24.04.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 101 / Tagesordnungspunkt 24

Kai WhittakerCDU/CSU - Öffentlich geförderte Beschäftigung

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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Liebe Linksfraktion, Sie kennen sich ja bestens mit dem Thema Langzeitarbeitslosigkeit aus. Das ist kein Wunder; denn Sie befinden sich ja in einer Art politischen Langzeitarbeitslosigkeit. Seit zehn Jahren sind Sie in der Opposition, und Besserung ist nicht in Sicht.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für eine Aussage? – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was ist das denn für ein demokratisches Verständnis?)

Wer Ihren Antrag liest, sieht auch keine Perspektive für eine Vermittlung in die Regierung. Deshalb lautet mein Vorschlag an Sie: Lassen Sie uns uns gemeinsam Gedanken machen, woran das liegen könnte. Welche Vermittlungshemmnisse liegen bei Ihnen offenkundig vor?

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wie bei der CDU in Baden- Württemberg!)

Schon in meiner ersten Rede hier im Deutschen Bundestag habe ich bedauerlicherweise feststellen müssen, dass es mit Ihren volkswirtschaftlichen Kenntnissen nicht allzu weit her ist. Ihr heutiger Antrag ist der Beweis, dass Sie auch mit der Lebenswirklichkeit nicht allzu viel anfangen können.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ihre Rede heute ist genauso schlecht wie Ihre erste!)

Sie fordern, alle Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, sollen sich auf einen sozialen Arbeitsplatz bewerben können; das sind mehr als 1 Million Menschen in Deutschland. Gleichzeitig fordern Sie in Ihrem Antrag, dass es – nur – 200 000 solcher Arbeitsplätze geben soll. Was ist mit den anderen 800 000 Menschen? Wer soll diese 200 000 Arbeitsplätze überhaupt bekommen? Gerade die Antwort auf die letzte Frage bleiben Sie schuldig; denn Sie grenzen die Zielgruppe nicht ein. Damit erreichen Sie eben nicht diejenigen, die am weitesten vom Arbeitsmarkt entfernt sind, sondern Sie helfen ausgerechnet denjenigen, die diese Hilfe nicht brauchen.

Da wollen Sie uns immer in das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen, führen, und dann bleiben Sie mitten in der Wüste Sinai stecken.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die haben doch Laktoseintoleranz!)

Aber in der politischen Wüste sind Sie ja zu Hause.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sagen Sie auch mal etwas zum Thema?)

Tragischerweise machen Sie in Ihrem Antrag genauso weiter. Sie verlangen für die sozialen Arbeitsplätze einen Bruttolohn von 1 500 Euro. Das entspricht für den Steuerzahler einem Betrag von fast 2 000 Euro.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: 1 700!)

Bei 200 000 Arbeitsplätzen sind das pro Jahr sage und schreibe 4,7 Milliarden Euro, die Sie zusätzlich ausgeben wollen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Tragen Sie mal die Refinanzierungseffekte vor!)

Das ist ein Viertel dessen, was der Bund jedes Jahr für das Arbeitslosengeld II ausgibt.

Damit nicht genug: Sie schaffen es mit Ihrem Antrag auch noch, ein Zweiklassensystem von Arbeitslosen zu installieren. Die 800 000 Menschen, die es nicht in Ihr Programm schaffen, bekommen weiterhin Hartz IV. Die anderen 200 000 Menschen, die in Ihrer Soziallotterie gewonnen haben, bekommen doppelt so viel.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und was bekommen sie bei Ihnen? – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Bei Ihnen kriegen sie Hartz IV!)

Somit schafft die Linke das, was sie der FDP immer vorgeworfen hat: eine Umverteilung von unten nach oben im Hartz-IV-System.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Alle kriegen bei uns Mindestsicherung?)

Man könnte meinen, das sei genug. Aber Sie setzen noch eins drauf: Sie schlagen eine Sonderabgabe von 0,5 Prozent der Lohnsumme vor.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Genau! Die ist gut!)

Selbstverständlich sollen die Arbeitgeber sie bezahlen; etwas anderes haben wir von Ihnen auch nicht wirklich erwartet.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Genau!)

Bei Ihrem Vorschlag bleiben Sie aber seltsam vage.

Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder wollen Sie sich ganz dreist an der Arbeitslosenversicherung bedienen. Denn die Arbeitgeber und die Versicherten bezahlen jedes Jahr einen 3-prozentigen Beitragssatz an die Arbeitslosenversicherung – das sind ungefähr 30 Milliarden Euro im Jahr –, und Ihre 0,5 Prozent Sonderabgabe ergäbe – oh Wunder, oh Wunder! – genau die 5 Milliarden Euro, die Sie brauchen.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist Zufall! Die können doch gar nicht rechnen!)

Nur: Dieses Geld gehört den Versicherten und nicht Ihrem aufgeblähten Steuerstaat.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Da machen wir einen Finanzierungsvorschlag, und dann ist es auch wieder nicht richtig! Was wollen Sie denn nun? – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Mensch, Sie müssen sich richtig damit beschäftigen!)

Oder aber – das ist die Alternative – Sie wollen eine Strafsteuer für Arbeitgeber einführen; Sie nennen sie eben Sonderabgabe. Für eine solche Abgabe aber muss es eine ganz spezifische Verbindung zwischen dem Zahler und dem Zweck geben; das schreibt unsere Verfassung vor.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ach, wirklich?)

Aber die schließen Sie ja aus, weil private Arbeitgeber die sozialen Arbeitsplätze gar nicht anbieten dürfen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die können ja richtige Arbeitsplätze anbieten! Sie können über 50-Jährige einstellen!)

Kommen wir zu einem weiteren Vermittlungshemmnis bei Ihnen: zum logischen Denken. In meiner ersten Rede im Bundestag ging es um Ihren Antrag im Hinblick auf einen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde. Damals fand ich Ihren Antrag irgendwie süß.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Süß fanden Sie den? Aha!)

Denn wir haben uns in der Großen Koalition auf einen Mindestlohn von 8,50 Euro verständigt;

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil wir Sie zum Jagen getragen haben!)

seitdem ist Ihnen dieses Thema ja abhandengekommen. Da Sie den flächendeckenden Mindestlohn von 10 Euro nicht einführen konnten, haben Sie sich wahrscheinlich gedacht: Jetzt probieren wir es durch die Hintertür, nämlich bei den Arbeitslosen.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wie kann man nur so über dieses Thema reden?)

Denn Sie fordern für die sozialen Arbeitsplätze ja einen Mindestlohn von 10 Euro.

Sie fordern in Ihrem Antrag auch eine 35-Stunden- Woche. Aber darüber möchte ich mich gar nicht beschweren; das wäre nämlich ein höheres Arbeitspensum als bei Ihnen üblich.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Linke, nachdem ich Ihr Vermittlungshemmnis jetzt anschaulich beleuchtet habe, möchte ich Ihnen etwas an die Hand geben.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles peinlich hier! Ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit beim Thema Arbeitslosigkeit wäre nicht schlecht!)

Schließlich ist es ja unser gemeinsames Ziel, Vermittlungshemmnisse abzubauen, also auch Ihre. Worum geht es der Union bei der Integration der Langzeitarbeitslosen? Ich habe es schon in meiner letzten Rede hier im Deutschen Bundestag gesagt – ich wiederhole es –:

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie oft wollen Sie von dieser Rede denn noch reden?)

nicht Integration durch Beschäftigung, sondern Integration durch Arbeit. So bringen wir die Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt hinein. Wir dürfen die Menschen nicht vernachlässigen, wir dürfen sie nicht in irgendwelchen sozialen Arbeitsmärkten parken, und wir dürfen sie auch nicht aufgeben, sondern wir müssen ihre Stärken in den Mittelpunkt stellen. Das Ziel ist ganz klar, sie an den ersten Arbeitsmarkt heranzubringen. Dafür gibt es meiner Meinung nach fünf Ansatzpunkte:

Wenn wir die Langzeitarbeitslosen wieder in die Nähe des ersten Arbeitsmarktes bringen wollen, brauchen wir bessere Konzepte statt Maßnahmen. Der Mehrwert der meisten Maßnahmen geht gegen null. Was diese Menschen eigentlich brauchen, sind Fähigkeiten, die am ersten Arbeitsmarkt gefragt sind. Ein Beispiel wären, glaube ich, die sogenannten Sozial- und Integrationsfirmen; dieses Konzept haben wir im SGB IX bei den Menschen mit Behinderung bereits verankert. Einer der Hauptunterschiede zwischen den bestehenden Instrumenten im SGB II und diesen Sozialfirmen ist die Stellung der Langzeitarbeitslosen: In einer Maßnahme sind sie nur Teilnehmer; aber in einer Sozialfirma sind sie Beschäftigte. Ein weiterer Vorteil ist meiner Meinung nach, dass die Sozialfirmen Betreuung aus einer Hand anbieten können, und sie bieten insbesondere arbeitsmarktnahe Beschäftigung. Dadurch können die Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt besser gestaltet werden.

Wie können wir diese Übergänge noch erleichtern? Damit wären wir beim zweiten Punkt: Ausbildung fördern. Über 40 Prozent der Arbeitslosengeld-II-Bezieher haben keinen Berufsabschluss. In der Vergangenheit haben wir den Fokus zu sehr auf die schnelle Vermittlung gelegt. Wir wollen nicht, dass Langzeitarbeitslose in Zeit- und Leiharbeit vermittelt werden, um sich in wenigen Monaten wieder einen neuen Job suchen zu müssen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist der Unterschied zwischen Zeit- und Leiharbeit, Herr Kollege?)

Deshalb muss der Vorrang von Ausbildung vor Vermittlung konsequent in die Praxis umgesetzt werden.

Ein dritter Ansatzpunkt sind die Jobcenter. Es ist die Aufgabe der Jobcenter, individuelle und passgenaue Möglichkeiten für Langzeitarbeitslose zu finden.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Dann brauchen Sie mehr Personal bei den Jobcentern!)

Diesem Anspruch können die Jobcenter nicht immer gerecht werden. Deswegen sollten wir an dieser Stelle auch darüber diskutieren, wie wir die freie Förderung reformieren, sie flexibler gestalten können. Dies würde den Jobcentern die Freiheit geben, eine ganzheitliche Betreuung anzubieten.

Ein weiterer Aspekt ist die Verbesserung des Arbeitgeberservices. Die Jobcenter müssen ihren lokalen Arbeitsmarkt viel besser kennen, um passgenau vermitteln zu können.

Als Letztes möchte ich noch die Notwendigkeit von Evaluierungen ansprechen. Meiner Meinung nach müssen wir alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente nach ihrer Einführung regelmäßig überprüfen. Dadurch können wir schneller feststellen, was wirkt und was nicht wirkt und wo wir nachsteuern müssen.

Werte Kollegen, in der Arbeitsmarktpolitik verfolgen wir alle das gleiche Ziel: Wir möchten Menschen wieder in Arbeit bringen. Unsere Wege sind jedoch höchst unterschiedlich. Leider werden viele Anträge von den Linken immer noch von ideologischen Blaupausen dominiert,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Langzeitarbeitslosen zu helfen ist ideologisch? Das merken wir uns! Ich werde in meinem Wahlkreis erzählen, was Sie hier gesagt haben! So ein Unsinn!)

wie wir heute mehr als einmal festgestellt haben. Darin liegt, denke ich, die Krux der ganzen Sache. Der Schweizer Aphoristiker Paul Schibler hat einmal sehr treffend und passend formuliert: „Ideologie ist ein Synonym für Begrenztheit.“ Ihr Antrag, liebe Linke, ist ein Synonym für Begrenztheit. Deshalb lehnen wir ihn ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denken Sie heute Abend noch einmal nach über den Spruch!)

Vielen Dank. – Als Nächster hat der Kollege Matthias Bartke, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4968449
Wahlperiode 18
Sitzung 101
Tagesordnungspunkt Öffentlich geförderte Beschäftigung
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