07.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 103 / Tagesordnungspunkt 10

Alexandra Dinges-DierigCDU/CSU - Arbeit in der Wissenschaft

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Gohlke, ich versuche jetzt einmal, das Thema mehr in Gänze zu erfassen. Erst einmal vielen Dank, dass Sie den Antrag gestellt haben; denn er gibt uns die Möglichkeit, hier und heute dieses für den Standort Deutschland so wichtige Thema anzudebattieren. Es wird nicht die letzte Debatte sein, das wissen wir; denn wir stehen, wenn es darum geht, etwas mehr zu tun, erst am Anfang unserer Überlegungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb finde ich es gut, dass wir das jetzt hier am Anfang debattieren.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war nicht die erste Debatte! Wir diskutieren das seit zwei Legislaturperioden!)

Was mich in Ihrem Antrag ein bisschen erschreckt hat, war Folgendes: Wenn wir alles, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben, morgen umsetzen würden, dann würde sich das gesamte Wissenschaftssystem auf einen Schlag verändern, aber leider nicht zum Guten, sondern zum Schlechten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich würde das ganz gerne an einigen Beispielen – neun Minuten sind zwar lange, aber doch wiederum nicht so lange – erklären. Zunächst zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Sie fordern in Ihrem Antrag eine Vertragslaufzeit von 24 Monaten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Qualifizierungsphase ohne unbürokratische Ausnahmen. Sie fordern weiterhin – das hat mich dann doch ein bisschen zum Durchschnaufen gebracht – tatsächlich die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, die wir jetzt in einem Zeitraum von 12 oder auch 15 Jahren haben, aber eingeschränkt nach bestimmten Kriterien. Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet, wenn Sie das in der Gesamtheit betrachten?

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das bedeutet Lebensperspektive!)

Wenn ein junger Wissenschaftler oder eine junge Wissenschaftlerin seine bzw. ihre Promotion nicht in der Regelzeit abschließt und der Vertrag ausläuft, dann dürfte er bzw. sie in Zukunft nicht so einfach eine Verlängerung bekommen. Nur weil sich die Promotion verzögert, aus welchen Gründen auch immer, befinden sich diese jungen Wissenschaftler in einer völlig unsicheren Position. Und dann könnte es ja auch noch sein, dass irgendwann eine Anschlussbeschäftigung – sogar eine unbefristete – in Aussicht steht, zwischen der Promotionszeit und dem Beginn der unbefristeten Beschäftigung aber ein Loch entsteht. Für diesen Fall gibt es jetzt Überbrückungsverträge. Die wären nach Ihrem Modell nicht mehr möglich, die wären dann alle obsolet. Das geht nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Der nächste Punkt, den Sie fordern – immer noch in Verbindung mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz –: Sie wollen, dass mit ein und demselben Arbeitgeber nur noch zwei aufeinanderfolgende Verträge abgeschlossen werden dürfen. Das heißt also: Wenn jemand als Postdoc einen Vertrag hat und schon eine Verlängerung bekommen hat, wäre es für ihn nicht mehr möglich, für seine Universität Drittmittel einzuwerben, weil er selber keine Chance mehr hätte, einen Anschlussvertrag zu bekommen; denn das wäre der dritte Vertrag, und das wollen Sie verhindern.

Jetzt frage ich Sie: Wir wollen doch, dass die jungen Wissenschaftler aus eigenem Antrieb heraus, mit eigenen Perspektiven ihre eigenen Forschungsprojekte umsetzen. Das würden Sie mit den Regelungen, die Sie vorschlagen, verhindern. Das lassen wir nicht zu.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Diese jungen Wissenschaftler, diese jungen Wissenschaftlerinnen müssten sich einen neuen Arbeitgeber suchen, müssten vielleicht den Ort wechseln, vielleicht haben sie inzwischen Familie; alles müsste umgemodelt werden. Ich denke, das ist kein Qualitätskriterium für gute Wissenschaft, sondern vernichtet Innovation und Wissenschaft.

Die von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen sind strikt. Sie sagen ja ganz deutlich, dass Sie Flexibilität vermeiden wollen. Das bedeutet aber auch einen Abbau der Zuverlässigkeit, weil Starrheit keine Zuverlässigkeit bedeutet, sondern genau das Gegenteil.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Ziel, das Ziel der CDU/CSU – ich bin ganz sicher, den Koalitionspartner hier an meiner Seite zu wissen –, ist dagegen, mit der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes die Qualifizierung des jungen Wissenschaftlers oder der jungen Wissenschaftlerin in den Mittelpunkt unserer Überlegungen zu stellen und den hierfür erforderlichen Zeitbedarf mit einem zeitlich passenden Arbeitsvertrag zusammenzubinden. Das sind unbürokratische und vertrauensvolle Verfahren, auf die jeder aufbauen kann, weil jeder genau weiß, was es zu erfüllen gilt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

So entsteht in meinen Augen Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit.

Meine Damen und Herren, als wenn das nicht genug wäre, haben Sie, abgesehen von diesen Änderungen am Wissenschaftszeitvertragsgesetz, auch noch andere „Anregungen“ – das war Ihr Wort vorhin – gebracht.

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Gute Anregungen!)

– Sie hatten gesagt: „gute Anregungen“, richtig.

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das darf man nicht vergessen!)

Über diese „guten Anregungen“ und „gute Arbeit“ würde ich jetzt gerne mit Ihnen streiten. In meinen Augen legen Sie die Axt an das gesamte System unserer Wissenschaft. Sie wollen die Spitzenforschung abschaffen; das sagen Sie wörtlich.

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ich will eine Ausfinanzierung!)

– Lassen Sie doch einmal das Geld weg; wir sprechen hier von Qualität.

(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])

Sie wollen die Spitzenforschung abschaffen, Forschungseinrichtungen gängeln, Sie wollen das Grundgesetz uminterpretieren – man könnte auch sagen: aushöhlen –, indem Sie Verantwortlichkeiten von den Ländern zum Bund verschieben. Sie sägen damit an der Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Ist Ihnen das eigentlich bewusst? Ich glaube, nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie fordern eine gemeinsame Finanzierung. Ich bin ja bei Ihnen, dass wir als Bund auch etwas tun können. Sie könnten bei dieser Gelegenheit aber auch ruhig einmal ansprechen, dass für diesen Bereich die Länder die Hauptverantwortung tragen. In der Frage, wer was zu tun hat, haben wir eine ganz klare Zuordnung, und bei der sollte es auch bleiben. Unser Föderalismus hat sich bewährt: Wir stehen an der Wissenschaftsspitze, wir sind unter den Top Five der Wissenschaft auf der gesamten Welt. Die Arbeitsteilung, die wir bei uns haben, kann also so schlecht nicht sein. Deshalb sollten wir daran auch festhalten.

Dennoch muss – das ist überhaupt keine Frage – der Bund auch steuern können. Die Frage ist nur, wie. Darüber können wir streiten. Auf jeden Fall sollte er steuern können in den Dingen, wo es um die gesamte Gesellschaft oder um ein überregionales Interesse geht.

Ich denke jetzt einmal an etwas, was uns letztes Jahr doch sehr beschäftigt hat. Es gab eine große Herausforderung für die gesamte Welt: Wir waren plötzlich konfrontiert mit einem großen Ausbruch von Ebola. Ebola ist keine neue Krankheit – wir kannten sie –, aber in diesem Maße wohl kaum. Jetzt war die Frage: Wie gehen wir vor? Welche Rolle spielt hier die Wissenschaft? Da muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Im Moment hat der Bund die Fähigkeit, zu lenken. Wir haben die Möglichkeit, kurzfristig – über die Projektförderung des Bundes – Gelder für die Bewältigung solcher Herausforderungen einzusetzen. Die Projektförderung wollen Sie aber abschaffen. Gleichzeitig wollen Sie auch noch die Förderung exzellenter Forschung abschaffen. Das heißt, wir hätten in Zukunft gar keine Wissenschaftscluster zur Verfügung, die sich schon mit solchen Erkrankungen weltweit beschäftigt haben und denen wir sagen könnten: Im Rahmen einer Projektförderung bekommt ihr zusätzliches Geld. Seht einmal zu, ob ihr in kurzer Zeit Impfstoffe und Ähnliches entwickeln könnt! – Wenn die gesamte Grundlage wegbricht, so wie Sie es in Ihrem Antrag beschrieben haben, werden wir auf die Herausforderungen in unserer Gesellschaft nicht mehr reagieren können. Deshalb ist das für mich keine gute Anregung, sondern eine schlechte Anregung.

Meine Damen und Herren, wir haben einen Antrag vorliegen, in dem ich an verschiedenen Stellen inhaltliche Widersprüche finde; ich will das nicht noch einmal aufmachen. Wir finden Gleichmacherei statt Spitzenforschung und Innovation. Die Rolle der Wissenschaft in Ihrem Antrag ist mir nicht klar. Die qualitativen Verbesserungen, die uns wirklich weiterhelfen, habe ich bei Ihnen vergeblich gesucht. Ich habe den Antrag von vorne bis hinten und noch einmal von hinten bis vorne gelesen. Es gibt überhaupt keine Ansatzpunkte für qualitative Verbesserungen, und das ist schlecht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses breiter aufstellen. Bundesministerin Johanna Wanka hat mit ihrem Programm eines früheren Einstiegs in unbefristete Beschäftigung einen wichtigen Schritt getan. Wir werden das umsetzen. Wir werden unser Wissenschaftssystem dazu nicht auf den Kopf stellen; denn wir wissen, dass qualitätsfördernde Konzepte uns weiterbringen.

Wissenschaft verändert sich von innen heraus. Wissenschaft verändert sich vor allem nur dann nachhaltig, wenn sie Impulse und verbesserte Rahmenbedingungen bekommt und mit ihren eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neue Karrierewege umsetzen kann. Die Wissenschaft wird jedoch verkümmern, wenn Sie all das, was erfolgreich ist, beseitigen. Das gefährdet unseren Wissenschaftsstandort Deutschland, und das werden wir vonseiten der CDU/CSU nicht zulassen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Kollege Kai Gehring hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5040344
Wahlperiode 18
Sitzung 103
Tagesordnungspunkt Arbeit in der Wissenschaft
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