22.04.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 99 / Zusatzpunkt 1

Hans-Peter FriedrichCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in dieser Debatte ist deutlich geworden, dass sich alle in diesem Haus im Ziel einig sind: Das Sterben im Mittelmeer muss beendet werden. Wir haben in dieser Debatte allerdings, glaube ich, gemerkt, dass es durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie wir dieses Ziel erreichen. Liebe Frau Göring-Eckardt, ich finde es unangemessen, dass Sie hier Schuldzuweisungen vornehmen

(Michaela Noll [CDU/CSU]: Ja, genau!)

und versuchen, aus dieser ernsten Lage politisches Kapital zu schlagen.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie gerade?)

Ich will Kommissar Avramopoulos zitieren, der am Montag zu Recht gesagt hat: Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern es geht jetzt darum, Verantwortung für die Zukunft zu tragen.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ach, das sagt er doch jedes Mal!)

Darum geht es. Um diese Verantwortung ringen wir gemeinsam.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht erst einmal darum, ehrlich zu sagen, was falsch gelaufen ist!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesinnenminister hat zu Recht gesagt: Wir müssen zwischen den Flüchtlingen differenzieren. – Wir sollten uns um eine differenzierte Debatte in diesem Land bemühen. Ich beginne mit den Syrern. Wir haben bei den Syrern eine Anerkennungsquote, die sich in Richtung 100 Prozent bewegt. Das heißt also, es ist anerkannt, dass die Syrer nach unseren gesetzlichen Vorschriften in Europa den Anspruch und das Recht auf Anerkennung als Flüchtlinge haben.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die müssen aber auch auf die Schiffe steigen, weil sie sonst nicht hierherkommen können!)

Aber es ist ihnen natürlich nicht zuzumuten, dass sie zunächst einmal unter Lebensgefahr nach Europa kommen müssen, um dieses Recht überhaupt in Anspruch nehmen zu können.

(Rüdiger Veit [SPD]: Sehr richtig!)

Deswegen will ich das, was der Bundesinnenminister hier gesagt hat, ausdrücklich unterstützen: Wir müssen Anlaufstellen auch außerhalb Europas schaffen, um eine Prüfung vornehmen zu können. Aber hier ist ein europäischer Konsens erforderlich; denn es muss dann natürlich entschieden werden, wie diese Flüchtlinge in Europa verteilt werden.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es in Deutschland schon vor zweieinhalb Jahren ein Programm zur Aufnahme von 10 000 Syrern gab, in der Hoffnung, es möge Vorbild für andere europäische Länder sein. Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt.

(Rüdiger Veit [SPD]: Leider, ja!)

Ich glaube, das muss jetzt anders werden. Angesichts der Toten im Mittelmeer muss Europa in seiner Gesamtheit Verantwortung übernehmen.

(Rüdiger Veit [SPD]: Sehr richtig!)

Aber auch da gilt: Wir können nicht alle Syrer in Europa aufnehmen, sondern auch andere Länder sind gefordert. Ich möchte das sehr vorbildliche Verhalten der Türkei erwähnen, die Flüchtlinge sowohl dezentral als auch zentral unterbringt. Aber auch die arabische Welt ist gefordert, sich dieses Themas anzunehmen.

Thema Afrika: Es ist heute schon richtig gesagt worden: Die Probleme Afrikas können nur in Afrika und nicht auf europäischem Boden gelöst werden. Deswegen ist es wichtig – Gerd Müller ist zu Recht für seine Aktivitäten in Afrika gelobt worden –, die Lebensbedingungen der Menschen dort zu verbessern. Aber es muss auch darum gehen, Fluchtalternativen innerhalb Afrikas zu schaffen. Das ist eine außenpolitische Aufgabe. Man muss mit den Regierungen Afrikas verhandeln, dass sie auch bereit sind, Flüchtlingslager auf ihrem Boden zu akzeptieren. Hier kann die Europäische Union beweisen, dass sie auch außenpolitisch handlungsfähig ist. Es geht also darum, nicht immer nur die Einrichtung diplomatischer Stellen zu fordern, sondern auch Erfolge vorzuweisen. Das wünschen wir uns sehr.

Wir müssen den Kampf gegen Schleuser verstärken, und es wäre sehr gut, wenn wir uns einig wären, dass das nicht gute Fluchthelfer, sondern Verbrecherorganisationen sind, für die das Leben der Menschen nichts wert ist. Deswegen müssen sie auch mit der uns zur Verfügung stehenden Härte bekämpft werden.

Meine Damen und Herren, es muss nach Afrika, an die dortige Bevölkerung, die klare Botschaft ausgesendet werden, dass die Menschen nicht alle nach Europa kommen können. Diese Botschaft darf nicht erst in Nordafrika überbracht, sondern muss auch in Zentralafrika über die Regierungen transportiert werden. Der Bundesinnenminister hat zu Recht gesagt: Auch diese Länder haben kein Interesse daran, dass ihre Eliten, dass die kräftigsten und stärksten jungen Männer nach Europa gehen. Sie werden in ihren Ländern gebraucht. Ich glaube, dass es hier eine Zusammenarbeit mit den Regierungen geben kann und geben muss.

Was sind unsere Erwartungen an die Europäische Union und an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union? Wir reden immer von Subsidiarität und meinen mit Subsidiarität, die EU-Kommission und die Institutionen sollen sich aus den Dingen heraushalten, die die Mitgliedstaaten allein regeln können. Aber Subsidiarität hat auch eine Kehrseite, nämlich die Gemeinschaft ist dann zum Handeln aufgefordert, wenn ein Staat überfordert ist. Malta, Italien, Griechenland sind überfordert, also ist es eine Aufgabe der Europäischen Union, nach dem Prinzip der Subsidiarität auch einzugreifen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir haben derzeit die Situation, dass 70 Prozent aller Asylbewerber in fünf Ländern – Frankreich, Italien, Deutschland, Schweden, Ungarn – aufgenommen werden. Auch das kann auf Dauer nicht so bleiben, sondern hier muss gehandelt werden. Wir erwarten, dass die Europäische Kommission wie angekündigt zügig eine mit substanziellen Punkten gefüllte Migrationsagenda vorlegt. Sie kann nicht mehr nur im Ungefähren und Vielleicht bleiben.

(Rüdiger Veit [SPD]: Ja!)

Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir eine europäische Flüchtlingskonferenz einberufen und uns das Gesamtproblem – Flüchtlingspolitik in Europa – vornehmen. Es ist wichtig, dass wir das gemeinsame Asylrecht, das in Europa seit 2013 gilt, auch gemeinsam umsetzen. Dort ist vorgesehen, dass überall die Unterbringung von Flüchtlingen mit gemeinsamen Standards möglich ist. Derzeit haben wir noch die Situation, dass selbst die Gerichte bei uns entscheiden: Ihr könnt innerhalb der Dublin-Regelungen niemanden in Nachbarländer abschieben, weil dort die Standards nicht erfüllt sind. – Auch das muss anders werden. Auch hier erwarte ich ein Handeln der Europäischen Union, und sie hat dazu die Möglichkeiten.

Schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die EU braucht eine Afrika-Strategie nicht nur auf dem Papier, sondern eine, die auch umgesetzt wird. Natürlich ist es wichtig, dass wir gemeinsam die Lebensbedingungen in Afrika verbessern, dass dort Brunnen gebohrt und Straßen gebaut werden. Aber ich will aufgreifen, was der Bundesaußenminister gesagt hat: Das allein reicht nicht aus, um Terroristen und Verbrecher, um organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Da sind etwas robustere Maßnahmen erforderlich – auch das gehört zur Realität und zur Wahrheit, über die wir in diesem Haus reden müssen –: nicht nur gute Maßnahmen zu ergreifen und Hilfen über Entwicklungspolitik zu geben, sondern auch die Bereitschaft zu zeigen, einzugreifen und die Verbrecher in die Schranken zu weisen. Ich habe großen Respekt vor unseren französischen Freunden und Nachbarn, die in Mali bewiesen haben, wie das geht und wie man das machen kann.

(Zurufe von der LINKEN)

– Ja, dass Sie sich da aufregen, ist mir klar.

Es gibt ein ganzes Bündel von notwendigen Maßnahmen, die jetzt umzusetzen sind. Es ist nicht einfach, aber es geht darum, dass wir all diese Fragestellungen Stück für Stück abarbeiten. Das bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und zu tragen. Dass wir das gemeinsam tun, darauf hoffe ich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4957981
Wahlperiode 18
Sitzung 99
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer
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