24.04.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 101 / Tagesordnungspunkt 24

Christel Voßbeck-KayserCDU/CSU - Öffentlich geförderte Beschäftigung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich werde teilweise aus NRW-Sicht reden. Vieles wurde schon gesagt. Wiederholungen werden sich wohl nicht vermeiden lassen.

Wir haben in Deutschland eine hervorragende Arbeitsmarktlage, und wir können hohe Beschäftigungszahlen vorweisen. In der Gruppe der Langzeitarbeitslosen in Deutschland bewegt sich zum Teil weniger, oder genauer gesagt: In diesem Bereich verfestigen sich bestimmte Personengruppen. Wenn wir gemeinsam feststellen, dass wir die Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen mit den vorhandenen Vermittlungsstrukturen nicht oder nur unzureichend erreichen können, dann müssen wir die Vermittlungsstrukturen und den vorhandenen Instrumentenkasten prüfen und entsprechend anpassen. Ziel aller Maßnahmen und Programme muss es sein, den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt und damit in die sozialen Sicherungssysteme zu ermöglichen.

Ich glaube aber, dass wir gerade bei diesem Thema, das uns allen wichtig ist, verschiedene Aspekte beleuchten müssen. Ob Ihre Vorstellung, Kollegen der Fraktion Die Linke, die öffentlich geförderte Beschäftigung mit 200 000 Stellen auszubauen, die richtige Lösung für die Beseitigung von Langzeitarbeitslosigkeit ist, wage ich zu bezweifeln. Wir müssen uns dabei nämlich auch die Frage stellen, ob wir nicht mitunter diese Personengruppe in dem System sogar verfestigen. Es gibt nämlich nicht den Normalfall bei Langzeitarbeitslosen. Es ist Teil der Herausforderung, dass wir es bei den Langzeitarbeitslosen nicht mit einer homogenen Gruppe zu tun haben; es sind vielmehr Menschen, die häufig mehrere Vermittlungshemmnisse aufweisen und auch unterschiedlichen Unterstützungsbedarf haben.

Die unterschiedlichen Erwerbslosenbiografien sind bereits angesprochen worden. Circa 1 Million Menschen sind schon länger als ein Jahr ohne Arbeit. Fast die Hälfte von ihnen ist länger als zwei Jahre arbeitslos. Dass 20 Prozent vier Jahre oder länger arbeitslos sind, ist nicht gut; dem müssen wir entgegenwirken. Wir müssen – die Bundesarbeitsagentur agiert bereits entsprechend – die individuellen Potenziale der Langzeitarbeitslosen verstärkt in den Blick nehmen und nach Talenten und Begabung fragen und den Betroffenen die Möglichkeit geben, diese weiterzuentwickeln.

Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Langzeitarbeitslosen vielfach soziale, gesundheitliche, schulische oder familiäre Probleme haben. Deshalb gehört es für uns in der Union dazu, dass wir die Rahmenbedingungen so gestalten wollen, dass sich Betreuungsintensität, Betreuungsqualität und auch Betreuungsdichte steigern lassen, wobei es einer Abstimmung zwischen den Akteuren, die an diesem Prozess beteiligt sind, bedarf.

Sie wissen: Ich habe 30 Jahre im Gesundheits- und Sozialbereich gearbeitet. Ich bin der Meinung, dass Unterstützungsleistungen wie Schuldnerberatung, psychosoziale Beratung und anderes einen immensen Stellenwert bei der Begleitung von Langzeitarbeitslosen haben. Häufig scheitert diese Unterstützung aber an zu weiten Wegen. Dabei entscheidet sie oft über Erfolg oder Misserfolg von Maßnahmen für Langzeitarbeitslose. Wir müssen hier die Rahmenbedingungen so setzen, dass die räumliche Bündelung besser möglich wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir schaffen mit dem Instrument der assistierten Begleitung eine sinnvolle ergänzende Hilfe. Das ist schon angesprochen worden. Bei der Begleitung oder Beratung kommt es nicht darauf an, ob sie von einem Pädagogen oder einem Sozialpädagogen geleistet wird. Ich habe auch große Sympathien für Menschen, die lebens- und berufserfahren sind, die schon im Ruhestand sind, aber sagen: Ich bin fit, ich bringe meine Kenntnisse und Fertigkeiten ein, ich übernehme Patenschaften für Menschen, die arbeitslos sind – ob das nun junge oder ältere Leute sind –, und begleite sie. – Das sind erfolgreiche Instrumente. Deshalb glaube ich auch, dass wir mit diesem Instrument, das über den Zeitraum einer Maßnahme hinaus eingesetzt werden soll, auf dem richtigen Weg sind.

Des Weiteren soll die Vereinbarung von Zwischenzielen möglich sein, und zwar im Sinne eines Stufensystems. Manches Training, ob in einer Berufsbildungsstätte oder in einem Verein, oder auch manches Praktikum, wo durch das Zusammensein mit anderen Menschen kommunikative Kompetenzen, Kritik- und Teamfähigkeit, aber auch einfache Alltagsstrukturen wie das Einhalten von Terminen und Regeln gelebt oder wieder erlernt werden, ist dabei hilfreich.

Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Hälfte der Langzeitarbeitslosen leider keinen Berufsabschluss hat. Also muss es unser Ziel sein, bei den Maßnahmen zu schauen, wie wir Langzeitarbeitslose ohne Berufsabschluss in eine Ausbildung vermitteln können, anstatt sie einfach irgendwie zu beschäftigen.

Ich meine, dass wir bei der Gruppe der Alleinerziehenden ein gutes Beispiel finden, wie Instrumente, die schon auf den Weg gebracht worden sind, gut wirken. Ja, es gibt 120 000 Alleinerziehende in der Gruppe der Langzeitarbeitslosen. Für sie ist zum einen notwendig, dass Kinderbetreuungsmöglichkeiten vorhanden sind. Die haben wir mit dem Kitaausbau, mit Betreuungsplätzen und regionalen Netzwerken vor Ort geschaffen; wir haben sogar vielfältige Möglichkeiten geschaffen. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch die Arbeitgeber so einbinden, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich ist.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?

Im Moment nicht. Ich würde gerne erst den Gedanken zu Ende führen.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber später schon?)

Wenn die Redezeit nicht zu Ende ist.

Ein Umdenken wegen offener Azubistellen, die nicht besetzt werden können, findet bei den Arbeitgebern in unterschiedlichem Maße schon statt, auch angesichts des regionalen Fachkräftemangels. Ein Beispiel aus meinem Wahlkreis: Ein Bäcker, der ein Familienunternehmen betreibt, hat einer alleinerziehenden Mutter durch verkürzte Arbeitszeiten, angepasst an die Kitaöffnungszeit, die Möglichkeit geboten, eine Ausbildung als Bäckereifachverkäuferin zu machen. Das ist ein gutes Beispiel, das zeigt, dass Instrumente wirken und aufseiten der Arbeitgeber, der Handwerksbetriebe und auch der Gewerkschaften einiges im Fluss ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wundern sich vielleicht, dass ich heute etwas milde bin, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Das Thema ist uns allen wichtig. Nur, jetzt muss ich folgenden Punkt erwähnen: die Finanzierung öffentlich geförderter Berufstätigkeit. Sie wollen den Eingliederungstitel durch eine Sonderabgabe der Arbeitgeber in Höhe von 0,5 Prozent der Lohnsumme deutlich erhöhen. Dazu kann ich nur ein Bild aus der Landwirtschaft nehmen und sagen: Wie lange wollen Sie eine Kuh melken?

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: So lange, wie sie Milch gibt!)

Jeder von uns weiß: Eine gesunde Kuh kann man nur begrenzt melken. Auch unsere gesunde Kuh, die deutsche Wirtschaft und den Mittelstand, kann man nicht unbegrenzt melken.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unsere Kühe stehen sehr gut da!)

Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Langzeitarbeitslosigkeit ist ein komplexes Problem,

(Zurufe von der LINKEN)

das – darf ich dies noch zu Ende ausführen? – nicht einfach mit neuen Arbeitsmarktprogrammen oder der Ausdehnung der öffentlich geförderten Beschäftigung zu lösen ist. Vielmehr ist ein Bündel von Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik erforderlich. Es ist ferner nötig, im Bildungssystem Maßnahmen, die räumlich gebündelt und vernetzt sind, auf den Weg zu bringen. Ihr Antrag greift aus unserer Sicht zu kurz, und deshalb lehnen wir ihn ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Waltraud Wolff, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4968527
Wahlperiode 18
Sitzung 101
Tagesordnungspunkt Öffentlich geförderte Beschäftigung
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