Kerstin GrieseSPD - 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele in meiner Generation, die sich politisch engagieren, tun dies, weil nie wieder passieren darf, was 1933 von Deutschland ausging. In der Schoah wurden 6 Millionen europäische Juden ermordet. In dieser einmaligen Menschheitstragödie haben die Deutschen unfassbare Schuld auf sich geladen.
Als 16-Jährige habe ich im Rahmen der Jugendarbeit zum ersten Mal die Gedenkstätte des KZ Auschwitz besucht. Das hat mich für mein ganzes Leben geprägt. Die Täter waren aus der Generation meiner Großeltern. Es waren Deutsche, die im südpolnischen Ort Oswiecim das größte Grauen der Menschheitsgeschichte angerichtet haben, indem sie die Juden Europas dorthin deportiert haben, misshandelt, gequält und ermordet haben.
Man muss bedenken, dass es nach 1945 viele Akteure in der jungen deutschen Bundesrepublik gab, die in den Nationalsozialismus verstrickt waren oder selbst schuldig geworden waren. Mir haben Holocaustüberlebende oft erzählt, wie schwer es für sie in der Nachkriegszeit war, Deutschen zu begegnen, weil sie immer gedacht haben: Was hat derjenige wohl von 1933 bis 1945 gemacht? Vor diesem Hintergrund war es für den jungen Staat Israel besonders schwer, mit dem Land der Täter in einen diplomatischen Austausch zu treten. Es dauerte 20 Jahre, bis 1965 – wir feiern erst 50 Jahre diplomatische Beziehungen –, bis das offiziell möglich wurde.
Aber es gab viele – darauf will ich heute besonders eingehen –, die sich vor 1965 für die deutsch-israelischen Beziehungen engagiert haben. Der Prozess dorthin hatte viele Wegbereiterinnen und Wegbereiter. Wir sind den Menschen, die schon in den 1950er-Jahren begonnen haben, erste Kontakte nach Israel zu knüpfen, sehr dankbar. Es waren Gewerkschaften, es waren Jugend- und Studentenorganisationen, es war die evangelische Kirche, die weit vor Aufnahme der offiziellen diplomatischen Beziehungen, teilweise auch unter abenteuerlichen Bedingungen und mit großem persönlichen Einsatz, eigene Beziehungen zu den Menschen im jüdischen Staat geknüpft haben. Darauf können wir sehr stolz sein.
Kurt Schumacher, der SPD-Vorsitzende, hat schon 1947 auf dem SPD-Parteitag gesagt, dass das deutsche Volk zur Wiedergutmachung und zur Entschädigung verpflichtet ist. Das war 1947 ein bedeutender Satz. Carlo Schmid hat 1951, damals Bundestagsvizepräsident, darauf gedrungen, den jungen Staat Israel als Rechtsnachfolger für Rückerstattung und Wiedergutmachungsansprüche anzuerkennen. Auch das war wegweisend, bis es dann 1952 zum Luxemburger Abkommen kam.
Es waren junge Menschen, die sich schon früh für die Beziehungen zu Israel eingesetzt haben. Die Falken waren dabei; und der SDS, die damalige SPD-Hochschulorganisation, hat 1951 die Kampagne „Frieden mit Israel“ gestartet und deutsch-israelische Studierendengruppen gegründet. Es waren evangelische Jugendgruppen, aus denen 1958 die Aktion Sühnezeichen entstand. Auch die Gewerkschaftsjugend war dabei.
Wenn wir uns vor Augen halten, wie Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre die ersten Jugendgruppen nach Israel reisten, dann wissen wir, dass das schwierig war. Sie waren nach dem Holocaust natürlich oft nicht willkommen. Es war für die deutschen Jugendlichen nicht einfach; aber es war auch für diejenigen Israelis, die deutsche Gäste willkommen heißen wollten und mit ihnen einen Austausch suchten, nicht einfach. Sie mussten sich Anfeindungen erwehren. Frau Hasselfeldt hat es schon erwähnt: Im israelischen Pass stand bis 1956 noch auf Hebräisch und Französisch die Bemerkung: Gültig für alle Länder – mit Ausnahme Deutschlands. Es war also auch ganz schwierig, zueinander zu reisen. Dafür, dass in dieser Zeit schon Menschen begonnen haben, Partnerschaften und auch Freundschaften zu knüpfen, sind wir dankbar.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will an ein wenig bekanntes, aber wichtiges Ereignis erinnern. Am 26. März 1957 hat der damalige SPD- Parteivorsitzende Erich Ollenhauer als erster deutscher offizieller Gast des Staates Israel dort eine öffentliche Rede gehalten. Er hat sich in dieser Rede für den Botschafteraustausch eingesetzt. Dies hat übrigens zu Protesten der arabischen Länder im Sinne der Hallstein- Doktrin geführt. Es war in diesen Zeiten also wirklich noch sehr schwierig, dafür zu plädieren. 1957 fuhr die erste offizielle Delegation des Deutschen Gewerkschaftsbundes nach Israel. Seitdem gibt es eine lange und intensive Partnerschaft mit der Histadrut, dem israelischen gewerkschaftlichen Dachverband.
1965 war es dann so weit – dies feiern wir in diesen Wochen –: Die offiziellen diplomatischen Beziehungen haben begonnen. Sie konnten aber nur beginnen, weil in den Jahren davor von Menschen, die sich engagiert haben und Wegbereiter dieser Kontakte waren, ein Netz geknüpft wurde. Dazu passt auch, dass es Johannes Rau war, der im Jahr 2000 als erstes deutsches Staatsoberhaupt vor der Knesset gesprochen hat und auch als Erster dort eine Rede auf Deutsch gehalten hat, worüber in Israel damals heftig diskutiert wurde. Es war eine wegweisende und bewegende Rede, in der er um Vergebung bat.
Ende der 1960er-Jahre wurde der deutsch-israelische Jugendaustausch auch offiziell etabliert. Er ist bis heute sehr lebendig. Mein Kollege Achim Post hat schon darauf hingewiesen: 700 000 Menschen haben bisher teilgenommen. Etwa 300 Austauschprojekte gibt es pro Jahr. Seit 2001 wird dies von ConAct organisiert, dem Koordinierungszentrum für den deutsch-israelischen Jugendaustausch in Wittenberg. Ich danke allen, die sich dort engagieren, sehr herzlich für diese Begegnungsarbeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich selbst hatte 1996 das Glück, gemeinsam mit unserer heutigen Ministerin Andrea Nahles, sie war damals noch Juso-Bundesvorsitzende, dabei zu sein, als das Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem gegründet wurde. Das ist eine einmalige trilaterale Initiative, die es bis heute gibt, die gemeinsam von Deutschen, Israelis und Palästinensern getragen wird und die trotz aller Krisen, Terroranschläge und Kriege, die seither stattgefunden haben, weiter existiert, weil es junge Menschen gibt, die immer wieder beharrlich und unverdrossen daran arbeiten, dass die zwischen Deutschen, Israelis und Palästinensern geknüpften Fäden nicht zerreißen.
Mir geht es immer wieder so: Wenn man dort ist – ich bin oft in Israel –, wenn man über die Lage im Nahen Osten verzweifelt ist und wenn man so gar keine Fortschritte, sondern eher Rückschritte wahrnimmt, dann ist es ein Hoffnungszeichen, dass es dort diese Menschen gibt, dass dort Begegnung und Verständigung möglich sind. Ich bin mir ganz sicher: Wenn Menschen die Chance haben, zueinanderzukommen, sich kennenzulernen, miteinander zu reden, dann ist das schon ein Friedensprozess im Kleinen. Davon brauchen wir noch viel mehr.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Damit kann in der Tradition all der Kontakte, die ich aufgezählt habe, ein kleiner Beitrag dafür geleistet werden, dass Israel eine friedliche Zukunft hat.
Ich will genau wie meine Vorredner betonen: Wir müssen gerade in Deutschland besonders sensibel sein, wenn es um antisemitische Tendenzen in der Gesellschaft geht. Wir verzeichnen in diesem Jahr eine Zunahme antisemitischer Straftaten um 25 Prozent. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Dagegen müssen wir uns alle gemeinsam engagieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Nahostkonflikt wurde im letzten Jahr instrumentalisiert, und wir haben offen antisemitische Demonstrationen erlebt. Ich sage ganz deutlich zu Gregor Gysi: Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie hier und heute klare Kante gezeigt haben. Denn in meiner Nachbarstadt Essen gab es eine Demonstration, bei der wirklich erschreckende antisemitische Parolen geäußert wurden und die von Teilen der nordrhein-westfälischen Linkspartei unterstützt wurde. Deshalb: Vielen Dank! Ich glaube, wir müssen uns gemeinsam gegen jeden Antisemitismus wehren und ihm entgegenstehen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Kritik an der israelischen Regierungspolitik ist selbstverständlich immer möglich. Es gibt auch niemanden, der sie unterbinden will, wenn sie demokratisch geäußert wird. Was wir aber erlebt haben, ist, dass diese Kritik in eine Kritik an den Juden insgesamt und an Israel insgesamt übergesprungen ist und ein Gleichsetzen der Juden in Deutschland mit der israelischen Regierungspolitik stattgefunden hat. Gegen diesen Antisemitismus stellen wir uns mit aller Deutlichkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Israel und Deutschland sind Verbündete, Partner und Freunde. Viele Abgeordnete aus allen Fraktionen bemühen sich in der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe und weit darüber hinaus ganz besonders um diese Beziehungen; denn sie sind für uns elementarer Bestandteil unseres politischen Selbstverständnisses. Der freundschaftliche und kritische Austausch bleibt eine wichtige Grundlage für die Beziehungen unserer beiden Staaten.
Mir geht es so wie sicherlich vielen von Ihnen – ich hoffe, allen hier –: Ich werde mich immer dafür einsetzen, dass der demokratische und jüdische Staat Israel existieren kann. Ich wünsche den Menschen in Israel, dass sie in einem Staat mit dauerhaft anerkannten und sicheren Grenzen leben können – neben einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat, Seite an Seite, in Frieden und Sicherheit.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Kerstin Griese. – Nächster Redner: Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5039011 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 103 |
Tagesordnungspunkt | 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel |