Claudia Roth - 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte im Namen unserer Fraktion deutlich hervorheben, wie wichtig uns diese Debatte ist und wie wichtig auch das Andenken an das 50-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ist.
Kerstin Griese hat aus meiner Sicht gerade sehr schön beschrieben, dass sich die Sozialisation jüngerer Politiker über mehrere Jahrzehnte erstreckt und dass das eigene Verständnis – das gilt über die Parteigrenzen hinweg – natürlich vor allem durch die politischen Stiftungen geprägt wird. Man wächst in Deutschland in dem Bewusstsein auf, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel nicht irgendwelche, sondern besondere Beziehungen sind. Diese besonderen Beziehungen leiten sich vor allem aus den schrecklichen Ereignissen des Holocausts ab.
Unsere Fraktion hat diese Woche eine Veranstaltung durchgeführt und versucht, in diesem Rahmen die junge Generation, junge Vertreter aus Israel, zu Wort kommen zu lassen. Mich hat besonders beeindruckt, dass eine junge Deutsche namens Melody Sucharewicz, die in Israel lebt, sich in München sehr stark für das jüdische Leben eingesetzt hat und bei unserer Veranstaltung aus Israel zugeschaltet war, deutlich hervorgehoben hat, dass es mit Worten allein nicht getan ist, sondern dass sich ganz besonders an Taten bemisst, was diese Freundschaft wirklich ausmacht.
Da muss ich natürlich sagen: Wir haben in sehr vielen Diskussionen, auch über die Parteigrenzen hinweg, immer alles getan, um die Existenz des jüdischen und demokratischen Staates Israel zu garantieren. In diesem Geist sollten wir auch diese Debatte führen. Wir sollten über die Parteigrenzen hinweg alles tun, was notwendig ist, um die Existenz des jüdischen Staates dauerhaft zu garantieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aus dem Holocaust leitet sich nicht nur die Verantwortung ab, sich seiner Geschichte bewusst zu sein. Es ist richtigerweise gesagt worden, dass es auch darum geht, entschlossen gegen Antisemitismus vorzugehen. Er ist in vielen gesellschaftlichen Schichten vorhanden. Dabei geht es nicht nur um den externen Antisemitismus, der zu uns gekommen ist – zum Beispiel durch aggressive arabische Jugendliche oder in Form von Debatten, die eigentlich im Nahen Osten geführt wurden, mittlerweile aber auch in großen Städten und in Ballungsräumen bei uns geführt werden; diese Debatten sind über das Internet zu uns geschwemmt worden –, sondern natürlich auch um Vorurteile und Stereotype, die bedient werden.
Antisemitismus geht – das besagt auch eine Studie des American Jewish Committee – quer durch alle Gesellschaftsschichten. Insofern stellt sich nicht nur die Frage, ob man sich Neonazis entgegenstellt – das ist eine Selbstverständlichkeit – oder versucht, Widerstand in irgendeiner Form an Demonstrationen und spektakulären Ereignissen festzumachen; vielmehr spielen auch der alltägliche Antisemitismus und die Doppelstandards, die gegenüber Israel angewandt werden, eine Rolle. Hier muss man sehr wachsam sein und sagen: Wehret den Anfängen!
Wenn wir die Forderung „Nie wieder!“ ernst nehmen, dann geht so etwas wie das, was unser Fraktionsvorsitzender Volker Kauder vorhin am Beispiel der Israel- Fahne beschrieben hat, überhaupt nicht. Es ist nicht akzeptabel, dass wir uns verstecken und unser Bekenntnis zum Staate Israel so passiv zum Ausdruck bringen, dass ein Einsatzleiter bei einem Fußballspiel der Meinung ist, man dürfe keine Israel-Fahne zeigen. Ich glaube, er wäre bei der Flagge eines anderen Landes nie auf die Idee gekommen, so etwas zu tun. Das war wirklich beschämend und ist nur ein kleines Beispiel dafür, wo wir den Weg für Antisemitismus bereiten. Denn wenn man so wie die Staatsgewalt an dieser Stelle zurückschreckt, darf man sich nicht wundern, dass andere das als Einladung wahrnehmen, noch viel weiter zu gehen. Deshalb war es wichtig, dass Volker Kauder das angesprochen hat.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte diese Debatte aber auch nutzen, um auf die aktuelle Situation in Israel einzugehen. In fast allen Reden ist gesagt worden, dass wir froh sind, dass Israel ein demokratisches Land ist. Es ist das einzige demokratische – auch mit einem sehr breiten, pluralistischen Parteienspektrum ausgestattete – Land in der Region, das sich im Grunde zu jedem Thema unterschiedliche Meinungen bildet. Jeder von uns könnte zu jeder politischen Diskussion in Israel, in der ganz kontroverse Meinungen vertreten werden, einen Vertreter benennen.
Gerade weil Israel das einzige Land ist, in dem die Gleichberechtigung von Mann und Frau, überhaupt die Herkunft der Menschen keine Rolle spielt, ist es ganz bemerkenswert, dass Israel diesen demokratischen, streitbaren Prozess auch bei sich – anders als alle anderen Nachbarn – organisiert und konsequent durchhält. Mit Blick auf unsere Geschichte, aber auch wegen der bisherigen Erfolgsgeschichte Israels steht es uns nicht an, Israels Politik in Oberlehrermanier per se zu kritisieren.
Manche haben sich heute zur Regierungsbildung in Israel geäußert. Ich bin froh, dass Israel eine Regierung gefunden hat. Sie ist demokratisch legitimiert. Es ist an den Israelis, zu entscheiden, welchen Weg sie demokratisch wählen, und es ist nicht an uns, das zu beurteilen. Deshalb hat die Regierung Netanjahu – auch die neue Regierung unter ihm – genau dieselben fairen Chancen wie jede andere demokratische Regierung in der westlichen Welt verdient. Insofern sollten wir auch weiterhin eng und vertrauensvoll mit Netanjahu zusammenarbeiten und vielleicht das eine oder andere, was im Wahlkampf gewesen ist, hinter uns lassen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich bin über die aktuelle außenpolitische Situation Israels sehr besorgt. Die Freude über das Abkommen mit dem Iran teile ich dezidiert nicht. Ich nehme die Sorgen Israels sehr ernst und glaube, der Iran ist nach wie vor ein großer Unruheherd, eine Gefahr, ein Sponsor des internationalen Terrorismus. Der Iran versucht, der Hegemon des Nahen Ostens zu werden, und mit traumwandlerischer Treffsicherheit gehen manche auf das Werben des Irans ein und unterschätzen aus meiner Sicht die von ihm ausgehenden Gefahren.
Ich glaube, dass die in der Rede von Netanjahu in Washington geäußerten Sorgen berechtigt sind. Auch wenn ich nicht mit allen in diesem Hause übereinstimme, glaube ich, dass das ein Punkt ist, der definitiv zur Betrachtung der deutschen Außenpolitik gehören muss.
Gerade in diesen Tagen, in denen man sagt, man wolle das Existenzrecht des jüdischen Staates weiterhin garantieren – das ist nicht nur Staatsräson, sondern auch Verpflichtung für uns alle –, muss man daraus verschiedene außenpolitische Ableitungen vornehmen und im Nahen Osten, wo es nie nur Schwarz oder Weiß, sondern auch sehr viele Grautöne gibt, Konzessionen machen, die, obwohl man sich vielleicht etwas anderes gewünscht hätte, notwendig sind.
Insofern begrüße ich es ausdrücklich, dass unser Außenminister diese Woche in Ägypten war und Gespräche geführt hat. Ich möchte an dieser Stelle aber auch unseren Fraktionsvorsitzenden, Volker Kauder, hervorheben. Volker Kauder war der erste Politiker in Europa, der Präsident el-Sisi besucht, ihm die Hand gereicht und gesagt hat: Bei allen Schwierigkeiten, die Ägypten gerade hat, brauchen wir Ägypten, brauchen wir eine stabile Regierung in Ägypten. Die jetzige, bedauerlicherweise – das hätten wir uns anders gewünscht – nicht demokratisch legitimierte Regierung Ägyptens ist bei weitem besser als die vorherige unter Mursi, die zwar demokratisch gewählt, aber extremistisch war.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das war ein mutiger Schritt, Volker Kauder. Ich glaube, es ist auch richtig, dass Frank-Walter Steinmeier diesem Schritt jetzt gefolgt ist und dass auch die Bundeskanzlerin Präsident el-Sisi hier in Berlin treffen wird.
Ein letzter Gedanke. Selbstverständlich ist das Verhältnis zu Saudi-Arabien nicht einfach, sondern bringt große Schwierigkeiten mit sich. Es tut sich wohl niemand leicht mit dem Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und Westeuropa. Trotzdem ist Saudi-Arabien ein wichtiger Partner für Israel. Wir sollten diese Beziehung deshalb nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, sondern immer mit Bedacht abwägen, welche Folgen es mit sich brächte, wenn wir gegenüber dem Iran zu gutgläubig aufträten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Danke, Philipp Mißfelder. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5039012 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 103 |
Tagesordnungspunkt | 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel |