07.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 103 / Tagesordnungspunkt 5 + 19a

Matthias SchmidtSPD - Asylpolitik, finanzielle Verantwortungsteilung

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe kürzlich auf der Straße Herrn Kollegen Frank Tempel von den Linken getroffen. Wir sind dann gemeinsam zum Büro gegangen und haben dabei festgestellt: Im Innenausschuss brummt es ganz schön. Es gibt viele politisch wichtige Themen, die momentan bei uns im Innenausschuss landen, und jeden Tag kommen neue hinzu. Dabei ist die Flüchtlingspolitik ein Thema, das unsere volle Konzentration und auch unseren gemeinsamen Einsatz erfordert. Was unseren gemeinsamen Einsatz betrifft, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, spreche ich Sie ausdrücklich mit an. Ich finde, wir können durchaus versuchen, hier gemeinsam zu agieren.

Aus meiner Sicht stehen wir vor folgenden Herausforderungen:

Erstens. Das Problem der Unterbringung vor Ort, in den Kommunen, muss gelöst werden. Hier brauchen wir Akzeptanz und Verständnis in der Bevölkerung. Darauf, wie wir Akzeptanz und Verständnis erzielen, will ich später zurückkommen.

Zweite Herausforderung. Das Massensterben im Mittelmeer muss sofort beendet werden. Was das Massensterben im Mittelmeer angeht, vergessen wir, die gesamte Fluchtroute, auf der ebenfalls sehr viele Menschen sterben, zu berücksichtigen. Wir sehen im Fernsehen immer nur Bilder vom Mittelmeer und betrachten das andere nicht mehr.

Herr Kollege Huber – er ist nicht mehr da –, ich teile Ihre These, die Sie in Frageform gekleidet haben, ausdrücklich nicht: dass wir Menschen zur Flucht animieren, wenn wir sie retten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, wir sollten aus unserer christlichen Tradition heraus durchaus zu anderen Schlüssen kommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Eine dritte wichtige Herausforderung ist die weltweite Bekämpfung der Fluchtursachen. Das lässt sich nur mittel- oder langfristig bewältigen. Wir sind uns hier im Parlament sehr schnell einig: Wir werden aus verschiedenen Gründen im Mittelmeer keine Mauer bauen können. Wir brauchen legale Möglichkeiten, nach Europa zu gelangen. Und – Kollege Castellucci hat schon darauf hingewiesen – wir müssen dafür sorgen, dass mehr Menschen in ihren Heimatländern bleiben können.

Ihre beiden Anträge, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, betreffen meinen ersten Punkt. Ich möchte mich hauptsächlich mit dem Antrag der Linken auseinandersetzen.

Es ist sicherlich Ihr gutes Recht, vielleicht sogar Ihre Pflicht, die Regierung mit breit angelegten Anträgen vor sich herzutreiben, und dabei darf es durchaus auch einmal eine provokante Sprache geben. Meines Erachtens schießen Sie an dieser Stelle aber weit über das Ziel hinaus. Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, so finde ich, dass darin abwegig von einer bisherigen Politik der Abschreckung gegenüber Flüchtlingen die Rede ist, von Zwangsunterbringung, Lagerzwang, Zwangsverteilung – im Angesicht der deutschen Geschichte sollte man da auch noch einmal über die Wortwahl nachdenken –,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das müssen Sie sich mal angucken!)

von jahrelangen Versäumnissen, einer unzureichenden und halbherzigen Regierungspolitik und von Planungsmängeln.

Regierung und Koalition müssen so etwas aushalten. Aber Sie übersehen dabei, dass Sie mit Ihrem Antrag auch den Menschen in unserem Land, die sich engagieren, die in Flüchtlingsinitiativen vor Ort oder an runden Tischen aktiv sind, eine Ohrfeige versetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Was unterstellen Sie diesen Menschen, die so gut helfen, wenn Sie fordern, dass eine antirassistische Präventionsarbeit selbstverständlicher Teil des bürgerschaftlichen Engagements sein müsse? Das sind doch die Leute, die mit uns zusammen – mit den Demokraten – auch auf die Straße gehen, gegen die NPD zum Beispiel in meinem Wahlkreis, gegen die AfD, gegen Pegida, und die auch mit Menschen reden, die einfach nur verängstigt sind.

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist beabsichtigt, das wissen Sie ganz genau! So ein Pappkamerad!)

Im Kanonenfeuer Ihres Antrags geht dann unter, dass Sie auch auf richtige Aspekte hinweisen. Stichworte hierfür sind die menschenwürdige Aufnahme, die schnelle Integration – Frau Jelpke, Sie haben das eben noch einmal ausführlich erwähnt – und die Hilfen beim Spracherwerb.

Hinzu kommt, dass Ihr Antrag schlecht recherchiert ist. Sie sprechen von 173 000 Asylsuchenden im Jahre 2014. Es waren bekanntlich über 200 000. Die Anzahl der Altfälle – von Ihnen mit 169 000 beziffert – beträgt tatsächlich rund 200 000. Allerdings gibt es „nur“ rund 50 000 Altfälle, die seit mehr als einem Jahr auf Bearbeitung warten. Das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ist mit intelligenten Lösungen dabei, genau diese Fälle zurückzufahren.

Ihre Schlussfolgerung, die ein bisschen als Allheilmittel daherkommt, das BAMF mit neuen Stellen zu versorgen, birgt Tücken. Deswegen sollten wir darüber parlamentarisch noch einmal sehr gut nachdenken; denn von den 650 neuen Stellen, die wir im Parlament bewilligt haben, sind momentan 575 besetzt bzw. werden demnächst besetzt. Wenn wir jetzt weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen wollten, müssten diese irgendwoher kommen und würden eine längere Einarbeitungsphase benötigen. Ein entscheidender Punkt, den noch niemand erwähnt hat: Wenn das BAMF entsprechend schnell ist, müssen die Ausländerbehörden in den Ländern und Kommunen das auch umsetzen. Hier würde sich sofort ein neuer Flaschenhals ergeben.

Ich finde, dass wir im Sinne einer effizienten und sinnvollen Flüchtlingspolitik ruhig gemeinsam versuchen sollten, die Koalition zu unterstützen. Seit 2014 ist der Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge und Asylbewerber deutlich erleichtert, und die Residenzpflicht ist gelockert. Der Bund muss verstärkt finanzielle Verantwortung übernehmen und Kommunen bei den durch die Aufnahme von Flüchtlingen entstehenden Kosten entlasten.

Die Politik allgemein ist auf allen drei Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – in der Pflicht, zu informieren; denn nur so gewinnen wir Akzeptanz. Aber die Zivilgesellschaft, die wir auch alle unterstützen sollten, muss Begegnungsmöglichkeiten schaffen; denn nur dadurch wächst das Verständnis.

In meinem Wahlkreis gibt es inzwischen sechs Unterkünfte für Flüchtlinge, und alle werden positiv und engagiert von einer Vielzahl von Menschen begleitet und unterstützt. Das Engagement dieser vielen Menschen verdient Anerkennung, Respekt und unseren Dank. Das hilft nicht nur den ankommenden Flüchtlingen vor Ort, sondern bringt auch eines wohltuend zum Vorschein: Die Unbelehrbaren sind in der Minderheit.

(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD])

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Lassen Sie uns die runden Tische vor Ort stärken und unsere politischen Aufgaben ruhig und sachlich angehen. Ich glaube, unsere Vorstellungen sind gar nicht so weit voneinander entfernt. Ich freue mich auf die Diskussionen mit Ihnen allen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5039589
Wahlperiode 18
Sitzung 103
Tagesordnungspunkt Asylpolitik, finanzielle Verantwortungsteilung
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