26.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 97 / Tagesordnungspunkt 8

Joachim PoßSPD - Eigenmittelsystem der Europäischen Union

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Uwe Feiler hat bei diesem spannenden Thema, „Eigenmittelsystem der Europäischen Union“, vieles zu Recht erläutert. Dabei führt das Wort „Eigenmittel“ eigentlich in die Irre. Es suggeriert, dass die EU wirklich eigene Mittel besitzt. Das ist ja nun nicht der Fall. Tatsächlich kommen 85 Prozent der Einnahmen der EU von den Mitgliedstaaten. Lediglich 15 Prozent der Einnahmen werden aus Zöllen und Agrarabgaben bestritten. Deswegen hat in diesem Zusammenhang der Sachverständige Henrik Enderlein betont – zu Recht, meine ich –, dass diese Eigenmittelstruktur, die duale Legitimationsstruktur, die Governance der EU, nicht widerspiegelt. Eigentlich müssten wir eine hälftige Aufteilung haben: eine echte steuerliche Quelle für die eine Hälfte und für die andere Hälfte Beiträge der Mitgliedstaaten.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir, die Bundesrepublik Deutschland, tragen in den Jahren 2014 bis 2020 jährlich mit über 30 Milliarden Euro zum Haushalt der Europäischen Union und damit auch zur ausreichenden Ausstattung der verschiedenen Politikbereiche bei – ich glaube, das muss man hier noch einmal ganz deutlich erwähnen –, ansteigend von über 31 Milliarden Euro im Jahre 2014 auf 35,77 Milliarden Euro in 2020. Das heißt, wir schreiben das bestehende System fort, weil man sich anders nicht hat verständigen können. Es ist bekannt, dass die Leistungen der Mitgliedstaaten in einem nicht sehr transparenten Verfahren aus dem Mehrwertsteueraufkommen und dem Bruttonationaleinkommen bestimmt werden, abzüglich möglicher Rabatte und Rabatten von Rabatten.

Die Kritik, dass dieses Verfahren intransparent ist und sich nicht an den Aufgaben der Europäischen Union orientiert, ist damit nicht ganz von der Hand zu weisen.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aha!)

Der vorliegende Eigenmittelbeschluss, der Teil der sehr schwierigen Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen ist, löst diese Probleme nicht, jedenfalls nicht vollständig. Aber, Herr Kollege Dehm, er ermöglicht es der Europäischen Union, in einer ihrer größten Krisen weiterhin handlungsfähig zu sein. Das hätten Sie zumindest konzedieren können.

Wir stehen in einer Krise in Europa, und deswegen sollten wir die nächsten Jahre nutzen, um über weitere Schritte im Eigenmittelsystem und der EU nachzudenken. Diese europäische Doppelkrise – Finanz- und Wirtschaftskrise einerseits und Russland-Ukraine-Krise andererseits und ihre sozialen Auswirkungen, insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit – haben Europa verändert und machen weiteren Handlungsbedarf deutlich.

Zudem fordern uns – das haben wir vorhin an einem Beispiel erlebt – rechte und linke Populisten und Nationalisten heraus. Das gefährdet die Zukunft Europas in meinen Augen. Die Zukunft Europas ist aber eine Schicksalsfrage für uns, gerade in Anbetracht der Krisen und geopolitischen Veränderungen. Deswegen müssen wir uns entscheiden: weitere Renationalisierung oder eine verstärkte europäische Integration. In der Renationalisierung liegt keine gute Zukunft für die europäische, westlich orientierte Wertegemeinschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Erkenntnis muss aber auch praktische Konsequenzen haben. Ich füge hinzu: auch bei den Eigenmitteln. Diese Konsequenz müssen wir im weiteren Prozess – ich verweise auf die Expertenkommission um Mario Monti, die bis zum nächsten Jahr Vorschläge vorlegen soll – auch wirklich aufbringen. Mittlerweile müssen ja alle in Europa den Schuss gehört haben und wissen, was auf dem Spiel steht. Dem muss man sich dann auch in einer solchen Frage wie der der Ausgestaltung der Eigenmittel stellen, weil die Struktur der Eigenmittel hinter dieser Entwicklung zurückbleibt. Das ist nicht verwunderlich wegen der unterschiedlichen Interessenlagen der 28 Mitgliedstaaten; schließlich braucht man Einstimmigkeit.

Wir könnten versuchen, wie es der Kollege Feiler dargestellt hat, das Ganze in kleinen Schritten zu verändern. Das würde in meinen Augen aber bedeuten, zu viele Kompromisse eingehen zu müssen, die das System wahrscheinlich weiter verkomplizieren. Das ist die Erfahrung der Vergangenheit.

Dann ist zu überlegen, ob nicht durch eine Körperschaftsteuer oder eine andere Steuerquelle die Abhängigkeit des EU-Haushaltes von Mitteln der Mitgliedstaaten reduziert werden kann. Es scheint sogar Konsens zu sein – jedenfalls bei denen, die sich damit beschäftigen –,dass man das versuchen sollte. Oder – das wäre das Beste, liebe Kolleginnen und Kollegen – wir nutzen am besten die aktuellen Krisen, die Druck erzeugen, und streben eine Verständigung über die weiteren Schritte der europäischen Integration – insbesondere für die Währungsunion – an. Denn nur dann, wenn wir darüber Klarheit herstellen können, welche Aufgaben die EU zukünftig übernehmen soll, können wir auch das hierfür notwendige Eigenmittelsystem bestimmen. Ich glaube, wir sollten einer solchen Logik folgen, zumindest den Mut haben, etwas mutiger zu werden und das zu versuchen – und nicht von vornherein in der nächsten Zeit nur eine Politik der kleinen Schritte machen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4810158
Wahlperiode 18
Sitzung 97
Tagesordnungspunkt Eigenmittelsystem der Europäischen Union
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