Anita SchäferCDU/CSU - Völkermord in Ruanda - Historische Aufarbeitung
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem bereits so viel über die deutsche Politik zur Zeit des Völkermords in Ruanda gesprochen wurde, möchte ich die heutige Debatte um einen Blickwinkel aus diesem Land selbst ergänzen. Kürzlich hatte ich als Vorsitzende der Parlamentariergruppe Östliches Afrika die Gelegenheit, im Rahmen einer Delegationsreise in die Region auch Ruanda zu besuchen. Ein besonderer Schwerpunkt waren dabei natürlich die Lehren, die aus dem Völkermord gezogen wurden. Am beeindruckendsten war der Besuch der Genozidhauptgedenkstätte in Gisozi bei Kigali, wo ich stellvertretend für die gesamte Delegation einen Kranz am Grab von über 250 000 Opfern des Völkermordes niederlegte. Die Ereignisse von 1990 bis 1994 spielen aber bis heute in jedem gesellschaftlichen Bereich, in jeder politischen Facette des Landes eine Rolle. Bei diesem Aufarbeitungsprozess hat Ruanda bewundernswerte Erfolge erzielt, ganz besonders, wenn man bedenkt, dass bis heute Gefahren aus dem benachbarten Kongo drohen, wohin sich Teile der damaligen Hutu- Milizen zurückgezogen haben.
Bei unserem Besuch hatten wir auch die Möglichkeit, ein Demobilisierungslager für ehemalige Kämpfer zu besuchen, eines der weltweit wenigen Beispiele für ein erfolgreiches Demobilisierungsprogramm, finanziert durch die Weltbank. Dort werden ehemalige Angehörige der Rebellengruppe FDLR, der sogenannten Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas, demobilisiert und auf ihre Reintegration in das Zivilleben vorbereitet, ebenso wie Exkämpfer anderer Gruppen und ehemalige Kindersoldaten, insgesamt etwa 12 000 seit Dezember 2001. Die Erfolgsquote liegt bisher bei insgesamt 86 Prozent.
Bei diesem und allen anderen Programmpunkten ist unsere Delegation von hochrangigen Vertretern von Staat und Gesellschaft sehr herzlich aufgenommen worden. Sie haben uns den Versöhnungsprozess vor dem Hintergrund der ruandischen Geschichte erläutert. Erfolge in diesem Prozess sind demnach keinesfalls Selbstläufer gewesen. Im Gegenteil: Alle Beobachter hätten 1994 eine fortgesetzte Spaltung und Instabilität des Landes vorhergesagt. Ruanda sei aber erfreulicherweise der seltene Fall, in dem sich die Realität besser entwickelt habe als die Prognose. Aufbauend auf einem politischen Konsens zwischen den Tutsi und den gemäßigten Hutu-Eliten habe man eine gewollte Politik des Ausgleichs, der Versöhnung, der Inklusivität, der Machtteilhabe und der Gerechtigkeit durchgesetzt. Ziel sei eine gemeinsame nationale Identität aller Ruander, bei der die Zugehörigkeit zur Gruppe der Hutu oder der Tutsi keine Rolle mehr spielt. So weit die ruandische Selbstbetrachtung.
Zugleich wurden die Beziehungen zu Deutschland und die deutschen Bemühungen um eine Aufarbeitung der Vorgänge aus den 1990er-Jahren sehr gelobt. So hat Senatspräsident Bernard Makuza uns gegenüber vor allem den Wunsch nach einer Verstärkung des Austausches und der Zusammenarbeit unserer beiden Parlamente geäußert. Als sehr junge Demokratie, deren Verfassung erst 2003 beschlossen wurde, wolle man ausdrücklich von den deutschen Erfahrungen im Versöhnungs- und Aufbauprozess nach Krieg und Wiedervereinigung lernen. Besondere Anerkennung fanden auch die Bewertung der FDLR als terroristische Organisation und das Vorgehen der deutschen Justiz gegen ihre Führungskader. So hatten die Verhaftung und das Gerichtsverfahren gegen die zwei FDLR-Anführer in Deutschland 2009 erhebliche Auswirkungen auf die Kampfmoral der Rebellen, von denen sich anschließend viele ergaben.
Als Rheinland-Pfälzerin hat mich zudem das große Lob für die langjährige Entwicklungszusammenarbeit mit dem Partnerland Rheinland-Pfalz auf deutscher Seite sehr gefreut. Ich denke, alle Delegationsmitglieder können bestätigen, dass von ruandischer Seite uns gegenüber keinerlei Kritik an der Politik Deutschlands, damals oder heute, geäußert wurde. Wenn man den Antrag der Opposition liest, könnte man allerdings meinen, dass hier große Versäumnisse aufzuarbeiten wären. Dieser Bewertung kann ich mich nicht anschließen.
Deutschland hat aus dem Völkermord in Ruanda und aus anderen Ereignissen der vergangenen beiden Jahrzehnte Konsequenzen gezogen. Zusätzlich zu dem, was der Kollege Heinrich vorhin schon erwähnt hat, gelten seit 2012 ressortübergreifende Leitlinien für eine kohärente Politik der Bundesregierung gegenüber fragilen Staaten. Ein Austausch erfolgt nicht nur zwischen den zuständigen Ministerien, sondern auch mit Nichtregierungsorganisationen, etwa im Rahmen länderbezogener runder Tische. Auch in der Frage militärischer Einsätze zur Konfliktverhütung haben die Lehren aus den Gräueltaten in Ruanda und anderswo Folgen für die deutsche Politik gehabt.
Vor fast genau einem Jahr haben wir hier im Bundestag über die Beteiligung der Bundeswehr an der EU-Übergangsmission in der Zentralafrikanischen Republik abgestimmt. Das Beispiel Ruanda, dessen Wiederholung es zu verhindern gelte, wurde damals von vielen Rednern genannt. Auch ich habe damals darauf hingewiesen, dass uns die Gefahr eines neuen Genozids in Afrika nicht egal sein könne. Mancher hat trotzdem gegen einen Militäreinsatz argumentiert, aber letztlich haben wir im Bewusstsein der Geschichte mit übergroßer Mehrheit zugestimmt. Daneben hat es natürlich auch eine wissenschaftliche Befassung mit der deutschen Ruanda-Politik der 1990er-Jahre gegeben, ohne dass die Wissenschaft dazu Vorgaben der Bundesregierung oder Anträge der Opposition gebraucht hätte.
Bis heute drückt sich die enge Verbindung zwischen Deutschland und Ruanda in der bilateralen Beziehung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit aus. Die Lehren, die es aus der Zeit des Völkermordes zu ziehen galt, sind in beiden Ländern gezogen worden und werden angewandt. Unser Blick muss nun nach vorne, auf die Gegenwart und die Zukunft, gerichtet sein, um Ruanda weiterhin auf seinem Weg zu Frieden, Versöhnung und Stabilität zu unterstützen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dr. Karamba Diaby, SPD.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5040120 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 103 |
Tagesordnungspunkt | Völkermord in Ruanda - Historische Aufarbeitung |