24.04.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 101 / Tagesordnungspunkt 23 + ZP 6

Tankred SchipanskiCDU/CSU - Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte befassen wir uns mit der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses. Wir haben den tadellosen Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes vor uns liegen. Ich bin ein ganzes Stück weit entsetzt über die Empörungsrhetorik, die hier vonseiten der Grünen und der Linken bei einem so sensiblen Thema dargeboten wird.

Meine Damen und Herren, noch nie haben eine Bundesregierung und ein Parlament so planvoll und detailliert auf Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses reagiert und seine Empfehlungen umgesetzt.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

Lassen Sie mich einmal den Gesamtkontext und die Zeitenfolge in Erinnerung rufen. Am 26. Januar 2012 haben alle fünf Fraktionen dieses Hohen Hauses den NSU-Untersuchungsausschuss eingesetzt. Bereits als der Ausschuss tagte bzw. arbeitete, gab es erste gesetzgeberische Maßnahmen. Entsprechende Stichworte wurden heute in der Debatte schon genannt: Errichtung des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums sowie die Errichtung der gemeinsamen Verbunddatei gegen Rechtsextremismus. Alle fünf Fraktionen dieses Hohen Hauses haben in der letzten Legislaturperiode – am 23. August 2013 – 50 Handlungsempfehlungen vorgelegt. Am 2. September 2013 debattierten wir dann über diese unter den Augen der Angehörigen der Opfer des NSU und des Bundespräsidenten. Unser Parlament hat die Handlungsempfehlungen in der 18. Legislaturperiode am 20. Februar letzten Jahres noch einmal bekräftigt. Der Schlüsselbegriff in der damaligen Debatte war „Änderung der Arbeitskultur unserer Sicherheitsbehörden“. Am 26. Februar 2014 legte die Bundesregierung ihren Umsetzungsbericht vor, der an Transparenz und Klarheit nicht zu überbieten ist. Dieser Umsetzungsbericht ist wie eine To-do-Liste gegliedert. Er stellt für uns ein hervorragendes parlamentarisches Monitoring dar. Am 5. November letzten Jahres gab es die Debatte zum dritten Jahrestag der Aufdeckung des NSU. Am 14. November letzten Jahres wurde der Gesetzentwurf des Justizministeriums – Kollege Mayer hat es angesprochen – mit den wesentlichen Änderungen vorgelegt, die wir vorgenommen hatten.

Heute findet folgerichtig die Debatte über ein Gesetz statt, welches die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden optimieren wird und klare Standards für ihre Arbeit festsetzt. Das nenne ich vorbildliche Parlaments- und Regierungsarbeit. Dies hat nichts mit einem Peitschen durch das Parlament zu tun, sondern das ist Diskutieren und Debattieren, wie es sich für einen Deutschen Bundestag gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich kann – genauso wie meine Kollegen – nur dazu aufrufen, dass sich alle Beteiligten bzw. Verantwortlichen – allen voran auch die in den Ländern – genauso vorbildlich verhalten, wie es Legislative und Exekutive im Bund tun. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf betrifft meines Erachtens den Kernbereich – ich möchte sagen: das Herzstück – der Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses in der letzten Legislaturperiode.

Bereits in der Sachverständigenanhörung zur deutschen Sicherheitsarchitektur am 29. März 2012 stellten wir uns die Frage, ob es nicht vielmehr eine Unsicherheitsarchitektur ist. Die Sachverständigen zeigten uns Zuständigkeitsvielfalt und Kompetenzkonflikte auf. Sie zeigten uns eine Informationskultur und Informationsverteilung der Nachrichtendienste auf, welche von einer Risiko-, Geheimnis- und Abschottungskultur geprägt war. Es ist umso dramatischer, dass sich all das, was in der Theorie bekannt war, dann wirklich bei der NSU- Verfolgung bestätigt hat.

Mehr noch: Die Werthebach-Kommission stellte in ihrem Abschlussbericht mit dem Titel „Signale für eine neue Sicherheitsarchitektur“ im Dezember 2010 – also noch vor der Aufdeckung des NSU – fest:

Meine Damen und Herren, genau diese Erkenntnisse der Werthebach-Kommission aus dem Jahr 2010 und die Erkenntnisse des NSU-Untersuchungsausschusses aus dem Jahr 2013 greift nun der Gesetzentwurf, über den wir in erster Lesung beraten, auf. Ich möchte jetzt nicht in die juristische Debatte einsteigen. Die juristischen Feinheiten können Sie – Kollege Ströbele hat das schon gemacht – in der Gesetzesbegründung nachlesen. Ich möchte einfach drei Schlüsselbegriffe herausgreifen.

§ 5 Bundesverfassungsschutzgesetz. Es gibt eine klare Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Landesämtern für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Wir haben jetzt eine Reservezuständigkeit – das wurde angesprochen –, und das BfV wird erstmalig als Zentralstelle bezeichnet, die eine Koordinierungsfunktion wahrnehmen kann. Erstmalig bekommt diese Zentralstelle auch eine Unterstützungsfunktion für die Landesämter als gesetzliche Aufgabe zugewiesen. Der Kollege von der SPD sagte es bereits: Das ist ein Meilenstein.

§ 6 Bundesverfassungsschutzgesetz. Dort werden gegenseitige Unterrichtungsregeln aufgestellt und zusammengefügt. Relevante Informationen müssen nunmehr zwischen den Verfassungsschutzbehörden ausgetauscht werden; das ist verpflichtend. Eine gemeinsame Datei, eine gemeinsame Software von allen Landesämtern und dem Bundesamt für Verfassungsschutz – der Name fiel schon –, NADIS, ist unerlässlich und wichtig. Ich habe mir das im Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen angesehen. Natürlich wird damit die Analysefähigkeit des Verfassungsschutzes stark und richtigerweise ausgebaut. Daher kann man das nur vollumfänglich begrüßen. Das ist wiederum ein Meilenstein, von dem die Polizei noch ein ganzes Stück entfernt ist.

Die IMK hat 2012 beschlossen, auch für die Polizei einen Informations- und Analyseverbund namens PIAV einzurichten. Leider Gottes lässt er noch auf sich warten. Daher lautet meine herzliche Bitte in dieser Debatte, dieses Verbundsystem entschieden voranzutreiben.

§§ 9 a und 9 b wurden schon angesprochen. Es geht um verdeckte Mitarbeiter und Vertrauensleute, ein wichtiges nachrichtendienstliches Mittel. Hier führen wir zum ersten Mal gesetzliche Mindeststandards ein. Die Vorgaben des NSU-Untersuchungsausschusses werden faktisch eins zu eins umgesetzt. Hier erhalten sie im Zusammenhang mit V-Leuten sogar Gesetzesrang. In anderen Bereichen unserer föderalen Ordnung wie dem Bildungsbereich sind wir davon noch weit entfernt. Die Kultusministerkonferenz diskutiert seit Jahrzehnten Standards, Koordinierung, Zentralstellen und verpflichtende Zusammenarbeit. All das verwirklicht dieses Gesetz für den Bereich der inneren Sicherheit. Das ist für unseren föderalen Staat sehr wichtig und sehr gut.

Meine Damen und Herren, umso beunruhigter bin ich von dem – das wurde schon angesprochen –, was in einzelnen Bundesländern passiert. Einzelne Bundesländer leisten keinen Beitrag zur Sicherheitsarchitektur. Sie verstoßen im weitesten Sinne gegen den Grundsatz der Bundestreue und der Amtshilfe. Aus ideologischen Gründen werden V-Leute abgeschafft bzw. abgeschaltet. Somit wird im Freistaat Thüringen die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gefährdet. Thüringen begibt sich in eine Isolation im gesamtdeutschen Sicherheitsverbund. Mich entsetzt auch, dass nach zwei Jahren konsensualer Arbeit mit Blick auf die Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses die Grünen von diesem gemeinsamen Pfad abweichen, sich den Linken anschließen und erklären: V-Leute, das ist ganz furchtbar. – Sie wollen im weitesten Sinne sogar die Sicherheitsorgane abschaffen. Das ist schon sehr überraschend.

Wir haben den V-Mann „Piatto“ in dieser Debatte angesprochen; die Kollegin Pau hat ihn erwähnt. Ich will einmal anführen, was der Zeuge Meyer-Plath im Untersuchungsausschuss gesagt hat: Im Jahre 1994 gab es in Brandenburg faktisch keine V-Leute. Die in Brandenburg vorhandenen Erkenntnisse waren nur Nebenprodukte anderer Behörden. Durch den Einsatz von V-Leuten eröffneten sich erstmals Einblicke in die extremistischen Strukturen, in Brandenburg, im Bund und international. Das Lagebild verbesserte sich. Es war ein Quantensprung. Ähnliches berichteten auch andere Zeugen. Durch den Einsatz von V-Leuten wurde man sehend, wo man vorher blind war. Natürlich war es katastrophal, für welchen V-Mann man sich entschieden hat; das ist völlig richtig.

Aber warum? Weil man vorher überhaupt keine V- Leute hatte, war man darauf angewiesen, einen solchen Mann wie diesen Carsten S. zu nehmen. Das ist nicht richtig. Das jetzt vorliegende Gesetz – wir sollten daran denken, dass hier eine Ermessensausübung der Behördenleitung vorgesehen ist – würde das letztlich ein ganzes Stück weit verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat damals auch die Behördenleitung beschlossen in Brandenburg!)

Meine Kolleginnen und Kollegen, ich finde die Wortwahl, die die Grünen und die Linken heute in den Anträgen und in der Debatte mit Blick auf die V-Leute wählen, unangemessen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind also Vertrauenspersonen?)

– Nein, nein, Herr Ströbele.

Ich kann nur sagen: Die Koalition setzt weiterhin die 50 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses eins zu eins um. Wir werden uns der sachlichen, notwendigen Arbeit weiter stellen und uns durch die von der Opposition vorgelegten Anträge nicht vom richtigen Weg abbringen lassen.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit zehn Jahren lassen Sie sich nicht davon abbringen, und jetzt sehen Sie ja, wo wir stehen!)

Wir stärken die Sicherheitsarchitektur in unserem föderalen Bundesstaat. Ein herzliches Dankeschön geht an die Innenminister von Bund und Ländern, die auf der Innenministerkonferenz 2012 faktisch den Grundstein für dieses Gesetz gelegt haben. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Bundestag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Wolfgang Gunkel von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4968849
Wahlperiode 18
Sitzung 101
Tagesordnungspunkt Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes
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