Uli GrötschSPD - Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen gedenken wir alle der unzähligen Menschen, die den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen sind. In vielen Orten in Deutschland finden auch an diesem Wochenende Gedenkveranstaltungen anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager statt, so auch bei mir zu Hause in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Es ist mir wichtig, dies auch in dieser Debatte einleitend zu sagen: Wir alle haben die große Verantwortung und auch die Verpflichtung gegenüber den Opfern des Holocaust, dass sich so etwas niemals wiederholt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Um es mit den Worten von Max Mannheimer, einem Überlebenden des Holocaust und einem wichtigen Zeitzeugen, zu sagen:
Im Jahr 2011 mussten wir mit unsagbarer Fassungslosigkeit feststellen, dass die Neonazi-Szene in Deutschland größer, besser vernetzt und viel brutaler ist, als wir alle es uns jemals hätten vorstellen können. Was aber mindestens genauso schlimm ist, ist die Tatsache, dass der Nationalsozialistische Untergrund erst so spät aufgedeckt wurde. Ich denke, alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, jeder hier in diesem Haus und im Besonderen die Mitglieder der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse haben sich gefragt, wie das eigentlich passieren konnte. Schließlich haben wir gleich mehrere Behörden, die eben genau solche schrecklichen Gewalttaten wie die des NSU verhindern sollen. Gerade der Verfassungsschutz hat im Bund und in den Ländern an vielen Stellen ganz klar und auch unbestritten versagt. Und ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, da kann man sich schon fragen, ob der nachrichtendienstlich arbeitende Verfassungsschutzverbund aufgelöst werden sollte, so wie Sie es in Ihrem Antrag fordern.
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man sich fragen!)
Ich sage aber: Wir brauchen das Bundesamt für Verfassungsschutz, gerade weil wir es in Deutschland mit immer mehr im Untergrund agierenden Organisationen der verschiedensten Strömungen und Ausprägungen zu tun haben, die wir in den Griff bekommen müssen. Eine Koordinierungsstelle, die lediglich die Aufgabe hat, Unterlagen zu sammeln, ohne handlungsfähig zu sein, reicht da nicht aus. Transparente Beratung allein wird nicht genügen.
(Beifall des Abg. Burkhard Lischka [SPD])
Nein, die Lösungen, die Sie hier vorschlagen, führen nach unserer Überzeugung nicht zu einem effektiveren Verfassungsschutz. Das BfV hat sehr wohl seine Daseinsberechtigung. Ja, ich halte es in Deutschland für unverzichtbar, und ich halte es im Grunde für eine Behörde mit höchster Intelligenz. Schwarz-Weiß-Denken hilft uns auch in diesem Bereich nicht weiter.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber – das sage ich auch ganz deutlich – das BfV muss aus seinen Fehlern lernen und daraus Lehren ziehen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die 47 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns dahin gehend auf einem sehr guten Weg befinden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die bereits umgesetzten Handlungsempfehlungen zeigen, wie ernst die Große Koalition und wie ernst alle Abgeordneten, die sich ernsthaft und sachlich mit dieser Materie befassen, die Ergebnisse aus dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses nehmen.
Einer der wichtigsten Bausteine ist dabei meines Erachtens die Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Deshalb begrüße ich ganz ausdrücklich den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes, um den es hier heute geht. Im NSU-Untersuchungsausschuss hat sich gezeigt, dass die einzelnen Behörden ungenügend oder schlichtweg gar nicht zusammengearbeitet haben. Fast täglich hören wir inzwischen aus den NSU-Untersuchungsausschüssen der Länder oder aus dem Gerichtsverfahren in München, wie schlecht der Austausch von Informationen tatsächlich abgelaufen ist und wie Berichtspflichten regelrecht ignoriert wurden. Erst vorgestern hat sich in München bei der Aussage des sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten wieder einmal gezeigt, wie unzureichend der Informationsfluss zwischen den einzelnen Behörden war. Es ist also notwendig – und ich finde es auch richtig –, dass im Zuge der Reform die Zentralstellenfunktion des BfV gestärkt wird und ein effektiver Informationsaustausch unumgänglich wird.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Konkurrenzdenken und Eitelkeiten, wie sie der Untersuchungsausschuss zum Teil festgestellt hat, müssen endlich passé sein und dürften damit auch passé sein.
Eine zweite zentrale Änderung wird beim Einsatz der V-Leute vorgenommen, oder, besser gesagt, der Einsatz wird überhaupt erst geregelt; meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen. Im Gegensatz zu meinen Kolleginnen und Kollegen von den Grünen bin ich für den Einsatz von V-Leuten. Viele Informationen aus der Szene sind nur durch geheime Quellen, durch Insider also, zu erlangen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir ohne die V-Leute so direkte Einblicke in die Szene bekommen sollen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie mal ins Antifa-Museum! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Lieber nicht!)
Aber wie schon erwähnt, der Einsatz muss auf einer Rechtsgrundlage beruhen, und das wird zukünftig auch so sein. Es muss unmissverständlich klar sein, dass die angeworbenen Personen dem Staat dienen und sich dementsprechend verhalten müssen. Auch wenn es sich im ersten Moment vielleicht eigenartig anhören mag, sage ich: V-Personen müssen unter dem Strich innere Sicherheit produzieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ob und inwieweit die Regelungen zum Einsatz von V-Leuten im Gesetzentwurf ausreichen, das müssen wir jetzt im weiteren parlamentarischen Verfahren sehr genau prüfen. Ich danke Ihnen, Herr Bundesinnenminister de Maizière, dass Sie bereits heute weitere Gesprächsbereitschaft angekündigt haben. Ich persönlich hätte mir noch strengere Regelungen zur Einsatzbefugnis von V-Leuten gewünscht. Die Einbindung der G 10-Kommission halte ich hier nach wie vor für sinnvoll.
Ich wünsche mir mehr Transparenz und einen echten Mentalitätswechsel. Der Schlapphut, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss endlich im Kleiderschrank verstaut werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dazu gehört – auch wenn sich das bei einem Geheimdienst vielleicht etwas eigenartig anhören mag – eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit. Noch wichtiger ist, innerhalb des BfV für mehr Sensibilität und Kommunikation zu sorgen; denn bei den Fehlern rund um den NSU handelt es sich ja nicht nur um mangelnden Informationsfluss zwischen den Behörden. Auch innerhalb der Behörden gab es – man muss es so offen sagen – ein echtes Problem der Wahrnehmung von gefährlichen Tätern. Um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Verfassungsschutz wiederherzustellen, ist die geplante Reform natürlich nicht alles. Aber sie ist ein erster wichtiger Schritt. Ich möchte sagen: Das ist auf diesem Weg ein wahrer Meilenstein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Zum Ende meiner Rede möchte ich sagen, dass wir die Reformprozesse, die im Bundesamt für Verfassungsschutz in den letzten Jahren in Gang gesetzt wurden, durchaus zur Kenntnis nehmen; auch das darf hier einmal gesagt werden. Aber sie dürfen nicht ins Stocken geraten. Das muss ein kontinuierlicher Prozess sein, bei dem der Deutsche Bundestag das Bundesamt für Verfassungsschutz im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle und der Gesetzgebung begleiten muss und auch begleiten wird. Wir Parlamentarier können nur einen gesetzlichen Rahmen schaffen, in dem sich das Bundesamt für Verfassungsschutz dann bewegen muss. Für ein echtes Umdenken, für einen Mentalitätswechsel im Denken und Tun ist das BfV selbst zuständig. Um am Ende nochmals auf das eingangs erwähnte Zitat von Max Mannheimer zurückzukommen: Auch das BfV ist vor allem selbst dafür verantwortlich, dass Derartiges wie in der Vergangenheit in Zukunft nie wieder passiert.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Irene Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4968772 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 101 |
Tagesordnungspunkt | Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes |