Thomas SilberhornCDU/CSU - Deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2010/2013
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anzahl der langanhaltenden Krisen und Katastrophen, mit denen sich die internationale Gemeinschaft konfrontiert sieht, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Wir haben es mit zahlreichen Krisen, Konflikten und Katastrophen gleichzeitig zu tun: jüngst das Erdbeben in Nepal, die Konflikte in Mali, im Südsudan und in Zentralafrika, die Ebolaepidemie in Westafrika, die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, in Syrien, im Irak und in Gaza oder in der Ukraine, direkt vor unserer Haustür.
Diese Konflikte und Katastrophen rücken näher an uns heran, und immer mehr Menschen sind davon betroffen. Viele sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Etwa 57 Millionen Flüchtlinge sind derzeit beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen registriert. Das ist die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht belegt, dass wir erhebliche Anstrengungen unternehmen, um direkt, schnell und effektiv Not und Leid zu lindern. Gleichzeitig arbeiten wir mit vielen Partnern daran, den Teufelskreis von Krisen zu durchbrechen und die Ursachen von Armut und Hunger sowie von Gewalt zu bekämpfen. Dazu nutzen wir von Anfang an alle Instrumente, die uns zur Verfügung stehen: humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Beide stehen nicht nebeneinander. Wir wenden sie nicht nacheinander an, sondern humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit müssen ineinandergreifen.
(Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Wir leisten also nicht erst humanitäre Hilfe und machen dann Entwicklungszusammenarbeit, sondern wir müssen von Beginn an beides zusammen denken und zusammen praktizieren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])
Vor vier Jahren – Kollege Strässer, Sie haben das aufgeführt – haben wir gemeinsam beschlossen, die Not- und Nahrungsmittelhilfe vom BMZ an das AA zu verlagern. Das verlangt von uns eine intensive und effiziente Koordinierung und Zusammenarbeit. Ich denke, wir können feststellen, dass das auch geleistet wird. Die Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt funktioniert sehr gut. Das ist auch notwendig; denn humanitäre Hilfe, Übergangshilfe und Entwicklungszusammenarbeit sind ja oftmals in denselben Regionen tätig. In Krisenländern arbeiten wir auch mit denselben Partnern zusammen, zum Beispiel mit dem Welternährungsprogramm, mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, und natürlich mit vielen Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland.
Auch finanziell teilen wir unsere Verantwortung. Für die Opfer der Krise in Syrien haben wir seitens der Bundesregierung fast 1 Milliarde Euro bereitgestellt, davon fast die Hälfte aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Für die Ukraine hat unser Ministerium im vergangenen Jahr sogar zwei Drittel der Unterstützung der Bundesregierung übernommen.
Meine Damen und Herren, 1,5 Milliarden Menschen leben in Ländern, die von Gewalt und Konflikten betroffen sind. Das ist über die Hälfte der Kooperationsländer des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dabei ist von Belang, dass die sozialen und die ökonomischen Kosten von Katastrophen und Kriegen enorm sind und die Auswirkungen oft erst über Generationen hinweg aufgeholt werden können. Oft wird innerhalb weniger Tage kaputtgemacht, was zuvor über Jahre hinweg mühsam aufgebaut worden ist. Oft werden Länder um Jahre und Jahrzehnte zurückgeworfen.
Das Auswärtige Amt leistet Enormes mit der humanitären Hilfe; aber die Entwicklungszusammenarbeit darf nicht zum Reparaturbetrieb werden. Wir müssen schon vorher – und nicht nur nach Krisen – handeln. Wir müssen vorher darauf hinwirken, die Eskalation von Gewalt zu verhindern und dass die Auswirkungen von Epidemien und Naturkatastrophen vermieden oder zumindest abgemildert werden können. Deswegen wollen wir mit der Entwicklungszusammenarbeit die Ursachen von Konflikten und Katastrophen überwinden. Wir investieren jedes Jahr fast eine halbe Milliarde Euro direkt in Friedensförderung und Konfliktprävention. Auch werden wir unsere Maßnahmen zur Reduzierung von Katastrophenrisiken schrittweise ausbauen.
Meine Damen und Herren, im schlimmsten Fall ist nach der Krise vor der Krise. Wir müssen leider feststellen, dass nach der Beendigung eines Bürgerkrieges fast die Hälfte der davon betroffenen Länder innerhalb von zehn Jahren wieder in gewaltsame Konflikte zurückfällt. Das ist der Teufelskreis, den wir überwinden bzw. durchbrechen müssen. Deshalb müssen wir nach Krisen bereits zu einem frühen Zeitpunkt über die humanitäre Hilfe hinaus mittelfristige Übergangshilfen zur Verfügung stellen und an den langfristigen Wiederaufbau denken.
Menschen, die auf der Flucht sind, aber auch die Gemeinden in angrenzenden Staaten, die Flüchtlinge aufnehmen, brauchen eine Perspektive. Neben Nahrung und Unterkunft, die die humanitäre Hilfe sofort bereitstellt, geht es auch um Gesundheit, um Wasser- und Sanitärversorgung sowie um Bildung. Denken Sie beispielsweise an die Millionen von Minderjährigen, die aus Syrien geflohen sind und jetzt im vierten Jahr dieses Konflikts keine Schulbildung genießen können. Da werden schon wieder die Grundlagen für den nächsten Konflikt gelegt, wenn wir jetzt nicht handeln. Deswegen müssen wir diese mittel- und langfristigen Perspektiven frühzeitig ins Auge fassen und dafür sorgen, dass Chancen für die Bevölkerung entstehen, die von Konflikten betroffen ist.
Wir müssen die Menschen selbst, die Gesellschaften und die Institutionen so stärken, dass sie gegen gewaltsame Auseinandersetzungen und Naturkatastrophen besser gewappnet sind. Wenn dann die nächste Krise kommt, soll sie besser bewältigt werden können. Dazu ist eine Menge notwendig. Dazu muss eine Basisinfrastruktur geschaffen werden, damit die Grundbedürfnisse der Bevölkerung gestillt werden können. Dazu müssen wir mit unseren Entwicklungspartnern darauf hinwirken, dass die Menschen ein Auskommen haben und dass sie ihre Familie ernähren können.
Aber wir müssen vor allem auch dazu beitragen, dass überall auf der Welt Politiker agieren, die sich am Gemeinwohl orientieren und nicht nur an die eigene Zukunft denken. Deswegen brauchen wir eine unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit funktionierende Verwaltung, die nach Recht und Gesetz arbeitet, eine unabhängige Justiz und freie Medien. Je besser das gewährleistet werden kann, desto eher kann sich ein Land entwickeln. Dann kann es auch nach Konflikten zu Dialog und Aussöhnung kommen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die Übergangshilfe unseres Hauses, die ich angesprochen habe, soll die Lücke zwischen der humanitären Soforthilfe des Auswärtigen Amtes und der längerfristig angelegten Entwicklungszusammenarbeit schließen; denn es gibt Regionen, in denen wir mit den klassischen Instrumenten der technischen und finanziellen Zusammenarbeit nicht mehr oder noch nicht arbeiten können. Da wird diese Übergangshilfe relevant, die schnell sichtbar ist und mit der der Grundstein für längerfristige Arbeit gelegt werden soll. Wir unterstützen beispielsweise die Flüchtlinge aufnehmenden Gemeinden im Nordirak durch den Aufbau von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen und durch Hilfen für die traumatisierten Opfer von Terror und Gewalt in dieser Region.
Wir wollen diese Möglichkeiten der Übergangshilfe ausbauen. Wir reagieren damit auch auf die aktuellen Krisen im Nahen Osten, in Westafrika und in der Ukraine mit einem neuen Infrastrukturprogramm. Damit wollen wir kurzfristige Maßnahmen wie die Schaffung von Unterkünften für Flüchtlinge mit mittelfristigen Maßnahmen kombinieren, zum Beispiel mit dem Aufbau von Berufsbildungszentren.
Wir haben aus der Ebolaepidemie gelernt, dass wir ein gutes Frühwarnsystem benötigen und dass wir dann aber auch schnell und entschlossen handeln müssen. Deswegen prüfen wir zurzeit, wie wir die humanitäre Hilfe durch unsere bestehenden Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit am besten unterstützen können. Wir teilen das gemeinsame Anliegen unter dem Arbeitstitel „Weißhelme“, hier unsere Zusammenarbeit zu vertiefen und dafür zu sorgen, dass wir in einem solchen Notfall Personal, Material, aber auch die benötigten finanziellen Ressourcen rechtzeitig und ausreichend bereitstellen können.
Auch in Nepal wollen wir unsere Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit nutzen, um diesem Land bei der Bewältigung der Folgen dieses schweren Erdbebens zu helfen. Unsere Experten sind vor Ort und zusammen mit dem Krisenstab der Botschaft gerade dabei, die Prioritäten für den Wiederaufbau zu ermitteln. Dazu zählt die Rehabilitierung von Gesundheitsstationen und Krankenhäusern. Es muss jetzt vor allem für Strom und Wasser gesorgt werden, damit den Patienten geholfen werden kann. Wir arbeiten in Nepal seit vielen Jahren im Sektor Gesundheit mit der dortigen Regierung zusammen. Diese Erfahrung und dieses Vertrauen, das wir dort haben, wollen wir jetzt nutzen, um wirksam und schnell helfen zu können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit dem Hinweis schließen, dass die Regierungen unserer Partnerländer natürlich immer zuerst in der Pflicht stehen, für ihre Bevölkerung das Nötige zu tun. Wir können dazu einen Beitrag leisten, indem wir schnell helfen, wenn es darum geht, Leben zu retten, und indem wir mittel- und langfristig dazu beitragen, die Ursachen von Krisen und Armut anzugehen. Insofern müssen alle Hand in Hand arbeiten, um die Krisen der Welt zu bewältigen oder – besser – künftig zu verhindern und zu vermeiden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank, Thomas Silberhorn. – Nächster Redner: Tom Koenigs für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5044742 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 104 |
Tagesordnungspunkt | Deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2010/2013 |