Achim PostSPD - 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf anfangen mit einem Dank an alle Rednerinnen und Redner vor mir, die alle auf ihre Art eindrucksvoll beschrieben haben, wie sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat.
In zehn Wochen, am 27. Juli 2015, ist ein richtig guter Tag. Da beginnen nämlich in Berlin die 14. European Maccabi Games, das größte jüdische Sportereignis Europas, eine Art Olympiade für jüdische Sportlerinnen und Sportler. Dann treffen sich 2 300 Frauen und Männer und messen sich im Schwimmen, im Laufen, im Schachspielen, beim Basketball, und das alles auf dem Gelände des ehemaligen Reichssportfeldes, das für die Olympiade 1936 erbaut worden ist. 70 Jahre nach dem Holocaust findet das größte jüdische Sportereignis in Berlin statt, unterstützt vom Regierenden Bürgermeister und vom ganzen Senat. Ich finde, auch das ist ein Sieg über Hitler und Nazi-Deutschland.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dazu kommt das vielfältige jüdische Leben in Deutschland: in jüdischen Gemeinden und außerhalb von jüdischen Gemeinden. Dazu kommen Tausende und Abertausende Israelis, die für ein Wochenende, für eine Woche, für ein Jahr oder für immer nach Berlin und Deutschland kommen. Das alles sind Hinweise, ja Beweise, wie eng die Bande zwischen den Menschen in Israel und Deutschland geworden sind.
Volker Kauder hat gefragt: Ist jetzt also alles wieder gut? Ist Normalität eingekehrt wie – sagen wir – zwischen Dänemark und Schweden? Ist es Zeit, den sogenannten Schlussstrich zu ziehen? Wie alle Vorrednerinnen und Vorredner sage ich eindeutig: Nein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])
Buchstaben und Geist dieses Koalitionsantrags unterstreichen dieses Nein, wenn vom einmaligen Charakter der deutsch-israelischen Beziehungen gesprochen wird. Zugegeben: Die Überschrift des Antrags kommt etwas holprig daher – „Eingedenk der Vergangenheit die gemeinsame Zukunft gestalten“ –, aber sie trifft den Kern.
Als seine Lehrerin den neunjährigen, uns allen bekannten Marcel Reich-Ranicki Ende der 20er-Jahre vor dessen Umzug nach Berlin verabschiedete, tat sie das mit den Worten: „Du fährst, mein Sohn, in das Land der Kultur.“
Der kleine Marcel kam stattdessen und schlussendlich in das Land von Auschwitz und Treblinka, von Buchenwald und Sachsenhausen. In das Land, in dem Millionen von Menschen umgebracht wurden, nicht von einigen, schon gar nicht von einem, sondern von vielen. In das Land, in dem Millionen von Juden umgebracht wurden, nicht nur im deutschen Namen, sondern von Deutschen.
Deshalb grenzt all das – Frank-Walter Steinmeier hat es beschrieben –, was in den letzten 50 Jahren erreicht wurde, in der Tat an ein Wunder. Aber auch Wunder werden gemacht, von den Bürgerinnen und Bürgern der beiden Länder, von weitsichtigen Politikern wie Ben- Gurion und Konrad Adenauer, wie Golda Meïr und Willy Brandt, wie Schimon Peres und Johannes Rau, aber auch von 700 000 Israelis und Deutschen, die mittlerweile an einem Jugendaustausch teilgenommen haben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
All das geschah nach dem Tiefpunkt der menschlichen Zivilisation.
Im Übrigen auch nach vielen Jahren, in denen Schuld und Verantwortung in Deutschland verdrängt wurden. Sonst hätten SS-Männer wie Oskar Gröning in Lüneburg wohl nicht erst mit 93 Jahren vor Gericht gestanden, sondern mit 33 oder 43 Jahren.
Wie soll es jetzt weitergehen mit unseren beiden Ländern, mit Deutschland und Israel, deren Beziehung so eng und so einzigartig ist, die auf so freundschaftliche und so schwierige Art und Weise verbunden sind, mit diesen beiden stabilen Demokratien? Es wird gelegentlich unterbewertet, dass wir in beiden Ländern in offenen Gesellschaften leben. Wir sollten das zu schätzen wissen. Ich jedenfalls habe bei meinen Besuchen in Israel nicht immer politische Zustimmung erhalten, aber nie persönliche Ablehnung, auch und gerade wenn ich dafür werbe, dass Verhandlungen mit dem Iran die Sicherheitslage Israels verbessern, auch und gerade wenn ich den fortgesetzten Siedlungsbau ablehne oder die humanitäre Lage in Gaza kritisiere.
Drei Dinge liegen mir besonders am Herzen. Erstens. Wir sollten uns in diesen Tagen einfach einmal darüber freuen, was zwischen den Ländern gelungen ist,
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
in Wirtschaft und Wissenschaft, bei Städtepartnerschaften, im Kulturaustausch, im Sport, in sozialen Fragen und beim Austausch von Auszubildenden. 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Israel und Deutschland sind vor allem auch eine Erfolgsgeschichte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zweitens. Wir sollten den Schwung aus 2015 in die kommenden Jahre mitnehmen. Das hat der deutsche Botschafter in Israel vor acht Wochen gesagt. Ich stimme ihm ausdrücklich zu. Der Botschafter hat recht. Am besten sollten wir den Schwung in die nächsten 50 Jahre mit der Vertiefung und der Erweiterung der Zusammenarbeit und des Dialogs mitnehmen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Mit der gemeinsamen Erklärung der letztjährigen Regierungskonsultationen gibt es dafür fast so etwas wie ein Arbeitsprogramm, mit den neun Punkten des Koalitionsantrages gibt es elementare Forderungen des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung: für das Existenzrecht Israels, gegen Antisemitismus, für eine Zwei-Staaten-Lösung, für Erinnerung und Verantwortung in Deutschland.
Damit bin ich beim dritten und letzten Punkt. Zwei Dinge gilt es zu bekämpfen: Desinteresse und Gleichgültigkeit. Das gilt für das Miteinander, aber auch für jedes Land allein. Der große Philosoph Edmund Burke hat den Satz aufgeschrieben: „Für den Sieg des Bösen reicht die Untätigkeit des Guten“. Wenn ich mich so umschaue, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss ich sagen: Wir hier im Deutschen Bundestag sind zweifelsohne die Guten, und zwar in allen Fraktionen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das gilt im Übrigen vor allem für die übergroße Mehrheit der Deutschen; aber wir dürfen nie die Untätigen sein oder werden. Deshalb dürfen wir nicht nachlassen in unserem Engagement gegen Antisemiten, gegen Rechtsradikale, gegen Nazis.
(Beifall im ganzen Hause)
Diese Nazis haben seit der deutschen Einheit über 150 Menschen umgebracht, und sie werden sich weitere Opfer suchen, wenn wir sie nicht stoppen – mit allen Mitteln des Rechtsstaates, energisch und nachhaltig. Das sind wir uns selbst schuldig, das sind wir unseren Freunden in Israel schuldig, das sind wir allen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland schuldig.
Wir haben in den letzten 50 Jahren so viel erreicht. Arbeiten wir weiter für eine gute Zukunft unserer beiden Länder, arbeiten wir weiter für eine gemeinsame Zukunft unserer beiden Länder.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Achim Post. – Nächste Rednerin: Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5038944 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 103 |
Tagesordnungspunkt | 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel |