Volker KauderCDU/CSU - 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man heute über das Verhältnis von Deutschland und Israel spricht, scheint alles ganz normal zu sein. Aber man kann auch heute, 50 Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen, gar nicht genug ermessen, was vor 50 Jahren tatsächlich geschehen ist. Richtig ist, dass das Nachkriegsdeutschland, das sich in eine moderne Demokratie hinein entwickelnde Deutschland, Beiträge dazu geleistet hat – Konrad Adenauer und andere – und auf Israel zugegangen ist. Diese Beiträge waren aber nicht entscheidend dafür, dass wir zu einem neuen Verhältnis mit Israel gekommen sind. Entscheidend war etwas Unglaubliches, etwas Unfassbares und aus unserer Sicht Wunderbares, nämlich dass die Juden und der Staat Israel uns die Hand ausgestreckt haben und uns gesagt haben: Wir wollen mit euch einen neuen Anfang wagen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Dank gilt daher heute, an diesem Tag, da wir dieses Jubiläum feiern, dem Staat Israel und den Juden, die auf das Tätervolk zugegangen sind. Das dürfen wir nicht vergessen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war vor 50 Jahren auch nicht einfach. Wenn man sich die Diskussionen, die damals stattgefunden haben, anschaut, stellt man fest, dass das Näherzusammenrücken von Deutschland und Israel höchst umstritten war – in Israel und in Deutschland. Es bedurfte mehr mutiger Menschen in Israel, um den Weg so zu ebnen, dass gesagt werden konnte: Wir wollen es versuchen. – Für uns war das vergleichsweise leichter. Auch deshalb sind wir denjenigen dankbar, die sich trotz der Geschehnisse im Dritten Reich wieder in Deutschland angesiedelt haben und hier, in diesem Land, Heimat gesucht und gefunden haben. Daraus resultiert eine ganz besondere Verantwortung.
Es ist etwas Großartiges, dass wir wieder jüdisches Leben in Deutschland haben, aber es ist beklemmend, wenn Juden uns erzählen, dass sie Angst haben, sich in bestimmten Regionen, in bestimmten Gebieten als Juden zu erkennen zu geben. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, so etwas darf es in diesem Land nicht geben! Dagegen müssen wir uns entschieden wehren!
(Beifall im ganzen Hause)
Für mich ist es beklemmend und schlimm genug, dass die Synagoge in der Oranienburger Straße, das Jüdische Museum und verschiedene andere Einrichtungen in unserem Land durch die Polizei geschützt werden müssen. Aber es ist noch viel beklemmender, wenn wir erleben müssen, dass Juden, die sich als Juden zu erkennen geben, in unserer Hauptstadt das Risiko eingehen, überfallen und verprügelt zu werden, wie es in der Oranienburger Straße immer wieder geschehen ist. Das darf einfach nicht passieren.
Ich kann auch verstehen, dass Juden fassungslos darüber sind, dass die israelische Flagge, die bei einem Fußballspiel hier in Berlin für einen israelischen Fußballer ausgerollt wurde, zusammengerollt werden musste, und zwar nicht auf Veranlassung des Vereins, sondern auf Veranlassung der Polizei. Das geht einfach nicht!
(Beifall im ganzen Hause)
Wir tragen also Verantwortung dafür, dass jüdisches Leben in unserem Land wie selbstverständlich stattfinden kann. Wir tragen auch Verantwortung dafür, dass die Erinnerung an das, was im Dritten Reich passiert ist, wach bleibt. Das wird nicht einfacher, wenn die Zahl der Angehörigen der Erlebnisgeneration immer weniger wird und wenn wir uns Gedanken machen müssen, wie wir das an junge Menschen herantragen.
Diese Erinnerung an das, was geschehen ist, ist zwingend notwendig. Da darf es keine Schlussstrichdiskussion geben; denn für uns selber, für uns Deutsche ist es existenziell wichtig, dass wir uns immer daran erinnern. Da müssen die Dinge auch klar angesprochen werden. Ja, es gibt in unserem Land Antisemitismus bei Menschen, die schon lange hier leben und vielleicht auch hier geboren wurden. Es gibt aber genauso eingewanderten Antisemitismus. Beides darf in unserem Lande nicht stattfinden, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall im ganzen Hause)
Es hat mich fassungslos gemacht und tief berührt, als in meiner Heimatstadt, einer Stadt mit 30 000 Einwohnern, im letzten Jahr eine Demonstration von vielen Menschen mit Migrationshintergrund stattgefunden hat, auf welcher der Satz „Juden raus“ gerufen wurde. Das dürfen wir nicht zulassen! Dieser Satz darf in Deutschland nie mehr unwidersprochen fallen. Am besten fällt er überhaupt nicht mehr!
(Beifall im ganzen Hause)
Wir sind natürlich auch fest an der Seite Israels, wenn es um ganz wichtige politische Fragen geht. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer viel beachteten Rede in der Knesset gesagt, dass das Existenzrecht Israels Teil der deutschen Staatsräson ist. Das ist ein Satz, der eben nicht nur in Sonntagsreden gilt, sondern der Konsequenzen in der Politik hat. Ich bin unserem Außenminister dafür dankbar, dass er gesagt hat: Dieses Existenzrecht Israels gilt es natürlich auch in unseren politischen Verhandlungen zu beachten, die wir mit dem Iran führen.
In Israel ist man voller Sorge, dass Entscheidungen fallen könnten, die die Sicherheitsinteressen Israels verschlechtern. Deswegen müssen wir schon klar und deutlich sagen: Es kann keinen Abschluss mit dem Iran geben, der die Sicherheit Israels nicht verbessert, und keinen Abschluss, der die Sicherheit verschlechtert. Da dürfen wir auch nicht aus politischer Opportunität wegschauen, sondern da müssen wir klar sagen: Die Verhandlungen mit dem Iran dürfen das Existenzrecht Israels in keiner Weise gefährden, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Freundschaft mit Israel bedeutet allerdings auch, dass wir unserem Freund Israel helfen, in wichtigen politischen Fragen richtige Entscheidungen zu treffen – nicht indem wir hier bevormundend auftreten, sondern indem wir im Dialog mit der israelischen Regierung auch auf Sorgen aufmerksam machen, die wir haben, und indem wir auf mögliche Entwicklungen hinweisen, die wir uns wünschen. Dazu gehört aber auch, dass wir als Freund Israels immer Folgendes zu bedenken haben: Wir können in diesem Jahr 70 Jahre Frieden und Freiheit feiern, während Israel in den vergangenen 70 Jahren nicht einmal einen Bruchteil von dem Frieden und der Sicherheit hatte, die wir hier gehabt haben. Israel war ständig in Sorge, ständig im Abwehrkampf, ständig von Terrorismus überzogen. Deshalb ist es ein Unterschied, ob man aus Sicht Israels oder aus Sicht unseres Landes, eines sicheren Hafens, spricht. Das bitte ich immer wieder zu berücksichtigen, wenn man mit Israel über Zukunftsfragen redet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Natürlich wissen wir aus unserer eigenen Geschichte, wie wichtig es ist, dass man in einem Staat leben kann, dass man seine Interessen entsprechend formulieren kann. Deswegen muss eine Lösung im Nahen Osten gefunden werden. Natürlich gibt es auch das Recht der Palästinenser, in einem Staat zu leben. Darüber werden wir mit Israel immer wieder sprechen müssen. Aber eines ist auch klar: Es gibt kein Recht – schon gar nicht angesichts dessen, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist, und mit Blick auf unsere politische Ausrichtung nach dem Zweiten Weltkrieg –, sein Recht mit Gewalt und Terror zu erzwingen. Das müssen wir den Palästinensern auch klar und deutlich sagen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])
Da haben wir also einen wichtigen Beitrag zu leisten. Diesen Beitrag können wir vielleicht besser leisten, weil wir definitiv wissen, dass der Staat Israel und die Juden – für mich immer noch unfassbar nach dem, was es an Brutalität gab und was an gemeinen Verbrechen geschehen ist – uns in besonderer Weise vertrauen. Es ist ein besonderer Vertrauensbeweis, dass der Staat Israel die Vertretung seiner diplomatischen Interessen und die Vertretung der Interessen seiner Bürger in den Ländern, in denen er keine eigenen diplomatischen Vertretungen hat, auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen hat – nicht auf Amerika oder auf ein anderes europäisches Land, sondern auf Deutschland. Das ist ein weiterer großartiger Beweis dafür, dass man uns vertraut.
Ich kann nur sagen – ich glaube, das kann man für den ganzen Deutschen Bundestag sagen –: Wir werden alles daransetzen, uns dieses Vertrauens würdig zu erweisen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Volker Kauder. – Nächste Rednerin in der Debatte: Katrin Göring-Eckardt für Bündnis 90/Die Grünen.
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 18 |
Session | 103 |
Agenda Item | 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel |