Hans-Joachim SchabedothSPD - Aktuelle Stunde Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG durch Ausgliederung
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht haben Sie auch schon einmal als Besucher im Stadion oder bei einem Konzert die Erfahrung gemacht, dass plötzlich alle vor Ihnen aufspringen, um besser sehen zu können. Was bleibt einem da übrig? Man erhebt sich auch. Oft reicht das aber nicht. Denn die vor einem stehen auch schon auf den Zehenspitzen. Dabei ist es doch offensichtlich: Weil es alle tun, sieht keiner besser, aber alle stehen schlechter. Wäre es da nicht besser, alle würden sich wieder auf das Sitzen verständigen?
(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD])
In einer ähnlichen Situation befindet sich jetzt die Post AG. Da gibt es Konkurrenten, die stehen schon längst auf den Zehenspitzen, um mit dem gelben Riesen mithalten zu können. Die Post, heute die Post AG, wurde einst aus guten Gründen „gelber Riese“ genannt. Das war kein Spott. Gelber Riese: Da schwang Respekt mit, weil er die besten Standards verkörperte. Doch für die Post von heute scheinen die Aktionäre schon lange wichtiger geworden zu sein als ihre Beschäftigten und ihre Kunden.
Wir, die Kunden, fragen uns schon lange: Gelber Riese, warum machst du dich so klein? Warum vertraust du nicht auf deine Stärke – gute Bezahlung und hervorragenden Kundenservice –, statt jetzt auf Billigtöchter ausweichen zu wollen?
Ich hatte meine letzte 55-Cent-Briefmarke noch nicht verbraucht, da stieg das Briefporto schon auf 58, 60 und jetzt sogar 62 Cent. Das ist vielleicht noch okay, habe ich wie viele andere gedacht, wenn es den Frauen und Männern nutzt, die uns die Post bei jedem Sauwetter zustellen. Doch schon lange hat sich die Gleichung „Guter Arbeitgeber, gute Bezahlung, gute Leistungen“ zum Schlechteren verschoben. Das müssen wir leider festhalten.
Das genaue Hingucken bestätigt: Die Post arbeitet schon seit Jahren bei den Zustellern inflationär, wie ich meine, mit Zeitverträgen. Die vielen befristet, aber noch nach Haustarif bezahlten Arbeitenden sehen sich jetzt zu den Billigtöchtern der Post gedrängt, wenn sie nicht arbeitslos werden wollen. Das kann nicht die Lösung sein.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es muss einen besseren Weg geben, die unfairen Wettbewerbsbedingungen im Bereich der Paketzustellung zu verändern. Solche Wege lassen sich aber nur über Verhandlungen mit der zuständigen Gewerkschaft Verdi finden und nicht gegen sie und die Beschäftigten. Die vielen praktischen Erfahrungen mit Tarifflucht in allen anderen Branchen beweisen: Die Spirale nach unten lässt sich nicht stoppen, wenn der Wettbewerbsdruck einfach auf die Beschäftigten verlagert wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Im Übrigen haben auch die Kunden nichts davon; denn es geht bei diesem Wettbewerb nicht um bessere Qualität, sondern um die Minderung der Arbeitskosten. Dabei gibt es nur Verlierer.
Der intendierte Kostenvorteil bei der Post AG wird schon bald wieder ausgeglichen, weil die anderen Wettbewerber nachziehen werden. Denken Sie an mein Eingangsbeispiel! Zum Glück haben wir die äußerste Schamgrenze für den Lohnsenkungswettbewerb inzwischen durch den gesetzlichen Mindestlohn gezogen.
(Beifall bei der SPD)
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeutet das wirklich, dass wir zuschauen, wenn alle, die es können, ihre Entlohnung auf den gesetzlichen Mindestlohn herunterdrücken? Das ist doch nicht in unserem Sinne.
(Beifall des Abg. Klaus Barthel [SPD])
Der gelbe Riese, die heutige Post AG, ist nie nur irgendein Dienstleister unter vielen anderen. Er steht in der Tradition eines Betriebes der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die jahrzehntelang bewährte Mitbestimmungskultur unterscheidet die Post immer noch von einem Unternehmen wie Amazon.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Demnächst nicht mehr!)
Das macht die Post AG unter lauter Zwergen zum standardsetzenden Riesen, im Guten, aber leider auch im Schlechten.
Deshalb fordere ich bei allem Respekt vor der Autonomie der Post AG den Anteilseigner Bund auf, dem Teilausstieg aus der Haustarifbindung bei der Paketzustellung zu widersprechen und die Mitbestimmungskultur bei der Post AG nicht zu belasten, sondern für Konfliktlösungen zu nutzen. Bei der Post AG soll es auch zukünftig keine Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse geben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege, das waren wunderschöne Schlussgedanken, zumal Sie Ihr Zeitkontingent ausgeschöpft haben.
Deshalb frage ich den Postvorstand und die Aufsichtsräte: Gelber Riese, warum willst du dich so verzwergen? Nutz die Chance, mit Verdi eine bessere Lösung zu finden! Die Zukunft – auch bei der Postzustellung – gehört den Besseren und nicht den Billigeren.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Uwe Lagosky, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4806655 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 96 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG durch Ausgliederung |