24.04.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 101 / Tagesordnungspunkt 23 + ZP 6

Wolfgang GunkelSPD - Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner meiner Fraktion und als später Redner in der Debatte ist es natürlich unheimlich schwierig, nun nicht alles zu wiederholen, was die Vorredner schon gesagt haben.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie mir die Redezeit! Ich kann sie gut gebrauchen!)

Herr Schipanski, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie auf ein Problem aufmerksam gemacht haben, was die Polizeibehörden anbelangt. Ich als ehemaliger Polizeibeamter habe natürlich großes Interesse daran, dass die Polizei nicht gegenüber dem zurücksteht, was andere Behörden für sich in Anspruch nehmen.

Ich glaube aber auch – das hat der Minister in seiner Rede sehr schön gesagt –, dass nicht nur der Gesetzestext von entscheidender Bedeutung ist, sondern auch, was die Personen tun, wie sie das ausfüllen und wie das gehandhabt wird. Ich glaube nach wie vor: Der NSU-Skandal basiert in erster Linie auf einem riesigen Kommunikationsproblem beim Gedanken- bzw. Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei. An dieser Stelle muss ich sagen: Die Bundesrepublik hat schon seit Jahren das Problem, dass diese beiden Behörden sehr häufig

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegeneinander arbeiten!)

nebeneinanderher gearbeitet haben und ihr Verhältnis nicht gerade von gegenseitigem Vertrauen geprägt war. Das hat auch seine Gründe, warum das so ist.

Ich nenne nur ein Beispiel: Wenn man als Polizeibeamter Verantwortung trägt, eine Einsatzbewältigung vor sich hat und dann am Freitagnachmittag um 15 Uhr irgendeine Horrormeldung präsentiert bekommt, die vom Verfassungsschutz stammt und die niemand mehr verifizieren kann, weil man nicht rückfragen kann, man also nicht nachvollziehen kann, was die Quelle ist, dann weiß man: Es ist dreimal besser, wenn die Polizei ihre eigene Aufklärung betreibt. Das hat mir dann immer weitergeholfen; denn ich habe dann die Informationen bekommen, die nötig waren, um eine Einsatzlage zu bewältigen.

Nichtsdestotrotz: Was hier jetzt erarbeitet worden ist, ist Ausfluss und Umsetzung der Folgerungen, die der NSU-Untersuchungsausschuss gezogen hat; und das finde ich richtig. Ich kann also keineswegs erkennen, warum man die Informationsquelle Verfassungsschutz nun unbedingt abschalten muss oder außer Kraft setzen sollte. Mit den jetzt vorgesehenen Änderungen lehnt man sich ja auch ein bisschen an die Regelungen an, die das BKA-Gesetz vorsieht. Wir haben dem BKA in der 16. Legislaturperiode weitreichende Kompetenzen bei der Terrorismusbekämpfung eingeräumt, indem es erstmalig ermöglicht wurde, die Ermittlungen der Länder zusammenzufassen und zu leiten. Hier geschieht Ähnliches, jedoch nur auf dem Informationsweg, also indem Informationen zusammengefasst und über die Länder koordiniert werden.

Was mich an dem Gesetzesentwurf ein klein wenig stört – Herr Minister, ich würde gerne darüber diskutieren –, ist die Frage der verdeckten Mitarbeiter, die im neuen § 9 a Absatz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes geregelt werden soll. Die verdeckten Mitarbeiter wären mit den verdeckten Ermittlern der Polizei vergleichbar. Deren polizeiliche Tätigkeiten sind sehr stark normiert und geregelt, nämlich im Zusammenhang mit der Strafverfolgung in § 110 a der Strafprozessordnung, wo klar festgelegt wird, zu welchem Zwecke verdeckte Ermittler eingesetzt werden sollen und dass Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft herzustellen ist. Das heißt, sie können nicht frei operieren. Als Vollzugsbeamte sind sie zusätzlich auch noch an § 163 StPO gebunden, sie müssen also Strafverfolgung betreiben und dürfen nicht selbst unbegrenzt Straftaten begehen; es ist ihnen nicht einmal gestattet, solche zu begehen. An dieser Stelle sieht man ganz deutlich, dass das ein begrenzter Auftrag ist.

Was verdeckte Tätigkeiten im Verfassungsschutz bedeuten, ist mir nicht so ganz klar, insbesondere nicht, wo da die Grenzen liegen. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es, dass eine Trennung zwischen Nachrichtendienst und Polizei nach wie vor erforderlich ist und auch grundgesetzkonform ist. Die Polizei wäre durchaus in der Lage, verdeckte Ermittlungen zu erledigen, aber man ist an die entsprechenden Regelungen gebunden; und das wollen wir so beibehalten. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das sonst zu sehr großem Behördenballast führt und dass die Befugnisse Einzelner dann weit über das hinausgehen, was unsere Rechtsordnung vorsieht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

– Danke für den Beifall.

Die Begründung des Entwurfs ist aus meiner Sicht ein bisschen verschwurbelt, Herr Schipanski. An der Stelle würde ich gerne noch einmal nachforschen. Ich kann nicht erkennen, was im Einzelnen gemeint ist, und das stört mich ein wenig. Ansonsten kann ich den vorliegenden Gesetzentwurf nur unterstützen.

Kommen wir zu den einzelnen Punkten. Die Linkspartei, die sonst relativ gute Vorschläge macht

(Dagmar Ziegler [SPD], an Die Linke gewandt: Relativ!)

– ich habe mir die Punkte aufgeschrieben, damit ich sie zitieren kann –, fordert die Umwandlung des BfV in eine „Koordinierungsstelle zur Dokumentation gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, die aber keine Ermittlungen führen oder sich irgendwo Informationen besorgen darf. Sie darf im Grunde nichts machen. Wir hätten dann noch mehr beamtete Zeitungsleser; davon haben wir aber schon genug.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die Verfassungsschützer häufig aber auch!)

Ich glaube, jeder Lagedienst kann diese Aufgabe übernehmen und die Ergebnisse entsprechend auswerten.

Des Weiteren fordern Sie eine Bundesstiftung zur Beobachtung und Erforschung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Damit schaffen Sie eine weitere Behörde, die parallel zu der gerade genannten arbeitet. Diese könnte letzten Endes keinerlei Informationen liefern, die für die konkrete Arbeit der Verfassungsschutzämter und vor allen Dingen der Polizei, die ja nach wie vor Strafverfolgungsbehörde ist, wichtig wären. Das Ganze ist also, wie ich glaube, sehr abgehoben, und hat nur im Sinn, den Begriff Verfassungsschutz zurückzudrängen.

In Thüringen bricht nun nicht gleich die Welt zusammen, weil Sie dort ein paar V-Leute abschalten, aber ich halte das nicht für richtig. Die Zukunft wird zeigen, wie sich das Ganze entwickelt.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Schlecht! Sehr schlecht!)

– Das muss man abwarten. Ich will nicht vorwegnehmen, was da passiert.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ich lebe da!)

Vielleicht machen sie es ja indirekt auf andere Art und Weise, etwa so wie das die Grünen formuliert haben.

Die Grünen haben in ihrem Antrag sehr gute Anhaltspunkte herausgearbeitet, die ich durchaus teilen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte insbesondere einen Aspekt aus Ihrem Antrag aufgreifen: Die beste Voraussetzung für Terrorbekämpfung ist eine gut ausgebildete und ausgestattete Polizei. – Diesbezüglich haben Sie meine volle Zustimmung.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aber der Rest ist schlecht, der drinsteht!)

– Moment, nicht alles. – Aber letztendlich kommen auch Sie zu dem Schluss – es erscheint mir ein bisschen sehr krampfhaft, wie Sie unbedingt dies sagen wollen –: Wir wollen den Verfassungsschutz nicht mehr. Sie wollen stattdessen eine „Inlandsaufklärung“, also eine Stelle, „die Spionageabwehr und die Aufklärung genau bestimmter gewaltgeneigter Bestrebungen“ leisten soll. Nun weiß ich nicht, was „genau bestimmte gewaltgeneigte Bestrebungen“ sind. Sie sollten einmal genauer erklären, was man darunter verstehen soll. Im Wesentlichen ist das, etwas abgespeckt, auch eine Tätigkeit, die man im Prinzip mit Aufklärung und nachrichtendienstlicher Gewinnung in Zusammenhang bringen kann; es wird nur etwas anders genannt.

Wir als Regierungskoalition können also beiden Anträgen nicht zustimmen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist, unter Berücksichtigung der Ausnahmen, die ich genannt habe, meiner Ansicht nach im Großen und Ganzen gelungen. Der Minister hat angedeutet, dass darüber noch diskutiert werden kann. Ich hoffe, dass wir den einen oder anderen Punkt noch einarbeiten können.

Ein letzter Punkt, den ich noch ansprechen möchte, sind die sogenannten V-Leute. Jeder weiß – die Landesgesetze geben es her –, dass auch die Polizei Vertrauensleute einsetzt. Ich befürchte, dass sich dann, wenn solche Einsätze im Übermaß gefördert werden, die V-Leute von Polizei und Verfassungsschutz gegenseitig umrennen. Man müsste schon dafür Sorge tragen, dass die eine Behörde von der anderen Behörde weiß, was jeweils die andere im Einzelnen beabsichtigt. Man kann in der Tat auf die V-Leute nicht verzichten, aber es darf zu keiner Doppelbelegung kommen und erst recht nicht dazu, dass die Arbeit der einen Behörde die Arbeit der anderen praktisch aufhebt. Ich denke, dass man diesen Punkt beachten sollte. Von daher: Information und Kommunikation sind eigentlich alles. Die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, sollten eigentlich die Leistungsträger bei der Terrorismusbekämpfung sein.

Da meine Zeit abläuft, möchte ich es dabei belassen.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur die Redezeit!)

Ich hoffe, dass die Gesetze, die demnächst beschlossen werden, zu dem Ergebnis führen, das wir alle uns erhoffen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Redezeit war abgelaufen, aber nicht deine Zeit, lieber Wolfgang.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau!)

Hans-Christian Ströbele spricht als nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4968862
Wahlperiode 18
Sitzung 101
Tagesordnungspunkt Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes
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