Burkhard LischkaSPD - Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist kein normaler Gesetzentwurf, den wir heute beraten, und alltäglich ist der Gesetzentwurf erst recht nicht. Er ist eine Reaktion auf einen Skandal, der niemals in Vergessenheit geraten darf, einen Skandal, der übrigens nicht nur darin bestand, dass eine rechtsextremistische Terrorgruppe 13 Jahre lang unerkannt mindestens zehn Morde, zwei Bombenanschläge und zahlreiche Banküberfälle verüben konnte, sondern auch darin, dass dieser Terrorzug einherging mit einer Chronik des Versagens unserer Sicherheitsbehörden – aller Sicherheitsbehörden, aber eben auch des Verfassungsschutzes.
Von Dummheit bis Sabotage: Alle Formen von Staatsversagen sind in den verschiedensten Abschlussberichten der NSU-Untersuchungsausschüsse festgehalten. Wir wissen heute: Möglicherweise könnten Menschen noch leben, wenn unsere Sicherheitsbehörden verantwortungsbewusst und untadelig gearbeitet hätten. Mit dieser Schuld müssen viele, müssen wir alle leben. Dieser Fall hat unserer Gesellschaft einen Spiegel ihrer schlechtesten Seiten vorgehalten. Dieser Fall ist zugleich Verpflichtung, alles dafür zu tun, dass es einen zweiten NSU-Fall nie wieder gibt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein kleiner, aber eben auch kein unwesentlicher Baustein, die richtigen Lehren aus dem NSU-Desaster zu ziehen. Die verschiedenen NSU-Untersuchungsausschüsse sind vor allen Dingen auch mit einer regelrechten Krankheit unserer Verfassungsschutzbehörden konfrontiert worden: dass man sich nicht austauscht, dass man Informationen für sich behält, dass man sie nicht weiterleitet. Wir wissen heute: Nur etwa 20 Prozent der Informationen, die seit 1998 zu dem NSU-Mördertrio in den Landesämtern für Verfassungsschutz vorlagen, wurden auch tatsächlich weitergeleitet. Das war fatal; denn so konnte nirgendwo ein Gesamtbild der Lage entstehen, noch konnte das Bundesamt für Verfassungsschutz seiner Koordinierungsfunktion nachkommen. Das NSU-Mördertrio musste nur von einem Bundesland in das nächste ziehen, und schon verlor sich die Spur. Dieses Neben- und Gegeneinander der Verfassungsschützer, das wir da erlebt haben, gefährdet unsere innere Sicherheit. 16 Schlapphutprovinzen, die alle vor sich hin werkeln, können wir uns nicht leisten; damit muss Schluss sein, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deshalb ist für uns Sozialdemokraten von entscheidender Bedeutung, dass künftig die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz deutlich gestärkt wird durch einen verpflichtenden Informationsaustausch und, ja – da, wo notwendig –, auch mit eigenen Durchgriffsrechten. Gerade föderale Strukturen verlangen beim Antiterrorkampf klare Führung und Verantwortung sowie einen schnellen Daten- und Informationsaustausch auch über Ländergrenzen hinweg. Ich weiß, dass sich einige Bundesländer mit der Stärkung derZentralstellenfunktion des Bundesamtes sehr schwertun. Aber ich sage auch: Für Behördenegoismen darf es nach dem NSU-Skandal keinen Platz mehr geben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der NSU konnte auch nur deshalb jahrelang mordend und raubend durch Deutschland ziehen, weil unsere Sicherheitsbehörden zu wenig miteinander geredet haben. Solche blinden Flecken darf es nicht mehr geben und Verfassungsschutzämter, die im eigenen Saft schmoren, erst recht nicht, meine Damen und Herren.
Zweiter wichtiger Aspekt: Der NSU-Skandal ist auch ein V-Mann-Skandal. Frau Pau hat es angesprochen: Da wurde ein V-Mann angeworben, der wegen versuchten Mordes an einem Asylbewerber im Gefängnis einsaß. Da gab es Zahlungen an dubiose Informanten, die das Jahresgehalt eines Polizisten bei weitem übersteigen.
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Gibt es doch immer noch!)
All das ist eines Rechtsstaates unwürdig, und zwar ohne Wenn und Aber, meine Damen und Herren.
Nun gibt es einige, die daraus folgern, man solle auf V-Leute künftig am besten ganz verzichten. Bei allem verständlichen Ärger, der da mitschwingt: Was diese Sicht vollkommen außer Acht lässt, ist der Umstand, dass gerade kriminelle und militante Gruppen ihre Aktivitäten und Planungen seit jeher nicht offen, sondern konspirativ und abgeschottet betreiben. Wer da komplett auf V-Leute verzichten will, nimmt zumindest billigend in Kauf, dass sie ungestört Anschläge und schwerste Verbrechen planen können, ohne dass der Staat auch nur den Hauch einer Chance hat, sie dabei zu stören.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nein, meine Damen und Herren, ein Staat, der eben auch die Verantwortung für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger trägt, darf sich nicht vollkommen taub und blind machen, wenn es um feige Morde und Anschläge geht. Das kann nun wirklich nicht die Lehre aus dem NSU-Desaster sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nur, wir dürfen dabei auch nicht den Boden der Rechtsstaatlichkeit verlassen. Der Zweck heiligt in einem Rechtsstaat eben nicht jedes Mittel.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben drum!)
Eine Zusammenarbeit mit vorbestraften Schwerstkriminellen darf es niemals geben und auch kein Hintertürchen im Gesetz, das das zulässt. Darauf werden wir Sozialdemokraten in den weiteren Beratungen achten, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)
Insofern sind das wichtige Beratungen, die vor uns liegen, nämlich darüber, den Verfassungsschutz besser aufzustellen und klare rechtsstaatliche Grenzen ohne Hintertürchen zu markieren. Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille, denen wir uns jetzt akribisch widmen müssen. Das sind wir nicht zuletzt den Opfern des NSU-Terrors schuldig.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Innenminister guckt sehr erstaunt!)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4968699 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 101 |
Tagesordnungspunkt | Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes |