Andrea LindholzCDU/CSU - Aufnahme syrischer und irakischer Flüchtlinge
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bürgerkrieg in Syrien ist zur schlimmsten humanitären Katastrophe unserer Zeit geworden. Über 220 000 Menschen sind seit Ausbruch des Krieges gestorben. Mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist heute auf der Flucht und auf humanitäre Hilfe angewiesen. Rund 4 Millionen Syrer haben das Land verlassen, und weitere 7,6 Millionen gelten als Binnenflüchtlinge im eigenen Land und befinden sich teilweise außerhalb der Reichweite jeder internationalen Hilfe.
Syrien ist als Staat heute im Grunde nicht mehr existent. Die Oppositionsbewegungen, bestehend aus Leuten der Muslimbruderschaft, Liberalen, Kommunisten, Kurden, arabischen Stämmen und Assyrern, hat einen schweren Stand. Der Terror der IS und die nicht weniger brutalen Truppen des Assad-Regimes massakrieren die Zivilbevölkerung. Mit der Al-Nusra-Front als Ableger von al-Qaida gibt es einen weiteren unberechenbaren Akteur in diesem ohnehin unübersichtlichen Konflikt. Auch viele ausländische Kräfte üben ihren Einfluss in Syrien aus.
Was kann Deutschland angesichts dieser extrem schwierigen Lage also tun, um das Leid des syrischen Volkes zu lindern? Wir können natürlich, wie im Antrag gefordert, syrischen Flüchtlingen in Deutschland Asyl gewähren. Genau das tut Deutschland längst, und zwar in einem Ausmaß wie kein anderes Land außerhalb der Region.
Seit Beginn des Krieges hat Deutschland über 100 000 Syrern Schutz gewährt. Deutschland hat als einziges Industrieland substanzielle Sonderprogramme beschlossen, über die 30 000 besonders schutzbedürftige Syrer hierher ausgeflogen werden. Deutschland ist auch bereit, noch mehr Verantwortung für die syrischen Kriegsflüchtlinge zu übernehmen. Einher gehen muss dies aber mit einem europäischen Konsens über ein gemeinsames EU-Kontingent. Das aktuell im Rahmen des Zehn-Punkte-Plans diskutierte Kontingent von über 5 000 Plätzen ist sicherlich nur ein kleiner Fortschritt. Allein die bisherigen rein deutschen Sonderkontingente sind schon sechsmal größer. Europa könnte und Europa sollte viel mehr leisten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland gehört auch zu Europa!)
Sonderprogramme allein stellen aber keine nachhaltige Lösung dar. Natürlich freue auch ich mich über die vierköpfige syrische Familie, die in meinem Wahlkreis Obdach gefunden hat und freundlich aufgenommen wurde. Die Kinder können heute wieder zur Schule und zum Fußballverein gehen, die Eltern bekommen Deutschunterricht und finden hoffentlich bald Arbeit. Gleichzeitig denke ich aber an ein Bild, über das uns Entwicklungsminister Müller – mit „uns“ meine ich die CDU/CSU-Fraktion – am Montag berichtet hat. Gerd Müller traf in den vergangenen Wochen in einem Flüchtlingslager in Jordanien auf eine Frau, deren Mann im Krieg umgekommen ist. Ihre neun Kinder muss sie heute alleine versorgen. Sie muss irgendwie jeden Monat 100 Euro nur für ein Dach über dem Kopf aufbringen. – Das sind nur zwei Beispiele von vielen.
Wir dürfen nicht vergessen: Über 11 Millionen Syrer brauchen Hilfe. Hinzu kommen viele weitere Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika. Die Vereinten Nationen schätzen, dass weltweit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Wer behauptet, diese größte Flüchtlingskatastrophe seit Ende des Zweiten Weltkrieges ließe sich mit Sonderkontingenten und Programmen zur Neuansiedlung in Deutschland beheben, der verkennt die Realität, sowohl in den deutschen Kommunen als auch in den Herkunftsländern.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Katastrophe in Syrien ist die Hilfe vor Ort wichtiger als jedes Kontingent. Alle syrischen Flüchtlinge brauchen Hilfe. Das Deutsche Rote Kreuz ist in der Lage, mit einer Spende in Höhe von 99 Euro eine fünfköpfige Familie drei Monate mit Nahrung zu versorgen. Wir müssen uns daher gut überlegen, wie wir unsere begrenzten Hilfsmittel einsetzen.
Die Bundesregierung hat längst die richtige Entscheidung getroffen und den Schwerpunkt ihres Engagements auf die Hilfe vor Ort gelegt. Von Anfang an gehörte Deutschland weltweit zu den größten Geldgebern in der Syrien-Krise. Seit 2012 hat die Bundesregierung rund 1 Milliarde Euro für Hilfe in der Region zur Verfügung gestellt. Weitere 500 Millionen Euro wurden bis 2017 zugesagt. Unser THW hilft in Flüchtlingslagern mit lebensnotwendigen Infrastrukturen.
Ich plädiere daher auch heute dafür, den Fokus der Hilfe weiter in der Region zu belassen. Wir können nicht alle syrischen Flüchtlinge bei uns aufnehmen. Ein koordinierter Einsatz der europäischen Entwicklungshilfe kann dazu beitragen, die ganze Region zu stabilisieren. Die Anrainerstaaten Libanon, Jordanien, Irak oder Türkei leisten extrem viel, und auch sie brauchen dringend unsere Unterstützung. Dort muss die wahre Flüchtlingskrise bewältigt werden. Mit seiner Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“ hat Bundesentwicklungsminister Müller gezeigt, wie man Fluchtursachen überwinden, die Aufnahmegebiete unterstützen und Reintegration fördern kann.
Eine Aufnahme in Deutschland kann nur im Einzelfall helfen. Wir versperren uns dem auch nicht grundsätzlich. Aber bevor wir beschließen, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, sollten wir die aktuell stattfindenden Verhandlungen in Brüssel abwarten. Weitere deutsche Aufnahmeprogramme müssen endlich Teil einer europäischen Antwort sein. Deshalb werden wir den heute vorliegenden Anträgen auch nicht zustimmen.
Das grundlegende Problem werden wir nur dann lösen, wenn es endlich gelingt, den Konflikt einzudämmen und Syrien einen Weg zu Frieden und Stabilität zu eröffnen. Vielleicht kann die sich jetzt abzeichnende Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Iran und der westlichen Welt eine Chance für Frieden in Syrien sein. Wir müssen jede Chance nutzen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4964140 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 100 |
Tagesordnungspunkt | Aufnahme syrischer und irakischer Flüchtlinge |