07.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 103 / Tagesordnungspunkt 5 + 19a

Dagmar WöhrlCDU/CSU - Asylpolitik, finanzielle Verantwortungsteilung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin nun auch schon seit einigen Jahren im Entwicklungsbereich tätig und somit durchgehend mit dem Thema „Flüchtlinge und Migration“ verbunden. Ich habe viele Flüchtlingslager auf der Welt gesehen und erkannt, dass es immer mehr zu einer Ghettoisierung kommt und dass die Lager immer mehr auf Jahre hinaus angelegt werden. Wie viele andere Kolleginnen und Kollegen auch, habe ich die Hoffnungslosigkeit und das Elend in den Gesichtern dieser Menschen gesehen.

Ein sehr einschneidender Moment war für mich, als im Herbst letzten Jahres in meinem Wahlkreis, in Nürnberg, auf einem Sportplatz das erste Flüchtlingszelt für über 200 Flüchtlinge errichtet worden ist. Ich habe mir das nie vorstellen können. Im Rahmen meiner Aufgaben als Entwicklungspolitikerin konnte ich mir das weit entfernt in der Welt vorstellen, aber auf einmal gab es in meinem Wahlkreis Hunderte Flüchtlinge.

Bei meinem ersten Besuch in einem der Flüchtlingslager – es war der erste von vielen, die ich im Laufe der Wochen danach gemacht habe –, habe ich gemerkt, dass die Vorgänge am Anfang total unkoordiniert abliefen. Die Behörden waren völlig überfordert. Die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge hatten keine Betreuung – weder medizinisch noch psychosozial noch physisch. Es gab viele Ehrenamtliche, die sich dieser Aufgaben dann angenommen haben, und inzwischen sind Gott sei Dank auch die Behörden so weit. Ich glaube, wir sind hier in einem guten Fluss und haben alles gut in die Wege geleitet.

Aber ich habe auch etwas anderes bemerkt: die unwahrscheinliche Hilfsbereitschaft der Bevölkerung vor Ort, der ehrenamtlich Tätigen. Ich glaube, wir wissen, dass die Zahl der Flüchtlinge nicht geringer wird. 630 000 Flüchtlinge gab es im letzten Jahr in Europa. In Deutschland haben sich insgesamt 238 000 aufgehalten. Man schätzt, dass es in diesem Jahr über 400 000 werden. Wir werden das Verständnis der Bevölkerung nur aufrechterhalten können, wenn wir vermitteln, dass unser System gerecht ist.

Diejenigen, die Schutz brauchen, erhalten natürlich Schutz. Für politische Flüchtlinge gibt es keine Obergrenze. Das ist durch unser Grundgesetz geregelt. Es muss aber auch klar sein, dass unser Asylverfahren nicht für diejenigen gedacht ist, die keinen Schutz brauchen und eigentlich nur hierherkommen, um ihre Lebensperspektive zu verändern. Dafür gibt es andere Wege. Der Asylmissbrauch muss hier wirklich massiv bekämpft werden.

Wir haben das Elend vor der syrischen Küste gesehen, die Tausenden Toten, darunter auch Kinder und Frauen. Diese Bilder prägen sich ins Gedächtnis ein, und es gibt große Diskussionen über folgende Fragen: Wie können wir verhindern, dass zukünftig weitere Menschen auf quälende Art und Weise vor unserer Haustüre sterben? Wie können wir die Schleuser besser bekämpfen? Wie können wir es schaffen, dass die Menschen ihre Herkunftsländer nicht verlassen?

Wir sehen: Das Thema Flüchtlinge hat etwas Grenzüberschreitendes. Es betrifft nicht nur Deutschland – den Bund und die Kommunen –, sondern die Europäische Union, die Mitgliedstaaten, die Herkunftsländer und die Transitländer. Es gibt hier nicht nur die eine Lösung. Das müssen wir wissen, und das müssen wir auch eingestehen. Dafür ist das Thema viel zu komplex, zu vielschichtig und zu ideologisiert. Das heißt, wir müssen uns zu einer Gesamtbetrachtung dieses Themas zwingen.

Wir wissen: Der Großteil der Flüchtlinge kommt aus Krisen- bzw. Kriegsgebieten, zum Beispiel aus dem Irak oder aus Syrien, wo es ums Überleben geht. Es kommen Hebräer, Somalier, Nigerianer, die durch Boko Haram oder die Taliban bedroht werden. Das sind nur einige Beispiele, die ich in die Diskussion hier einbringen möchte.

Wir wissen aber auch, dass der Schlüssel zur Eindämmung der Flüchtlingsströme in den Herkunftsländern liegt. Es ist aber so einfach gesagt, dass Fluchtursachen bekämpft werden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit tun wir hier unser Möglichstes. Wir versuchen, dort rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen und die Lebensperspektiven zu verbessern. Aber alles, was wir machen können, ist im Grunde genommen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist sicherlich richtig, dass wir helfen, ein duales Ausbildungssystem aufzubauen. Aber wir müssen zukünftig viel mehr Krisenprävention betreiben.

Wir wissen, dass in Konfliktgebieten eine dauerhafte Stabilisierung nicht von außen erreicht werden kann. Wir sind hier nicht die hauptsächlichen Akteure, die gefragt sind. Vielmehr müssen die betreffenden Länder eine eigene Dynamik entfalten. Sie müssen selbst rechtsstaatliche Institutionen aufbauen, um eine Rechtsordnung zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang frage ich mich: Was ist mit der Afrikanischen Union, dem Pendant zur Europäischen Union? Warum schweigt sie zu diesen Themen? Warum zeigt sie nur mit dem Finger auf Europa und stellt die Frage, warum wir Flüchtlinge ertrinken lassen? Was macht die Afrikanische Union selbst? Wie wirkt sie auf die Herrschenden und Regierenden in den Herkunftsländern der Flüchtlinge ein? Was tut sie, damit die Eliten in den afrikanischen Ländern in die Pflicht genommen werden? Afrika ist ein ressourcenreiches Land. Aber die Ressourcen sind falsch verteilt. Gegen die Gleichgültigkeit der Eliten in den afrikanischen Ländern gegenüber dem armen Bevölkerungsteil muss etwas getan werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Rahmen unserer Außenpolitik dürfen wir den Dialog mit den Eliten und den Regierenden in den betreffenden Ländern nicht abbrechen. Vielmehr müssen wir den Dialog zwischen der Europäischen Union und der Afrikanischen Union noch intensivieren.

Es ist wichtig, Asylanlaufstellen in den betreffenden Herkunfts- und Transitländern zu schaffen. Ich spreche nicht von Asylbewerberaufnahmezentren, sondern von Asylanlaufstellen, bei denen sich Menschen, die beabsichtigen, ihr Heimatland zu verlassen, Informationen holen können: Habe ich überhaupt eine Chance auf Asyl, wenn ich mein Leben aufs Spiel setze, wenn ich meine Familie, wenn ich meine Kinder verlasse? Solche Anlaufstellen können natürlich nur in stabilen Rechtsstaaten eingerichtet werden. In Libyen oder in Syrien ist das auf absehbare Zeit nicht möglich. Aber wir sollten zusammen mit dem UNHCR solche Asylanlaufstellen auf den Weg bringen.

Zu Recht wurde angesprochen: Ein großes Problem sind die Asylsuchenden vom Balkan. Wenn wir sehen, dass allein in den ersten drei Monaten von insgesamt 88 000 Asylanträgen 44 000 von Menschen aus den Westbalkanländern gestellt wurden – die Anerkennungsquote bei diesen Menschen liegt bei gerade einmal 0,1 Prozent –, dann wissen wir, dass es richtig war, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Aber kaum nimmt die Anzahl der Anträge von Menschen aus diesen Ländern ab, steigt die Zahl der Anträge von Menschen aus dem Kosovo und aus Albanien. Innerhalb von acht Wochen wurden allein 28 000 Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo gestellt. Viele dieser Menschen sagen ganz offen, dass sie hier bei uns Arbeit suchen. Das heißt, sie sind keine politisch Verfolgten. Wir müssen diesen Menschen sagen, dass es dann falsch ist, hier einen Asylantrag zu stellen. Wir müssen Informationskampagnen in den Balkanländern durchführen, um die Menschen aufzuklären: Du wirst keine Chance haben, in Deutschland Asyl zu bekommen. Du hast vielleicht eine Chance, eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen. Aber das solltest du erst erfragen, bevor du dich auf den Weg machst.

Es ist bekannt, dass ich die Abschottungspolitik der Europäischen Union als nicht zielführend und erfolgreich ansehe. Wir sollten aufgrund unserer Geschichte wissen: Mauern zu errichten, hat noch nie langfristig tragbare Lösungen gebracht. – Wir brauchen einen anderen Verteilungsschlüssel in Europa. Ich glaube, darüber besteht im ganzen Haus Konsens. Wir müssen auch die gesamte Flüchtlingshilfe überdenken. Mit den jetzigen Gegebenheiten haben wir in der Vergangenheit nicht gerechnet. Wir brauchen neue Strukturen. Leider sieht es momentan nicht so aus, dass wir zu einem neuen Verteilungssystem in Europa kommen; das müssen wir ehrlich zugeben. Zwar wird am 13. Mai der neue Migrationsbericht vorgelegt. Aber solange sich Großbritannien weigert, zuzugestehen, dass es sich hier nicht um eine nationale, sondern um eine europäische Aufgabe handelt, werden wir hier zu keiner Lösung kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich hoffe, dass in dem Zusammenhang irgendwann ein Konsens und auch die Solidarität aller Mitgliedstaaten gegeben sein werden.

Ich wünsche dem Asylgipfel morgen viel Erfolg. Es wird um Geld gehen – das ist ganz klar –, aber Geld ist nicht alles. Wie gesagt, wir müssen in diesem Zusammenhang die Strukturen angehen. Wir müssen auch sehen, wie wir mit den vielen jungen, minderjährigen Flüchtlingen umgehen. Es sind inzwischen 70 000, die sich hier in Deutschland aufhalten. In Bayern sind es allein 4 000 neue unbegleitete Flüchtlinge. Bei ihnen hat die Flucht andere Ursachen.

Frau Kollegin Wöhrl, kommen Sie bitte zum Schluss.

Sie haben andere Fluchtgründe als Erwachsene. Deswegen brauchen wir auch Richtlinien für Kinder im Asylverfahren, damit sie nicht wie Erwachsene behandelt werden. Sie sind traumatisiert, sie sind vergewaltigt worden, sie waren Kindersoldaten und vieles mehr. In diesem Sinne haben wir noch große Aufgaben vor uns. Es sind viele Herausforderungen. Ich hoffe, dass wir sie gemeinsam im ganzen Hause im Sinne der vielen Flüchtlinge und der vielen Hilfsbedürftigen lösen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Rüdiger Veit, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5039603
Wahlperiode 18
Sitzung 103
Tagesordnungspunkt Asylpolitik, finanzielle Verantwortungsteilung
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