Cannabiskonsumenten stellen. Der Entwurf der Grünen ist ein Einstieg. Ich freue mich auf konstruktive Beratungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4204 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu sehe ich keine anderweitigen Vorschläge; deshalb gehe ich von Ihrem Einverständnis aus. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den letzten Tagesordnungspunkt am heutigen Tag auf:


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4780077
Wahlperiode 18
Sitzung 95
Tagesordnungspunkt Cannabiskontrollgesetz
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