07.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 103 / Tagesordnungspunkt 5 + 19a

Lars CastellucciSPD - Asylpolitik, finanzielle Verantwortungsteilung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will jetzt einfach versuchen, wieder sachlich in diese Debatte einzusteigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Haßelmann war sehr sachlich!)

Ich glaube auch, die Tonalität macht noch nicht eine gute Politik aus; das kann sich an unterschiedliche Stellen in diesem Saal richten.

Wir führen diese Debatte heute nicht nur vor dem morgigen Tag, an dem ein Flüchtlingsgipfel stattfindet, sondern wir führen diese Debatte auch zu einem Zeitpunkt, wo wir die Prognose bekommen haben, dass sich die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland in diesem Jahr absehbar verdoppeln wird. Das zeigt den Ernst der Lage. Das zeigt, dass es nicht nur um deutsche Asylpolitik geht. Das zeigt auch, dass es nicht nur um Asylpolitik geht. Die Herausforderung ist komplex, und einfache Antworten gibt es nicht. Das Allerwichtigste ist, dass mehr Menschen in ihren Heimatländern bleiben können; dazu müssen wir unseren Beitrag leisten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir alle wissen, dass das leichter gesagt ist als getan.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Nicht nur reden, sondern auch leisten!)

Viele Entwicklungen, die wir in den letzten Monaten und Jahren hier auch begleiten, laufen in die völlig andere Richtung. In den Medien und auch in den Sitzungswochen löst eine Krisenregion die andere als Thema ab. Aber das ist eben unsere Zeit. Wir müssen uns den Herausforderungen stellen, die sie uns bietet, und dürfen nicht nachlassen in unserem Bemühen.

Die zweite Ebene – das muss heute auch noch einmal kurz Thema sein – ist Europa. Wir können ja nicht, jedenfalls nicht sinnvoll, isoliert über Asylpolitik sprechen, denn unsere Grenzen sind in Wahrheit die Außengrenzen der Europäischen Union; Europa ist der Zufluchtsort. Vor zwei Wochen haben wir uns hier anlässlich der Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer zu einer Schweigeminute von den Plätzen erhoben. In unser Schweigen dringen die Hilfeschreie der Ertrinkenden. Mit Blick auf den Ratsbeschluss, der einen Tag später getroffen wurde, kann man nur sagen: Sie hätten besser geschwiegen;

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)

denn die Ergebnisse sind unter allen Erwartungen geblieben, die man haben konnte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Dass sich Europa nicht einmal auf eine konkrete Zahl von Flüchtlingen verständigen konnte, denen man ein Resettlement anbietet, ist aus meiner Sicht schändlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich wiederhole: Wir brauchen neben Grenzschutz und Bekämpfung von Schleusern eine akut wirksame Seenotrettung. Es ist gut, dass jetzt zwei weitere deutsche Schiffe im Mittelmeer sind und dort auch Unterstützung leisten; aber es ist doch absurd, dass sie die Menschen einsammeln und man nicht einmal weiß, wohin mit ihnen. Wir brauchen einen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge in Europa. Wir müssen in Kontingenten, die uns fordern, aber nicht überfordern – es geht immer um das rechte Maß –, legale Zugangswege nach Europa eröffnen. Wenn es also irgendwo ein Umdenken geben muss, meine Damen und Herren, dann in allererster Linie in der europäischen Flüchtlingspolitik. Wir sehen: Die Menschen kommen ohnehin. Wir können das nur gestalten; wir können es nicht verhindern.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Barbara Woltmann [CDU/CSU])

Damit zu Deutschland. Auch ich bin überzeugt, dass wir zu großen humanitären Anstrengungen in der Lage sind – das zeigen wir auch – und dass wir die Hilfsbereitschaft der Menschen sichern können. Das ist aber an Voraussetzungen gebunden.

Die erste Voraussetzung ist: Es muss klar sein, dass unsere Hilfe auf Menschen trifft, die vor politischer Verfolgung, Krieg und Terror fliehen. Jetzt können wir beklagen, dass in unseren Asylverfahren auch Menschen landen, auf die das gar nicht zutrifft; aber wir müssen uns gleichzeitig fragen: Welche Alternativen haben diese Menschen? Ich will an dieser Stelle für die SPD-Fraktion klar sagen: Die Einstufung dreier Staaten als sichere Herkunftsstaaten haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. – Für mehr sind wir nicht zu haben.

(Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Beispiel Kosovo zeigt uns eindeutig, dass wir auch ohne das Konzept von sicheren Herkunftsstaaten Erfolge haben können. Von dort sind in der Spitze über 1 000 Menschen am Tag zu uns gekommen. Jetzt liegt das nur noch im zweistelligen Bereich, und das ohne die Ausweisung als sicherer Herkunftsstaat. Man macht ein Grundrecht nicht besser, indem man es einschränkt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die zweite Voraussetzung ist, dass die Menschen in Deutschland das Gefühl haben müssen, dass wir uns mit aller Kraft auch um ihre Alltags- und ihre Zukunftssorgen kümmern. Es muss sichergestellt sein, dass das, was wir für Flüchtlinge tun, nicht gegen Kinderbetreuung, nicht gegen Schwimmbäder, nicht gegen Kultur und nicht gegen soziale Infrastruktur vor Ort geht.

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Wir müssen – das ist der dritte Punkt, ein sehr wichtiger Punkt – die Herausforderung organisatorisch gut bewältigen, und zwar in einer Verantwortungsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Vonseiten der SPD liegen vor dem morgigen Flüchtlingsgipfel hierzu Vorschläge vor. Wir wollen die Kommunen von den Kosten der Flüchtlingsunterbringung und Integration entlasten. Ich sage: Es macht keinen Sinn, dass wir die Menschen ins flache Land verteilen, wenn ihr Aufenthaltsstatus noch völlig ungeklärt ist; da müssen wir gegensteuern. Die Menschen engagieren sich für Integration – alle Redner haben das völlig zu Recht mit Lob versehen –, aber man weiß gar nicht: Trifft das auf Menschen, die auf Dauer bei uns bleiben können? Da werden auch Ressourcen vergeudet.

Wenn wir als Bund stärker in die Verantwortung gehen, dann ist es auch unsere Aufgabe, für Standards zu sorgen, also zu sagen, was wir dafür haben wollen. Wie sehen die Unterkünfte aus? Wie sieht es mit der Sozialbetreuung aus? Welche Anstrengungen werden in Richtung Arbeitsmarkt unternommen? Schließlich: Wir treten für die Übernahme der Gesundheitskosten nach einem bundeseinheitlichen Verfahren ein. Das haben wir vorgelegt.

Damit sind wir insgesamt wieder bei der Frage des Geldes. Es ist richtig: Es geht darum, Lasten zu teilen, es geht darum, Verantwortung zu teilen, und es geht um Ressourcenteilung. Man kann das Ganze als einen Kuchen sehen. Wenn mehr Menschen ein Stück haben wollen, dann bleibt für jeden weniger übrig. Aber es gibt auch die andere Perspektive, und diese andere Perspektive ist ebenfalls richtig, nämlich: Wer teilt, wird reicher. Genau das ist es, was die vielen tausend Helferinnen und Helfer vor Ort spüren, wenn sie sich um Flüchtlinge oder ganz einfach um andere kümmern. Es gilt der alte Satz von Goethe: Wer nichts für andere tut, tut nichts für sich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Diese Sicht, dass das Teilen uns auch reicher machen kann, gibt uns die Kraft, die vor uns liegenden Herausforderungen nicht nur anzupacken, sondern auch zu meistern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Barbara Woltmann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Electoral Period 18
Session 103
Agenda Item Asylpolitik, finanzielle Verantwortungsteilung
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