Rüdiger VeitSPD - Asylpolitik, finanzielle Verantwortungsteilung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich habe meine eigene Meinung zu der Frage, ob es zweckmäßig und sinnvoll gewesen wäre, zu dem morgigen Gipfel im Kanzleramt Vertreter der Kommunen einzuladen. Ich fasse das einmal in die Worte des Präsidenten des Deutschen Städtetages, Ulrich Maly, der heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und auch zu uns gesagt hat: Ich weiß nicht, was dabei herauskommt. Ich bin nicht dabei. Die Kommunen sitzen nicht mit am Tisch. Das ist der Hit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht kommt trotzdem etwas dabei heraus. Vielleicht unterscheidet sich dieser Gipfel dann von manch anderem, der in der Vergangenheit stattgefunden hat. Schon aus Rücksicht auf die Koalition ist mir eine weitere Würdigung der Vergangenheit nicht erlaubt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)
Aber meine Hoffnung richtet sich auf die Zukunft. Hier reden wir in der Tat nicht nur von Geld. So ist beispielsweise die Frage der sicheren Drittstaaten angesprochen worden. Ich will versuchen, dies noch ein bisschen deutlicher zu zeichnen. Wir haben – das müssen wir Sozialdemokraten zugestehen – drei Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Was ist in der Zwischenzeit geschehen, nachdem dies Gesetz geworden ist?
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts!)
Die Anzahl der Flüchtlinge von dort hat sich um 27 Prozent reduziert. Das ist nicht wenig. Das ist aber auch nicht so dramatisch viel, wie es diejenigen, die das gefordert haben, gedacht haben mögen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dagegen setze ich die Entwicklung der Anzahl der Flüchtlinge aus dem Kosovo. Die Zahl ist von Lars Castellucci genannt worden: Wir hatten mehr als 1 000, fast 1 500 Flüchtlinge am Tag. Jetzt haben wir vielleicht noch 40 oder 60, ohne dass es sich um einen sicheren Herkunftsstaat gehandelt hat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Warum? Weil die Verfahren intensiviert und beschleunigt worden sind, weil vor allen Dingen durch eine intensive Aufklärungsarbeit, auch im Kosovo selbst, den Menschen die Illusion genommen worden ist, alles sei ganz wunderbar und man müsse sich nur nach Deutschland auf den Weg machen. Von daher ist das ein ganz wichtiger Fingerzeig, wie man auch in Zukunft solche Migrationsbewegungen steuern bzw. ein bisschen beeinflussen kann, ohne deswegen etwas am Gesetz zu ändern;
(Beifall bei der SPD)
ganz abgesehen davon, dass es dafür wahrscheinlich noch weniger eine Mehrheit im Bundesrat zu erwarten gibt, als es bei dem anderen Vorgang der Fall war.
Lassen Sie mich zu den Gemeinsamkeiten der Anträge der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen kommen. Dort sind einige Elemente, über die man reden muss. Darüber werden wir auch mit unserem Koalitionspartner sprechen. Dazu gehört etwa das Abschneiden des alten Zopfes der Widerrufsverfahren bei bereits gewährtem Asyl. Das wirft die Frage auf, wozu das Ganze noch gut ist. Dazu gehört im Übrigen auch – es steht auf der Tagesordnung – die Frage eines gesicherten Aufenthaltes für die Zeit einer Berufsausbildung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Vorstoß der drei Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, Malu Dreyer und Volker Bouffier ging noch ein bisschen weiter. Sie haben gesagt, es wäre wünschenswert und notwendig, wenn die dann Ausgebildeten auch in der Lage wären, in Deutschland für die Dauer von zwei Jahren eine ihrer Ausbildung entsprechende Tätigkeit auszuüben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Darüber reden wir zurzeit mit unserem Koalitionspartner. Wir sind dabei, Überzeugungsarbeit zu leisten.
In der Koalitionsvereinbarung steht, dass wir gemeinsam mit den Ländern dafür sorgen wollen, dass auch den Asylbewerbern frühestmöglich Sprachangebote unterbreitet werden. Wir hoffen, dass wir in der Koalition diesbezüglich zu Ergebnissen kommen und demnächst – ich denke an eine Perspektive von vier bis acht Wochen – einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten können.
Lassen Sie mich zum Schluss auf die Frage nach dem Geld zu sprechen kommen. Diesbezüglich gibt es Differenzen zwischen uns und unserem Koalitionspartner. Ich hoffe, sagen zu können, dass es diese Differenz jetzt zwar noch gibt, sie aber überwunden werden kann. Vielleicht kommt man auf dem Gipfel ja zu anderen Ergebnissen. Ich persönlich und der Großteil der SPD-Fraktion – um das klar zu sagen: nicht nur das Präsidium der SPD – stehen auf dem Standpunkt, dass die Übernahme der Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern eine staatliche Aufgabe ist. Die konkreten Leistungen – Integration, Aufnahme, Betreuung – sind Sache der Kommunen; wir dürfen sie mit den Belastungen, die sich daraus ergeben, aber nicht im Regen stehen lassen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen etwas aus meiner kommunalen Vergangenheit erzählen. Zu Beginn der 90er-Jahre, als die Flüchtlingszahlen besonders hoch waren, war ich Landrat in Gießen. Wir haben, jedenfalls in meiner Amtszeit, immer, soweit als möglich, auf eine dezentrale Unterbringung gesetzt. Das Land Hessen hat uns damals nach Spitzabrechnung die entstandenen Kosten zu 100 Prozent erstattet. Das wurde dem Land Hessen aber zu teuer. Das Land Hessen hat gesagt: Wir geben jetzt nur noch eine Pauschale. Im ersten Jahr nach Einführung der Pauschale, nach Einführung dieser Art der Erstattung und Abrechnung stand meine Kreiskasse um 900 000 D-Mark – damals waren es noch D-Mark – besser da, weil die dezentrale Unterbringung, vorwiegend in Wohnungen, wesentlich billiger war als die teure Unterbringung in großen Gemeinschaftsunterkünften. Das muss man einmal sagen.
Der Unterschied zu damals ist folgender – deswegen erwähne ich dieses Beispiel –: Damals hatten wir in der Bevölkerung eine geringe Akzeptanz für die Aufnahme von Flüchtlingen und Zuwanderern generell. Als Kommunen hatten wir aber wenigstens das Geld dafür. Heute haben wir, was erfreulich ist und wofür wir dankbar sind, in unserer gesamten Bevölkerung eine weitgehende Akzeptanz für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland, aber die Kommunen haben kein Geld mehr dafür. Es gibt einige Bundesländer, die den Kommunen 100 Prozent der Kosten erstatten. Es gibt aber auch andere, die nur 30 Prozent oder knapp unter oder knapp über 50 Prozent der Kosten erstatten. Das muss sich ändern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich sage es noch einmal: Die Übernahme dieser Kosten ist eine staatliche Aufgabe. Der Bund ist gefordert. Ich hoffe, dass wir auf dem Gipfel morgen zu entsprechenden Ergebnissen kommen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5039604 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 103 |
Tagesordnungspunkt | Asylpolitik, finanzielle Verantwortungsteilung |