Herbert BehrensDIE LINKE - Pkw-Maut
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Als ich gestern mit einem Kollegen aus Bayern über unsere Debatte heute sprach, sagte er: Bis heute war der Dobrindt der Wackeldackel von Seehofer. Ab heute wird er der Watschenmann der Republik werden. Ich glaube, der Kollege hatte recht.
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Die Watschen hat er verdient; denn er hat mit diesem Gesetzentwurf, den er hier auf den Weg gebracht hat und der hier beschlossen werden soll, schweren Schaden angerichtet.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Erstens. Unsere europäischen Nachbarn, die uns besuchen oder nahe der Grenze einkaufen oder tanken wollen, müssen künftig Eintritt bezahlen, wenn sie mit dem Auto kommen. Wenn sie das nicht wollen, dann fahren sie halt über die Bundesstraßen. Da gilt zwar auch die Maut, aber sie wird noch nicht erhoben; so künstlich hat das Gesetz dies vorgesehen.
Anders ist es bei Besitzern von Autos in Deutschland. Sie müssen dazu noch nicht einmal mit dem Auto fahren. Sie bezahlen sowieso für eine Jahresvignette auf allen Bundesstraßen und auf allen Autobahnen, egal ob sie dort fahren oder nicht. Aber der Betrag, den eine Jahresvignette kostet, wird von der Kfz-Steuer wieder abgezogen. Die Mautformel Dobrindts heißt: Ausländer müssen zahlen, deutsche Autofahrer nicht. – Das ist ein Taschenspielertrick. Das wird die EU so nicht akzeptieren. Diese Umgehung wird sofort bemerkt werden, und die EU-Kommission wird eingreifen. Wir wissen: Das geht schief.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das haben mehrere Kommissare im Vorfeld gesagt. Beispielsweise sagte Siim Kallas, dass die Maut so nicht aufgesetzt werden könne. Selbst Violeta Bulc, die neue Kommissarin, hat dazu gesagt: Die Dobrindt’sche Ausländermaut verstößt gegen europäisches Recht. Die Erhebung einer Abgabe auf der einen Seite und die entsprechende Entlastung deutscher Autofahrer auf der anderen Seite sind nicht europarechtskonform. Europa soll ein vereintes Europa ohne Grenzen werden. Dazu passt keine Wegelagerei.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundestagsmehrheit aus Unionsfraktion und SPD nimmt billigend in Kauf, dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in Europa Schaden zuzufügen – schweren Schaden. Eine Ausländermaut gibt es so – anders, als Sie es gerade gesagt haben, Herr Dobrindt – in keinem unserer europäischen Nachbarländer. Die Bundestagsmehrheit hier im Hause riskiert ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission. Sie provoziert Staatenklagen gegen die Bundesrepublik oder Verfahren vor deutschen Gerichten. Schon der erste – meinetwegen – holländische Autofahrer, der sich weigert, das Eintrittsgeld zu bezahlen und einen Bußgeldbescheid ablehnt, kann eine gerichtliche Prüfung des Gesetzes auslösen.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)
Unionsfraktion und SPD ermuntern unsere Nachbarländer sogar, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen, wie Sie das tun wollen, nämlich in ihrem Zuständigkeitsbereich eine Maut ausschließlich für Ausländer einzuführen. Das ist keine gute Perspektive für ein Europa der Völker.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Verkehrsminister bleibt sich aber treu.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schön!)
Im Oktober 2012 erhielt Dobrindt von der Europa-Union den Negativpreis Europa-Distel für den größten europapolitischen Fauxpas. Er hatte damals den EZB-Chef Draghi als Falschmünzer bezeichnet. Der Beschluss, eine Ausländermaut einzuführen, ist gegen die Idee für ein Europa ohne Grenzen gerichtet. Sie ist europapolitisch verantwortungslos. Die Europa-Distel 2015 gehört auf jeden Fall Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens. Auch der Parlamentarismus hat durch dieses unselige Projekt Schaden genommen.
(Sören Bartol [SPD]: Quatsch! - Gustav Herzog (SPD): Kommen Sie mal runter vom Baum!)
Über Monate wurden Anfragen unserer Fraktion und auch anderer faktisch nicht beantwortet. Immer wieder wurde geschrieben, das Ministerium arbeite noch, ein Gesetzentwurf liege noch nicht vor,
(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch nicht aus München geschickt worden, oder was?)
der Gesetzentwurf befände sich in der Abstimmung zwischen den Ressorts oder sonst irgendwas. Auch in den Fragestunden hier im Plenum wurde gemauert. Das kann das Plenum so nicht akzeptieren; wir haben das in der Geschäftsordnungsdebatte bereits zum Thema gemacht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das stärkste Stück aber ist der Schweinsgalopp in diesem Gesetzgebungsverfahren. Ende Februar kamen die Entwürfe der beiden Gesetze zur Ausländermaut und zur Entlastung bei der Kfz-Steuer ins Parlament. Heute, vier Wochen später, soll endgültig abgestimmt werden. So mussten wir erleben, dass umfangreiche Änderungsanträge der Koalition – wir haben das gehört – bis einen Tag vor der Ausschussberatung oder sogar am selben Tag vorgelegt worden sind und dass Anhörungen mit Sachverständigen binnen 14 Tagen vorbereitet und ausgewertet werden mussten. Das ist der politische Stil der Regierungskoalition, und der ist gewollt.
In Wirklichkeit hat die Große Koalition gar kein Interesse daran, diesen Mautmurks prüfen zu lassen.
(Sören Bartol [SPD]: Das ist doch falsch! Haben wir doch gemacht! Dafür gibt es doch einen Änderungsantrag, Kollege! Sagen Sie das doch richtig!)
Expertenmeinungen aus den Anhörungen berücksichtigen? Fehlanzeige! Einwände aus Brüssel prüfen? Vergiss es! Ich zitiere:
Das sagte mir Staatssekretär Barthle in der Fragestunde vor gut 14 Tagen.
Es ist dann wohl egal, ob Sachverständige überhaupt einbezogen werden, um zu prüfen, draufzuschauen und uns als Parlamentariern die Tricks in diesem Gesetz aufzuzeigen. Das ist nicht gewollt. Wenn der Staatssekretär sagt: „Wir sehen uns nicht veranlasst, unsere Auffassung zu ändern“, dann ist das ein deutliches Zeichen für das falsche Demokratieverständnis der tonangebenden Fraktion hier im Hause.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Opposition sollte gar nicht die Chance bekommen, die Machwerke und deren Folgen gründlich durchzuarbeiten. Einigen Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition dürfte es nicht anders gegangen sein. Noch vor vier Wochen haben Sie, Herr Kollege Bartol, darum gebeten, sich für die Beratung ausreichend Zeit zu nehmen; denn die Pkw-Maut könne aus Sicht der SPD wegen der vielen ungeklärten Fragen nicht im Schnellverfahren beschlossen werden. Jetzt beginne die Kärrnerarbeit, meinten SPD-Kollegen. Diese Seifenblasen sind geplatzt. Sie waren daran beteiligt. Die CSU setzt sich mit ihrem Schnellverfahren durch. Sie akzeptieren das. Das ist die Missachtung der parlamentarischen Beteiligungsrechte. So nimmt der Parlamentarismus Schaden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Drittens. Auch auf die Wählerinnen und Wähler wird keine Rücksicht genommen. Sie vertrauten noch am Wahltag der Aussage der Kanzlerin, die sagte: Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben. – Im November desselben Jahres war diese Aussage nichts mehr wert. Dieses Versprechen war eine Wählertäuschung.
Ich frage mich auch, wie lange das Wort des Koalitionspartners SPD Bestand haben wird; denn die Kollegen behaupten, sie stimmen einer Ausländermaut nur dann zu, wenn sie europarechtskonform ist. Der niedersächsische Ministerpräsident – SPD – sagte vorgestern, er sei sicher, dass die Pkw-Maut vom Europäischen Gerichtshof gekippt wird.
Die Maut soll keinen deutschen Autofahrer belasten. Das ist die zweite Bedingung, die Sie gestellt haben. Wie lange gilt diese Zusage denn noch? Bis die EU- Kommission die Eins-zu-eins-Entlastung kassiert? Die sogenannte Infrastrukturabgabe ist für die Kommission unbedenklich, zumindest dieser Teil. Am Ende liefern also die Autofahrer, egal ob deutsche oder ausländische, 3,7 Milliarden Euro jährlich ab ohne Ausgleich, weil die EU den Ausgleich kassiert hat. Genau das ist gemeint, wenn wir hier über dieses unsägliche Projekt sprechen. Wenn der Verkehrsminister von einem echten Systemwechsel spricht, heißt das: Privatisierung der Finanzierung der Infrastruktur in Deutschland. Widerspruch in der Koalition gibt es nicht. So steht es eigentlich auch im Koalitionsvertrag, wenn man das Ganze einmal entblättert und im Kern offenlegt. Sie weigern sich, das offen auszusprechen. Das akzeptieren wir nicht. Ihre Devise lautet: Nur keinen Streit in der Koalition.
Die Kanzlerin hat hier im Plenum in einem anderen Zusammenhang gesagt:
Dann wäre es Ihre Pflicht gewesen, Frau Bundeskanzlerin, Ihren Minister bei dieser abenteuerlichen Ausländermaut zu stoppen. Sie haben es nicht getan.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn so wie bei der Ausländermaut in der Großen Koalition geschachert wird, dann nimmt die Demokratie Schaden und die Menschen wenden sich enttäuscht ab. Dieser Preis ist unverantwortlich hoch für ein Gesetz, bei dem es lediglich darum geht, eine CSU-Stammtischidee durchzusetzen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Sören Bartol.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4814486 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 98 |
Tagesordnungspunkt | Pkw-Maut |