26.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 97 / Tagesordnungspunkt 20

Franz ThönnesSPD - EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Werte Gäste aus Georgien, aus Moldau und aus der Ukraine! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidungen, um die es heute geht, haben ihre Grundlage in der seit Mai 2009 von der EU und ihren Mitgliedstaaten verfolgten Politik des Auf- und Ausbaus einer Östlichen Partnerschaft mit den Ländern Aserbaidschan, Armenien, Georgien, Moldau, Ukraine und Weißrussland.

Diese Partnerschaftspolitik war zentral darauf ausgerichtet, das Alltagsleben der Menschen in diesen Ländern Stück für Stück zu verbessern, Wohlstand und Lebensstandard in einem friedlichen Miteinander zu erhöhen. Dazu gehörten die Öffnung der Märkte, politische Reformen zur Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, eine intensivere Einbindung in die Zivilgesellschaft, Schritte zur Angleichung von Standards in verschiedenen Bereichen der Verwaltung und bei Fragen in den Bereichen Energie, Umwelt- und Klimaschutz, die Stärkung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung der Krake Korruption. Mittel und Instrument sollten die Assoziierungsabkommen, begleitet von umfassenden Freihandelsabkommen, sein.

Nun kann keiner der politisch Handelnden auf dem europäischen Kontinent behaupten, während des knapp fünfjährigen Prozesses jeden Tag alles richtig und nichts falsch gemacht zu haben. Diese Feststellung ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass Aserbaidschan, Armenien und Weißrussland kein Assoziierungsabkommen unterzeichnen. Aber sie ergibt sich auch aus der Tatsache, dass der Weg von der Aufnahme der Verhandlungen bis zum jetzigen Abschluss und zur Ratifikation der Assoziierungsabkommen mit Georgien, Moldau und der Ukraine nicht frei von Konflikten dieser Länder und der Europäischen Union mit dem größten Nachbarn im Osten, nämlich mit Russland, war.

Handelsauseinandersetzungen, gewalttätige Konflikte, Drohungen bis hin zu kriegerischen Handlungen, der Bruch des Völkerrechts durch Russland und der Verstoß gegen OSZE-Prinzipien, die Drohung mit und die Anwendung von Gewalt gegen die Ukraine haben uns in Europa in eine Situation geführt, in der die Gefahr einer neuen Spaltung nicht mehr irreal erscheint. In dieser Situation sind jetzt alle gehalten, Beiträge zur Deeskalation – in der Praxis wie in der Rhetorik – und zur Sicherung des Friedens zu leisten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist in der aktuellen Lage in Europa nach wie vor das oberste Gebot, alles dafür zu tun, dass die Minsker Vereinbarungen der vier Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Russlands, der Ukraine und Deutschlands zum Waffenstillstand und zur friedlichen Konfliktlösung Schritt für Schritt nachprüfbar umgesetzt werden, und zwar von allen, die darin als Akteure genannt wurden – hüben wie drüben.

Dennoch ist der heutige Tag wie der 16. September des vergangenen Jahres, als das Europaparlament den Assoziierungsabkommen zugestimmt hat, ein Tag der Freude und der Perspektive – einer Perspektive, für die sich die Menschen in den Ländern Georgien, Moldau und der Ukraine engagiert haben, für die sie gestritten haben, für die sie bei Wahlen gestimmt haben, einer Perspektive der größeren Nähe zur Europäischen Union, zu mehr Wohlstand und mehr Freiheit. Diese Perspektive muss nicht bedeuten, dass die bisher existierenden engen internationalen Verbindungen und Wirtschaftsbeziehungen aufgegeben werden müssen, sondern sie kann mit dazu beitragen, zusammen von einer gemeinsamen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu profitieren.

Moldau hat den Prozess der Assoziierung sehr intensiv mit der EU betrieben. Im Juni/Juli 2014 erfolgten Unterzeichnung und Ratifizierung. Das Gleiche gilt für Georgien. Seit April 2014 gilt die Visafreiheit. Dennoch gibt es enge Beziehungen zu Russland. Es gibt die Energieabhängigkeit, die Abhängigkeit mit Blick auf den Export moldauischer landwirtschaftlicher Produkte, und außerdem gewährleisten 600 000 bis 800 000 moldauische Gastarbeiter in Russland 20 Prozent des moldauischen Bruttoinlandsproduktes. Hier sind auch die russischen Handelsrestriktionen, die wir zu Recht kritisieren, und nicht zuletzt die offene Transnistrienfrage zu nennen.

Bei allem Bekenntnis zu Europa müssen wir dennoch die geringe Wahlbeteiligung bei der letzten Wahl realisieren und sagen: Hier gilt es, mehr gute Arbeit zu leisten und für eine klare Unterstützung bei den zukünftigen Reformen zu sorgen, damit mehr Zuspruch gewonnen wird.

Georgien ist sehr ambitioniert, insbesondere bei der Stärkung des Rechtsstaates und der Korruptionsbekämpfung. Doch auch hier gibt es Streitigkeiten innerhalb der Regierung, die nicht gerade Stabilität vermitteln.

Meine Besuche in der Ukraine haben mir in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder deutlich gezeigt, wie stark die Europabegeisterung der Menschen ist und wie stark ihr Wille ist, nach 20 Jahren der Korruption und der Ausbeutung durch ein korruptes Staatswesen endlich einen guten Weg in Richtung Europa zu gehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

So geschunden das Land durch die Konfliktlage und die kriegerische Auseinandersetzung ist, so ungebrochen ist der breite Wunsch der Menschen, den Weg nach Europa zu gehen.

Nun gilt es, die Herkulesaufgabe der inneren Reformen trotz aller äußeren Widrigkeiten zielstrebig voranzutreiben, und zwar mit konkreter Implementierung. An Unterstützung soll es dabei nicht mangeln. Die Menschen dürfen nicht noch einmal enttäuscht werden. Denn mit der Zustimmung des ukrainischen Parlamentes zum Assoziierungsabkommen ist man ein Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger eingegangen; dafür hat die Maidan-Bewegung monatelang gekämpft, und dafür haben Menschen ihr Leben gelassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Herausforderungen sind enorm. Die Erwartungen im Inneren und von außen sind groß. Auf der Agenda stehen die konsequente Umsetzung der Beschlüsse von Minsk, eine Verfassungsreform, der Aufbau eines Rechtsstaates, die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols – nicht zuletzt durch die Entwaffnung aller staatlich nicht legitimierten Personen und Truppen –, der Kampf gegen Korruption und die Begrenzung der Macht der Oligarchen. Zu welchen Konflikten das führen kann, haben wir gerade bei der Entmachtung von Kolomojskyj gesehen.

Zu nennen ist aber auch die ökonomische Realität: ein Wirtschaftseinbruch um circa 15 Prozent in 2014, 1,2 Millionen verlorengegangene Arbeitsplätze, 2 bis 3 Millionen Menschen ohne Arbeit, 50 Euro Durchschnittsrente, 130 bis 160 Euro Durchschnittseinkommen, Steuersätze von 20 Prozent, 8 Millionen registrierte Beschäftigte, 12 Millionen Rentnerinnen und Rentner. In dieser Relation erkennt man das Spannungsverhältnis.

Die Finanzministerin, Frau Jaresko, sagt schon jetzt, die 40 Milliarden US-Dollar vom IWF und von der EU würden nicht ausreichen, und Gunter Deuber von der Raiffeisen Bank International in Wien prognostiziert gar einen Bedarf von 200 Milliarden US-Dollar in den kommenden Jahren.

Wenn man sich das Ganze anschaut, dann erkennt man: Es geht jetzt darum, dass die Reformen die Menschen überzeugen müssen. Es müssen gute Reformen sein, die auch wahrnehmbar sind. Dazu gehört auch der soziale Dialog zwischen den Gewerkschaften, den Arbeitgebern und der Zivilgesellschaft, der in allen drei Assoziierungsabkommen gefordert wird. Es ist notwendig, die einzelnen Reformschritte gemeinsam zu diskutieren und zu beraten. Die Gespräche mit Gewerkschaftsvorsitzenden und mit der Führung des Arbeitgeberverbandes bei meinem Besuch in der Ukraine vor einigen Tagen haben mir deutlich gemacht, dass hier durchaus noch Spielraum nach oben ist.

Wenn jetzt Finanzströme von Kiew in die Regionen fließen, weil diese mehr Verantwortung tragen sollen, dann müssen eine entsprechende Kontrolle und ein entsprechendes Monitoring stattfinden. Die neu gewählten Kommunalpolitiker müssen dafür unsere Unterstützung bekommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir alle bleiben als Parlamentarierinnen und Parlamentarier gefordert, unsere guten Kontakte in einen weiteren, intensivierten Erfahrungsaustausch einzubringen, damit sich Gutes aus den genannten Assoziierungsabkommen entwickeln kann.

Abschließend ist auf die gemeinsame Verantwortung für die friedliche Entwicklung in diesem gesamten geografischen Raum – nicht zuletzt aufgrund der genannten Verflechtungen – hinzuweisen. Ich denke hier an folgende Passage in der Minsker Vereinbarung der vier Staats- und Regierungschefs:

Herr Kollege.

Ich komme zum Schluss. – Deshalb gilt es, diesen Satz zusammen mit den Assoziierungsländern, der EU und Russland verantwortungsvoll durch gemeinsame Dialoge umzusetzen. Dazu gehört es auch, die Bestrebungen zur Visaliberalisierung mit den drei Ländern, aber auch mit Russland zu intensivieren, damit die Menschen sich begegnen und die vielfältigen Lebensweisen kennenlernen können und damit Fehlinformationen und eine falsche Informationspolitik den Frieden in Europa nicht gefährden.

Stimmen wir dem Assoziierungsabkommen zu! Mit Verantwortung zur Verantwortung durch Verantwortung!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4809083
Wahlperiode 18
Sitzung 97
Tagesordnungspunkt EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta