Gerda HasselfeldtCDU/CSU - 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Beziehung, die Beziehung zwischen Deutschland und Israel, wird immer eine ganz besondere Beziehung bleiben. Sie ist in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Sie ist vor allem eine Beziehung nicht allein zwischen den Staaten, sondern sie ist auch eine Beziehung zwischen den Menschen geworden; das ist auch in den Beiträgen vorhin deutlich zum Ausdruck gebracht worden.
In meinem Wahlkreis liegt das ehemalige Konzentrationslager Dachau. Dort habe ich immer wieder Gelegenheit, Überlebende kennenzulernen. Einer davon ist Abba Naor, der heute in Israel lebt. Wenn er vor 60 Jahren in seinen Pass geschaut hat – in den israelischen Pass –, dann stand da: Gilt in allen Ländern der Welt außer Deutschland. – Er konnte in alle Teile der Erde reisen, aber nicht zu uns nach Deutschland. Heute steht derselbe Mann in hohem Alter immer wieder vor Schülern in ganz Deutschland. Er erzählt von seinen Erfahrungen, von seinem Leiden. Er erzählt das nicht, um anzuklagen, er erzählt das nicht, um den jungen Leuten ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern er erzählt das, um für Toleranz zu werben, um für Nächstenliebe zu werben, für Menschenwürde zu werben. Seine Botschaft ist nicht Anklage, sondern seine Botschaft ist Versöhnung und Mahnung, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])
Ich bin überzeugt davon, dass viele von uns solche Geschichten erzählen können von Begegnungen mit Zeitzeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Diese Geschichten zeigen, was in den Jahrzehnten seit dem Krieg in unserem Land geschehen ist, was die Menschen hier geleistet haben im Bereich Versöhnung und Mahnung.
Wenn wir heute, in diesen Tagen, an 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel denken, dann müssen wir auch noch ein bisschen weiter zurückdenken; denn das Ganze begann im Jahr 1960, als die beiden großen Staatsmänner Konrad Adenauer und David Ben-Gurion sich die Hand reichten. Das Foto ging damals um die Welt, und es ging zu Recht um die Welt; denn das war alles andere als selbstverständlich nach dem, was in deutschem Namen den Juden in der Zeit des Nationalsozialismus angetan wurde.
Es war sicher für jeden der beiden schwierig – für David Ben-Gurion wahrscheinlich noch viel schwieriger –, bei seiner Bevölkerung dafür Verständnis zu bekommen. David Ben-Gurion sagte schon bald nach dem Krieg: Ihr müsst wissen, dass da ein anderes Deutschland entsteht. – Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, es entstand ein anderes Deutschland: Es entstand ein Deutschland, das sich zu seiner Geschichte und zu seiner Verantwortung aus der Geschichte bekennt, ein Deutschland, das zu Werten wie Freiheit, Demokratie und Menschenwürde steht, ein Deutschland, das nicht vergisst, was in der Vergangenheit war, ein Deutschland, das das Geschehene, die Schoah, immer im Gedächtnis haben wird – auch das gehört zu diesem Deutschland.
Meine Damen und Herren, warum ist das alles geschehen? Es ist vorhin schon gesagt worden: Es ist ein großes Wunder, dass wir dieses erleben dürfen – nach all dem, was wir in der Geschichte zu verzeichnen hatten und haben. Heute arbeiten die beiden Staaten intensiv zusammen: im politischen Bereich, im wirtschaftlichen Bereich, im Forschungsbereich, im kulturellen Bereich. Es gibt viele Städtepartnerschaften. Das Internationale Parlaments-Stipendium des Deutschen Bundestages trägt dazu bei, dass Jugendliche aus Israel nach Deutschland kommen und dass deutsche Jugendliche die Möglichkeit haben, einige Monate in der Knesset zu verbringen.
Das alles ist wirklich ein Wunder. Es ist möglich geworden, weil zunächst einmal Israel bereit war, die Hand zu reichen. Es ist möglich geworden, weil Konrad Adenauer, selbst unbelastet, sich eindeutig zu der Vergangenheit bekannt hat, zur Verantwortung der Vergangenheit bekannt hat und weil er glaubwürdig für das neu entstandene Deutschland stand. Meine Damen und Herren, es ist möglich geworden, diese 50 Jahre wirklich als Erfolgsgeschichte, wie es mein Vorredner bezeichnet hat, zu sehen, weil jede Bundesregierung in den vergangenen Jahrzehnten sich der Bedeutung der besonderen Beziehungen bewusst war, weil jede Bundesregierung die Beziehungen intensiviert und noch verbessert hat sowie das schon vorhandene Vertrauen immer wieder gestärkt hat. Auch das gilt es in dieser Stunde zu erwähnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aus der Erinnerungskultur der ersten Jahre ist eine Verantwortungskultur geworden. Was heißt „Verantwortungskultur“ jetzt für uns?
Es bedeutet meines Erachtens erstens, dass wir nicht schweigen dürfen, wenn die fürchterlichen Gräueltaten des Nationalsozialismus relativiert werden, dass wir nicht schweigen dürfen, wenn wir in Deutschland, in Europa oder sonst wo auf der Welt wieder antisemitische Tendenzen erkennen. Für uns muss gelten: Antisemitismus, Rassismus, Abgrenzung, Ausgrenzung, Diskriminierung – all das darf in Deutschland, darf in Europa, darf in der Welt keinen Platz haben.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zweitens bedeutet Verantwortungskultur, das Erinnern wachzuhalten, auch in einer Zeit, in der die Zeitzeugen immer weniger werden und vielleicht eines Tages gar nicht mehr vorhanden sind. Diese Arbeit leisten meines Erachtens in hervorragender Weise die Gedenkstätten. Sie wird aber auch geleistet – das will ich nicht unerwähnt lassen – von Schriftstellern in Büchern, aber auch in einer ganzen Reihe von Filmen. Auch wir sind gefordert, dieses wachzuhalten: mit Diskussionen und mit Förderung der Menschen, die diese Arbeit professionell für uns leisten. Auch das gehört dazu.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Drittens bedeutet Verantwortungskultur, einen offenen Dialog mit Israel über all die aktuellen Fragen zu führen; es wurde vorhin schon angesprochen. Das Ganze bedeutet auch, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass in der Region, wo die Menschen immer wieder mit Ängsten und Schrecken zu tun haben, Frieden einkehrt. Da gibt es keine Patentlösung. Für uns ist aber klar und für mich gilt ganz wesentlich: Das Existenzrecht, die Sicherheit Israels, das ist für uns nicht verhandelbar, so wie es die Bundeskanzlerin und die bisherigen Bundesregierungen immer wieder zum Ausdruck gebracht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Viertens bedeutet diese Verantwortungskultur aber auch, dass wir jüdisches Leben in Deutschland nicht nur zulassen, sondern dass wir es, wo immer es möglich ist, auch fördern. Jüdisches Leben gehört zu unserer kulturellen Identität, und es bereichert unser Leben. Auch das gehört zur Verantwortungskultur.
Das alles, meine Damen und Herren, ist möglich, weil wir ein gemeinsames Wertefundament haben, ein Wertefundament, das da lautet: für Freiheit, für Demokratie, für die Wahrung der Menschenrechte und Menschenwürde, und zwar egal woher die Menschen kommen, egal welches Geschlecht sie haben, welchen Glauben sie haben. Jeder und jede hat das Recht auf eine Menschenwürde, wie wir sie verstehen.
Meine Damen und Herren, 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, das ist ein Glücksfall; es ist in der Entwicklung der Jahrzehnte für uns eine Erfolgsgeschichte. Geprägt sind diese Beziehungen von der Verantwortung für die Vergangenheit, von einer gelebten Solidarität und einem gegenseitigen Vertrauen, von unseren gemeinsamen Werten. Ich denke, wir sind aufgefordert, diese einzigartigen Beziehungen in diesem Geist auch künftig zu pflegen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank, Frau Hasselfeldt. – Nächster Redner in der Debatte: Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5038958 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 103 |
Tagesordnungspunkt | 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel |