24.04.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 101 / Tagesordnungspunkt 24

Matthias BartkeSPD - Öffentlich geförderte Beschäftigung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, dass ich finde, dass wir heute einem bemerkenswerten parlamentarischen Schauspiel beiwohnen dürfen: Die Linkspartei hat einen Antrag geschrieben und ihre gesamte Redezeit an eine Landesministerin aus Thüringen gegeben.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Warum denn nicht?)

Nachdem die Redezeit verbraucht war, wurde eine Kurzintervention – eher eine Langintervention – gemacht, die vorbereitet war.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Man kann so etwas als Missbrauch parlamentarischer Bräuche beschreiben. Das nur vorab.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist ja albern!)

Meine Damen und Herren, es ist jedes Mal wieder eine hervorragende Nachricht: Die Arbeitslosenzahlen sinken. Dieser Trend setzt sich nun schon seit langem fort. Gleichzeitig – das ist natürlich auch wahr – müssen wir uns aber eingestehen: Bei den Langzeitarbeitslosen hat sich bislang leider zu wenig getan. Auch wenn es anderslautende Stimmen gibt: Die Zahlen bleiben seit langem auf gleichem Niveau, nämlich bei etwa 1 Million stehen.

Sorgen machen muss uns dabei vor allem die Mischung aus strukturellen Bedingungen und persönlichen Einschränkungen, die dahintersteckt. Diese Mischung macht aus Lebenssituationen Vermittlungshemmnisse, lässt aus Menschen Langzeitarbeitslose werden und führt zur Ausgrenzung aus unserer Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, wir stellen uns dieser Realität. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat bereits im vergangenen Jahr ein umfassendes Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit vorgelegt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Umfassend?)

Es ist völlig klar: Die Chance von Langzeitarbeitslosen, im nächsten Monat eine Beschäftigung zu haben, ist momentan viel zu niedrig. Diejenigen, die weniger als ein Jahr arbeitslos sind, haben eine sechsmal höhere Chance, einen Job zu bekommen. Das macht erschreckend deutlich, wie gering die Chancen Langzeitarbeitsloser sind. Dieses Problem werden wir angehen. Das ist auch dringend notwendig; denn Langzeitarbeitslosigkeit bedeutet nicht nur, kein Geld zu verdienen. Im schlimmsten Fall bedeutet sie auch fehlendes Selbstwertgefühl, fehlende Anerkennung und fehlende Teilhabe an der Gesellschaft.

Viel zu häufig begegnen wir auch Vorurteilen gegenüber Arbeitslosen, die deren mangelndes Selbstwertgefühl dann noch verstärken. Natürlich gibt es immer den einen oder anderen, der keinen Job haben will und sich in der Arbeitslosigkeit scheinbar gut eingerichtet hat. Aber die überwiegende Mehrheit der Langzeitarbeitslosen möchte gern arbeiten. Manche – das ist leider auch die Wahrheit – trauen sich reguläre Arbeit nicht mehr zu, auch wenn sie durchaus noch arbeiten könnten.

Die konjunkturelle Entwicklung in unserem Land ist momentan vielversprechend, aber auch ihre Wirkung hat Grenzen. Langzeitarbeitslose sind manchmal nicht mehr arbeitsmarktfähig. Das heißt aber nicht, dass sie arbeitsunfähig sind. Für ihre Probleme gibt es kein Patentrezept. Vielmehr brauchen wir Angebote, die helfen, die spezifischen Probleme zu bewältigen. Genau dieser Ansatz findet sich in dem Konzept von Arbeitsministerin Andrea Nahles zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit wieder. In den geplanten Aktivierungszentren – meine Kollegin Kolbe hat schon darauf hingewiesen – werden Leistungsberechtigte gebündelt Unterstützungsleistungen erhalten. Hier wird auf soziale, psychische und gesundheitliche Vermittlungshemmnisse eingegangen. Genauso wird auch an die Bewältigung von Bildungsdefiziten und Alltagsproblemen herangegangen; „maßgeschneidertes Betreuungsprogramm“ ist hier das Stichwort. Die Aktivierungszentren werden noch in diesem Jahr vorbereitet. Anfang nächsten Jahres werden sie arbeitsfähig sein.

Ebenfalls Bestandteil des Konzepts ist das ESF-Programm zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Leistungsberechtigter. Dessen Umsetzung ist bereits gestartet. Die Unterscheidung zwischen nicht arbeitsmarktfähig und arbeitsunfähig wird hier unmittelbar gelebt.

Arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose ohne verwertbaren Berufsabschluss werden bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützt. Dabei sind Arbeitnehmercoaching auch nach Beginn der Beschäftigung und Lohnkostenzuschüsse zentrale Elemente; dazu kommt – ganz wesentlich im Programm – die gezielte Ansprache und Beratung der Arbeitgeber, auch wenn das in manchen Ohren banal klingt. Fakt ist aber leider, dass nur jeder dritte Betrieb bereit ist, Langzeitarbeitslosen im Einstellungsprozess überhaupt eine Chance zu geben. Dabei bewertet etwa die Hälfte der Betriebe, die Langzeitarbeitslose berücksichtigen, deren Motivation und Zuverlässigkeit als gut oder sogar sehr gut.

Denjenigen, die auch nach intensiver Förderung nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können, bietet das Programm „Chancen eröffnen – soziale Teilhabe sichern“ eine neue Chance. Der Name ist dabei Programm: Vorderstes Ziel ist die soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben. Durch Zuschüsse bis zu 100 Prozent sollen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse gefördert werden. Auch dieses Programm startet noch in diesem Jahr.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus befürworten wir Sozialdemokraten auch die Einführung eines sozialen Arbeitsmarktes über den Passiv-Aktiv-Transfer; das ist kein Geheimnis.

(Beifall bei der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Aber ihr tut nichts!)

Wir wollen auch kein Geheimnis daraus machen, dass dies vom Finanzminister derzeit verhindert wird.

Es gibt Dinge, die man schlicht nicht versteht: Meine Heimatstadt Hamburg hat angeboten, bei einem Passiv- Aktiv-Transfer die Finanzierung eventuell notwendiger Restmittel zu übernehmen. Also null Kostenrisiko für den Bund! Das ist mit dem Finanzminister trotzdem nicht zu machen. Ich frage mich, ob man im Alter wirklich immer weiser wird.

(Heiterkeit bei der SPD)

Aber, verehrte Frau Ministerin Werner, Ihren Rezepten kann ich auch nur begrenzt etwas abgewinnen. Mit Ihrer Situationsanalyse gehe ich in weiten Teilen mit, bei der Therapie aber nicht. Sie fordern 200 Stellen in einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, auf die sich alle Langzeitarbeitslosen

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mit 200 geben wir uns nicht zufrieden!)

– 200 000 Stellen – bewerben können. Es ist hier eben schon gesagt worden: Sie sagen nichts über die Auswahlkriterien für die Vergabe dieser Stellen. Dabei ist doch klar, dass bei einem solchen Konzept ein Creaming stattfinden wird. Das heißt, die mit den besten Vermittlungsaussichten bekommen die Stellen, und die Schwächsten der Schwachen gucken wieder einmal in die Röhre.

Herr Kollege Bartke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?

Ja, gern.

Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Kollege Bartke, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass der Erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg das Angebot gemacht hat, zur Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarktes eventuell sogar zusätzlich Geld zur Verfügung zu stellen, und Sie haben den Bundesfinanzminister – wie ich finde, zu Recht – kritisiert. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass Herr Scholz auch einmal Bundesarbeitsminister war und in seiner Amtszeit den Passiv-Aktiv-Transfer seinerseits abgelehnt hat?

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das Sein bestimmt das Bewusstsein!)

Das ist schon längere Zeit her. Herr Scholz ist derzeit Erster Bürgermeister in Hamburg. Die Diskussion um den Passiv-Aktiv-Transfer hat es damals in dieser Intensität ja noch gar nicht gegeben.

(Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Das kann man ja heute gut sagen!)

Unser Wunsch ist es – das ist ja bekanntermaßen auch bei Teilen der CDU so –, den Passiv-Aktiv-Transfer durchzuführen. Wenn wir das in dieser Legislaturperiode nicht tun, dann werden wir uns bemühen, das in der nächsten Legislaturperiode zu machen. Gute Sachen soll man tun, und wenn man sie nicht heute macht, dann macht man sie morgen.

(Beifall bei der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was machen Sie in der übernächsten Legislaturperiode?)

Das Konzept des sozialen Arbeitsmarktes und die soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt richten sich an die Schwächsten der Schwachen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätzt diese Gruppe auf 100 000 bis 200 000 Personen. Für diese eingegrenzte Gruppe der ganz Schwachen sollte eine öffentlich geförderte Beschäftigung geschaffen werden. Sie erhalten dann eine öffentlich finanzierte Beschäftigung, damit sie überhaupt wieder am sozialen Leben teilnehmen können, der Tag strukturiert wird und sie Anerkennung finden. Die Integration auf den allgemeinen Arbeitsmarkt steht dabei durchaus nicht im Vordergrund.

Das Konzept von Andrea Nahles ist ein gutes Konzept. Bei der Umsetzung dieses Konzepts haben wir ein gutes Stück harte Arbeit zu bewältigen, aber am Ende lohnt es sich. Aber auch hier gilt die alte Weisheit von Marie Curie, die einmal gesagt hat:

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU]: Merci Curie!)

Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, erteile ich der Kollegin Sitte das Wort, die Gelegenheit zu einer Kurzintervention hat.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was ist jetzt schon wieder?)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4968492
Wahlperiode 18
Sitzung 101
Tagesordnungspunkt Öffentlich geförderte Beschäftigung
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