Mahmut ÖzdemirSPD - Karenzzeit für Regierungsmitglieder
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus Sicht der Opposition mag die heutige Debatte ungewöhnlich sein; denn wir sprechen heute nicht über einen Antrag, sondern über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit dem Karenzzeiten verbindlich geregelt werden sollen. Damit schließen wir gesetzgeberisch eine Lücke, die uns aufgrund einer Vielzahl von Gründen beschäftigt hat, aus Gründen der Transparenz, aus Gründen der Vertraulichkeit und der Integrität von Politik und nicht zuletzt aus Gründen des Schutzes des Rechtsstaats und seiner hoheitlichen Kenntnis.
Vergegenwärtigt man sich rückblickend den Verlauf dieser Debatte – von Regierungsprogrammen über Koalitionsverträge und anschließende Oppositionsanträge bis hin zum fertigen Gesetzentwurf –, so stellt man fest: Es bestand immer Einvernehmen über das Ob von Karenzzeiten. Nur über das Wie haben wir in der Sache hart, aber stets respektvoll miteinander debattiert. Zunehmend erschwert wurde diese Diskussion durch sich häufende Meldungen von ehemaligen und amtierenden Regierungsmitgliedern, die ohne nennenswerten zeitlichen Abstand vom Regierungsamt in die Wirtschaft wechselten. Spätestens an dieser Stelle kommt man nicht mehr darum herum, sich vor Augen zu führen, weshalb ein zeitlicher Abstand zwischen dem Regierungsamt und einer neuen Tätigkeit bei einem privaten Arbeitgeber sinnvoll und zweckmäßig ist.
Erstens. Wir wollen Kenntnisse und Entscheidungsnetzwerke des Regierungsamtes schützen, die auf Kosten des Steuerzahlers erworben wurden, und verhindern, dass diese zu einem wirtschaftlichen Gut werden.
Zweitens. Wir wollen die betroffenen Regierungsmitglieder in die Lage versetzen, die angestrebte Tätigkeit über jeden Zweifel erhaben und frei von Vorwürfen einer Interessensverflechtung anzutreten. Wenn eine solche Interessensverflechtung doch festgestellt wird, soll diese Tätigkeit unterbunden werden können.
Drittens. Jetzt gilt es, sich vorzustellen, was von dieser Fachdebatte auf der Straße und in Ihren Wahlkreisen in Erinnerung bleiben sollte. Meiner Meinung nach ist die zentrale Botschaft dieses gesetzlichen Verbotsvorbehalts, dass die Politik offen und transparent ist und nicht vor der Übermacht der Wirtschaft die Waffen streckt.
Zur Erreichung dieser Ziele war es notwendig, in ein Grundrecht einzugreifen, das zu den fundamentalen Werten unserer Wettbewerbswirtschaft zählt, nämlich in die in Artikel 12 unseres Grundgesetzes festgeschriebene Berufsfreiheit; der Minister hat das gerade gesagt. Die Schwierigkeit bestand darin, sich nicht dem Vorwurf eines grundrechtswidrigen Berufsverbots auszusetzen und gleichzeitig nicht dem unbändigen Wechsel von der Politik in die Wirtschaft Tür und Tor zu öffnen.
Letztlich erfolgt dieser Eingriff eben nicht aus Eitelkeit oder wegen des Neides derer, die kein lukratives Angebot erhalten haben, sondern deshalb, weil unmittelbare Wechsel aus ethischer Sicht besonders geeignet sind, das Ansehen der Politik zu beschädigen. Jenseits der Eignung und Befähigung für den arbeitsvertraglich vorgesehenen Einsatz ist die Besonderheit, Minister oder Parlamentarischer Staatssekretär gewesen zu sein, grundsätzlich gleichbedeutend mit der überlegenen Sachkenntnis – negativ formuliert: Insiderwissen – und zumindest konkludent verbunden mit dem Hintergedanken, zur Not fehlendes Hoheitswissen über entscheidende Netzwerke beschaffen zu können. Diesem Widerstreit unter Würdigung von Artikel 12 Grundgesetz einerseits und verhältnismäßiger Anordnung eines pragmatischen Prozesses andererseits wird der Gesetzentwurf vollumfänglich gerecht. Schon während der Anbahnung eines Vertragsverhältnisses außerhalb des öffentlichen Dienstes wird eine Anzeigepflicht ausgelöst, die im Zweifel für das betroffene Regierungsmitglied die größte Hemmschwelle darstellt; denn unterbleibt die Anzeige, verhält sich das Regierungsmitglied rechtswidrig.
Scheitern die Vertragsverhandlungen, so würde zu dem potenziellen Titel „Minister a. D.“ noch ein „in spe“ hinzukommen. Diese Obliegenheit der Anzeige besteht für amtierende und bereits ausgeschiedene Regierungsmitglieder, vom Amt des Kanzlers bis zum Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs oder der Staatssekretärin, für einen Zeitraum von 18 Monaten gleichermaßen. Über die Anzeige entscheidet die Bundesregierung als Kollegialorgan abschließend, nachdem zuvor ein nach dem Vorbild der europäischen Ethikkommission entsprechend einzurichtendes Beratergremium, besetzt mit Personen, die an der Spitze von staatlichen oder gesellschaftlichen Institutionen gestanden haben, eine Empfehlung abgegeben hat.
Am Ende steht jedoch die Entscheidung, ob eine Interessensverflechtung zwischen der Tätigkeit in der Bundesregierung und der angestrebten neuen Tätigkeit attestiert werden kann. Dies löst wiederum die Rechtsfolge aus, dass für einen Zeitraum von in der Regel bis zu 12 Monaten und in besonderen Fällen von bis zu 18 Monaten die angestrebte Tätigkeit untersagt werden kann. Das ist ein Grundrechtseingriff in sachlicher und zeitlicher Hinsicht, der vom Gesetzgeber behutsam und sensibel vorgenommen wird, der sich allerdings auch auf besonders wichtige staatspolitische Gründe stützt und nicht zuletzt das Vertrauen in die Unbestechlichkeit und Unabhängigkeit der Politik sicherstellt. Diesem Vertrauen wird künftig durch die Anzeige des betroffenen Regierungsmitglieds, ob Kanzler oder Kanzlerin, Minister oder Ministerin, Parlamentarischer Staatssekretär oder Staatssekretärin, Rechnung getragen.
Damit das Vertrauen niemals enttäuscht wird, wachen letztlich staatliche Gerichte über diese Entscheidung der Bundesregierung. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes garantiert wiederum eine stets einheitliche Rechtsprechung. Ebendiese Zuständigkeit wird gerade auch der Tatsache gerecht, dass es sich bei den Betroffenen, die der Entscheidung unterworfen werden, und denen, die die Entscheidung treffen, letztlich um Verfassungsorgane handelt. Dies zeigt, dass die zeitliche und sachliche Dimension zwangsläufig nur einheitlich zu regeln ist, weil die zeitliche Dimension nur eine Folgewirkung darstellt. Verlängerte man grundrechtlich gesprochen den zeitlichen Eingriff, so wie Sie es wollen, also verlängerte man die Dauer der Abkühlphase, um die Attraktivität des zu rekrutierenden Regierungsmitgliedes für den privaten Arbeitgeber zu schmälern, so würde das gleichermaßen einen unverhältnismäßigen Eingriff in den persönlichen und sachlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit bedeuten.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir möchten das an das Übergangsgeld knüpfen!)
– Dazu komme ich noch.
Schließlich haben auch wichtige und strategische Kenntnisse nur eine gewisse Halbwertzeit. Letztlich soll die Karenzzeit kein Berufsverbot auf Ewigkeit sein. Daher ist es eine gute Lösung, ein unabhängiges Gremium diese Entscheidung zumindest auf Sachebene vorbereiten zu lassen, damit eine Interessensverflechtung analysiert werden kann. Denn so einfach sich das Wort „Interessenverflechtung“ ausspricht, so subtil und so vielschichtig könnte sie sich darstellen. Nicht immer muss der ressortaffine Wechsel zugleich eine Interessenverflechtung aufgrund des Zukaufs von Hoheitswissen sein. Ebenso wenig darf bei einem ressortfremden Wechsel von vornherein ein Ausschluss stattfinden.
Die Einführung von Karenzzeiten ist eine Gesetzesänderung, die simpel anmutet, aber verfassungsrechtlich aufgeladen ist. Genauso wie jede andere Gesetzesnovellierung kostet diese Geld. Jedoch handelt es sich hierbei um Haushaltsmittel, die wir in die Unbestechlichkeit und Integrität unserer Demokratie investieren. Im Einzelnen wird der Haushalt gegebenenfalls durch eine Verlängerung des Anspruchs auf Übergangsgeld für das Regierungsmitglied belastet, also bei Anordnung einer Karenzzeit, die über den Anspruch auf Übergangsgeld – dieser besteht für 12 bis 18 Monate – hinausgeht. Ferner erfolgt eine Belastung durch die Einrichtung des Beratergremiums, also durch Aufwandsentschädigung sowie Reisekosten der Mitglieder.
Diese vielen Kleinigkeiten und noch viele mögliche Differenzierungen zeigen: Auch die Opposition konnte den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsverhältnisse von Bundesministern und Parlamentarischen Staatssekretären nicht schneller vorlegen.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Den hättet ihr eh abgelehnt!)
Die abgegriffene Maxime von Gründlichkeit vor Schnelligkeit hat daher in ihrem Sinngehalt nichts eingebüßt. Mit eben jener Gründlichkeit gilt es jedoch, parlamentarisch sowie in den Fraktionen und Parteien weiterhin Ansätze zu entwickeln, die das Ansehen der Politik und das Vertrauen in die Integrität und Transparenz von Mandatsträgern zusätzlich stärken.
In gerade einmal 18 Monaten hat diese Koalition unter maßgeblicher Beteiligung der SPD die Abgeordnetenbestechung im Strafgesetzbuch umfassend und zeitgemäß reformiert. Die Herstellung von Öffentlichkeit beim Einsatz von Externen in der öffentlichen Verwaltung wird konstant vorangetrieben. Die Offenlegung von Nebeneinkünften hat mit einer feingliedrigeren Einteilung eine neue Stufe der Bekanntgabe erreicht. Mit der Einführung von Karenzzeiten wird dieser Maßnahmenkatalog zur Transparenz vorerst komplettiert, ich betone: vorerst.
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ging alles nicht schnell genug. Nun liegt eine vorbildliche Gratwanderung in Gestalt eines Gesetzentwurfes vor, der die Notwendigkeit einer Regelung für Interessensverflechtungen von Regierungsmitgliedern mit der Berufsfreiheit in Einklang bringt.
Nach gut 15 Jahren Debatte erreichen wir eine neue Stufe der Abwägung von Vertrauen und Kontrolle bei Wechseln von der Politik in die Wirtschaft. Trotz aller politischen Differenzen haben wir in diesem Gesetzentwurf den größtmöglichen Konsens im Deutschen Bundestag zusammengetragen. Jede weitere Kritik im Hinblick auf die Verlängerung der Dauer einer Karenzzeit und einer entsprechenden beruflichen Sanktionierung entbehrt verfassungsrechtlicher Grundlagen.
Ich verdeutliche abschließend erneut: Einzelne Regierungsmitglieder und das Kollegialorgan als solches vor Vorverurteilungen zu schützen, ist gleichrangig mit dem Ziel, ein geordnetes gesetzliches Prüfverfahren für einen Wechsel in die Privatwirtschaft zu etablieren. Nur so kann das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik im Allgemeinen und in die Regierung im Besonderen zusätzlich gestärkt und der Verdacht einer voreingenommenen Amtsführung auf den letzten Metern beseitigt werden, bevor er medial schlagartig aufkommt.
Der Debatte im Innenausschuss sehe ich mit der entsprechenden Vorbereitung entgegen. Ich bin bereit, für meine Fraktion das Notwendige zu tun, um diesen Prozess weiter zu verfolgen und nunmehr zu beschleunigen, bin aber natürlich gerne bereit, alle Fraktionen in diesem Hause bei diesem Prozess mitzunehmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und schließe mit: Glück auf!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Britta Haßelmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4964060 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 100 |
Tagesordnungspunkt | Karenzzeit für Regierungsmitglieder |