Andrea LindholzCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa und jeder einzelne von uns ist schockiert von den Katastrophen auf dem Mittelmeer, die in wenigen Tagen über 1 000 Menschenleben gefordert haben. Die Bilder, die uns erreichen, lösen Trauer und Entsetzen aus. Diesen Schock gab es auch am 3. Oktober 2013, als bei Lampedusa rund 370 Menschen starben. Damals war sich Europa einig: So etwas darf sich nicht wiederholen. Diesen Anspruch hat Europa nicht erfüllt.
In meiner Rede Ende Oktober 2014 habe ich darauf hingewiesen, dass die Frontex-Mission Triton möglicherweise nicht unsere humanitären Ansprüche erfüllen wird und Europa nachsteuern muss. Ja, mit Triton wurden 11 400 Menschen gerettet; aber die neue Katastrophe zeigt auch, dass das nicht ausreicht. Wir brauchen kurzfristig eine erweiterte strategische Rettungsmission. Europa muss zeigen, dass es handlungsfähig ist und zu seinen humanitären Werten steht.
Eine Rettungsmission macht aber nur Sinn, wenn sie in eine breitere Strategie eingebettet ist. Wir sollten uns auch keine Illusion darüber machen: Eine Rettungsmission bietet niemals absoluten Schutz. Die Mission Mare Nostrum konnte zwar viele Menschen retten; trotzdem starben auch in dieser Zeit rund 3 500 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Und jeder Tote – da sind wir uns einig – ist ein Toter zu viel.
Die gewaltige Fläche des Mittelmeeres lässt sich nicht komplett überwachen. Eine dauerhafte Lösung wird daher nicht auf dem Wasser, sondern nur an Land zu finden sein. Der Bundesinnenminister hat recht: Wir werden keine einfachen und auch keine schnellen Lösungen finden. Wir brauchen eine Vielzahl an Maßnahmen. Auch der aktuelle Zehn-Punkte-Plan der EU-Kommissionkann ein Ende der Katastrophen nicht garantieren. Solange Menschen die Überfahrt wagen, wird immer auch ein Risiko bleiben.
Wir diskutieren Flüchtlingszentren in Transitstaaten. Sie könnten ein Teil der Lösung sein, auch wenn die instabile Lage zum Beispiel in Libyen die Einrichtung erschwert. Doch auch in den anderen Krisenstaaten betreiben wir mit der UNO solche Zentren. Europa muss in den Transitländern vor den Gefahren der Überfahrt warnen und aufklären. Zur Wahrheit gehört auch, dass nicht jede Überfahrt über das Mittelmeer, die zu einer Einreise nach Europa führt, auch einen Asylanspruch garantiert. Nur wenn wir die Menschen von der Überfahrt abhalten, wird auch das Sterben aufhören.
Ein europäisches Programm zur Neuansiedlung von besonders Schutzbedürftigen wäre ein weiterer Ansatz. Doch selbst wenn es jetzt europaweit noch mehr Aufnahmebereitschaft geben sollte – was zu begrüßen wäre –, müssten wir uns darüber im Klaren sein, dass solche Programme angesichts von weltweit über 50 Millionen Flüchtlingen niemals eine substanzielle Lösung darstellen können. Wir werden niemals alle Menschen bei uns aufnehmen können.
Gerade deswegen ist auch der Kampf gegen Schleuser von zentraler Bedeutung. Menschenschmuggel ist heute eine der lukrativsten Einnahmequellen der organisierten Kriminalität. In den instabilen Transitländern fehlen zuverlässige Partner für die Strafverfolgung. Daher sind als Option auch Militäreinsätze gegen Schleuser und die Zerstörung der Schiffe zu prüfen. Letztendlich muss der Markt ausgetrocknet werden; denn erst wenn klar ist, dass sich die Überfahrt nicht lohnt, wird auch das tödliche Milliardengeschäft mit der Verzweiflung der Menschen aufhören.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir müssen langfristig die Herkunfts- und Transitländer durch effektiveren Einsatz der europäischen Entwicklungshilfe stabilisieren. Die EU-Staaten zusammen leisten über die Hälfte der weltweit gezahlten Entwicklungshilfe. Über die EU müssen wir diese Mittel verstärkt koordinieren und mit innen- und außenpolitischen Zielen verknüpfen. Europa muss sich, seine Mittel und seine Ziele vielleicht neu überdenken. Wir leben in diesen Zeiten eben anders und müssen schauen, wofür wir diese Gelder verwenden.
Ich finde es unerträglich, wenn Herr Gysi die Bundesregierung für das Elend der Welt verantwortlich macht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Auch der Vorwurf, unsere Flüchtlingspolitik sei verantwortungslos, ist haltlos.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)
Deutschland setzt in der Flüchtlingspolitik in Europa und weltweit Maßstäbe.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das bestätigt uns der UN-Flüchtlingskommissar. Jeder dritte Asylbewerber in Europa wird in Deutschland registriert und versorgt. Wir haben alles andere als eine Abschottungspolitik betrieben. Wir müssen den Menschen in unserem Land, den Kommunen und den vielen ehrenamtlichen Helfern für die großartige Leistung danken, die sie derzeit erbringen, um den Flüchtlingsstrom bei uns zu bewältigen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir sind auch weiterhin gefordert, eine verantwortungsvolle Asylpolitik zu betreiben, eine Asylpolitik, die darauf ausgerichtet ist, an die Solidarität in unserem Land zu appellieren und diese zu erhalten. Auch das ist ein Teil der Wahrheit unserer Asylpolitik. Niemand in Europa sollte die Tragödien auf dem Mittelmeer missbrauchen, um politisches Kapital daraus zu schlagen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Europa hat die humanitäre Pflicht, zu helfen. Europa kann solche Katastrophen dauerhaft aber nur gemeinsam und zusammen mit den Herkunftsstaaten verhindern. Und: Die Ursachen für diese Katastrophen können nur in Afrika und im Nahen Osten und nicht bei uns behoben werden. Wir warten seit Jahren auf eine kohärente Strategie der EU. Der aktuelle Zehn-Punkte-Plan der Kommission ist ein weiterer Schritt, genauso wie die für Mai erwartete Migrationsstrategie. Europa muss konsequent, zügig und auch solidarisch handeln.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Nächste Rednerin in dieser Debatte: Ulla Jelpke für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
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Electoral Period | 18 |
Session | 99 |
Agenda Item | Vereinbarte Debatte zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer |